Nach dem Tod gleich links
Anna Buchwinkel erzählt in ihrem Roman Nach dem Tod gleich links vom Leben. Und vom Tod. Und was passiert, wenn alles durcheinandergerät, nur weil ein einzelner Mensch sich der Vorsehung nicht beugen will. So ein Mensch ist Else Brandmüller. Für ihren Herzenswunsch legt sie sich mit dem Tod selbst an und wird zum Anziehungspunkt für eine ganze Anzahl von Menschen, die mit Fug und Recht als originell bezeichnet werden können. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg, und es sind ihre Geschichten, die vom Leben erzählen. Und vom Tod. Und von der Liebe. Eine Warnung vorweg: Wer sich eher in ein bis zwei Szenarien wohl fühlt und bei mehr als drei Charakteren die Übersicht zu verlieren droht, der lege sich Notizblock und Stift zurecht. Oder lasse sich auf das Abenteuer ein, von Anna Buchwinkel bis zum letztendlichen Zusammenknüpfen der Fäden auf eine Achterbahnfahrt durch Alltägliches und Ungewöhnliches mitgenommen zu werden.
Else Brandmüller ist verliebt. Dass ihr Angebeteter, der Schlagersänger Bernhard Bardensiehl, davon nichts ahnt, stört sie nicht. Unerkannt richtet sie sich in seiner Nähe ein und träumt davon, eines Tages mit ihm sprechen zu können. Als Bernhard Bardensiehl vom Dach seiner Berghütte stürzt, ist Else sofort zur Stelle, ruft den Rettungsdienst und bleibt an seiner Seite. Doch Berhards Zeit auf Erden ist abgelaufen, so dass ein Außendienstmitarbeiter des Todes kommt, um den im Koma Liegenden zu abzuholen. Neu im Geschäft, unerfahren und ungeschickt, macht dieser allerdings einige Fehler und wird von Else bemerkt, die sich vehement dagegen sträubt, ihren Bernhard gehen zu lassen. Eingeschüchtert verpatzt der Tod den Auftrag, wodurch eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt wird, die eine Reihe skurriler Gestalten auf den Plan ruft und das Gefüge von Leben und Tod erschüttert. Dabei will Else doch nichts anderes als ihren Bernhard – lebendig natürlich.
Leg dich nicht mit Else an
Originaltitel | Nach dem Tod gleich links |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2019 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Komödie |
Autor | Anna Buchwinkel |
Verlag | Piper |
Else ist eine stille Person, duldsam und ergeben, die mit wenig zufrieden ist, auch, was die Liebe betrifft. Doch als dieses Wenige ihr genommen zu werden droht, erwacht Else aus ihrer fast sechs Jahrzehnte dauernden Passivität. Stur und ohne einen Sinn für das eigentlich Unmögliche tut sie, was sie tun muss, um ihre Liebe zu bewahren. Dass sie sich dabei mit dem Tod – besser gesagt: mit einem Außendienstmitarbeiter der Life Limited Ltd. – persönlich anlegt, kommt ihr ebensowenig seltsam vor wie die Menschen, die sich um sie herum zu sammeln beginnen. Verlierer und Randgruppenvertreter, sichtbar am Rand oder unsichtbar mitten in der Gesellschaft lebend, fühlen sich von Elses Warmherzigkeit und Tatendrang angezogen. Denn Else gehört zu denen, die sich an Äußerlichkeiten nicht stören, sondern mit dem Herzen gut sehen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie sich in einer Luxussuite oder einer Holzhütte befindet. Sie hat zum ersten Mal in ihrem Leben ein Ziel, und auf den Weg dahin nimmt sie andere mit.
Zwei wie Feuer und Wasser
Die ersten Mitstreiter, die Else ausgerechnet in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie findet, sind Tobi und Leda. Während der manische Tobi sich für Höheres berufen fühlt, stets und ständig an realitätsfernen Projekten arbeitet, die ihm das große Geld bringen sollen, und sich offen für Abenteuer aller Art zeigt, ist Leda das genaue Gegenteil. Sie fühlt sich von der dominanten Art ihres Vaters und ihren vergeblichen Versuchen, seinen Ansprüchen zu genügen, überfordert und zieht sich aus der Welt, in der sie sich nutzlos fühlt, komplett zurück. Eher widerwillig schließt Leda sich Else und Tobi an, läuft zunächst nur mit und kommt doch langsam aus ihrem Schneckenhaus heraus. Für Tobi dagegen ist Elses Kreuzzug der Liebe genau das richtige, um seine Talente und Fähigkeiten endlich einmal zielgerichtet anwenden zu können. So gegensätzlich beide auch sind, in Else finden Leda und Tobi einen Menschen, der sie so akzeptiert, wie sie sind, wodurch sich ihnen die Chance bietet, ihre Komfortzone zu verlassen und zu wachsen.
Menschen wie du und ich
In der Beschreibung der Charaktere zeigt sich Anna Buchwinkels besonderes Talent. Sei es zum Beispiel Gerd, der Hotelangestellte mit dem kaputten Dach, Jan, der Vermieter ohne Mietobjekte, Opa Wolle mit den verlorenen Erinnerungen, Zecke aus dem Substitutionsprogramm, der Doktor oder Heinz, dessen einziger Wunsch darin besteht, unter seiner Brücke zu leben: Sie alle werden mit wenigen Worten zum Leben erweckt und wirken absolut real. Wer mit Menschen zu tun hat, der findet in seinem Umfeld immer wieder Parallelen zu diesen Charakteren, die nach ihrem ersten, vielleicht nicht besonders vorteilhaften Eindruck Persönlichkeiten offenbaren, die auf ihre Art versuchen, in einer Gesellschaft zu leben, welche Anderssein nicht zulassen kann. Aber auch ganz alltägliche Personen, die von den Ereignissen um Else erfasst werden, wie etwa Kommissar Schmitz oder Frau Dr. Birnbaum, scheinen direkt dem Leben entsprungen zu sein. Selbst die Außendienstmitarbeiter des Todes entwickeln im Zuge ihrer Revolution ausgeprägte individuelle Züge mit hohem Wiedererkennungswert.
Ein Unternehmen mit Zukunft
Ohne eine durchdachte Organisation gibt es kein geregeltes Ableben auf Erden. Die Life Limited Ltd. ist ein Unternehmen mit Zukunft – sofern sich jeder Mitarbeiter an die Regeln hält. Und diese Regeln legen genau fest, wann was wie getan werden muss. Ohne Ausnahmen. Als aber ein einzelner kleiner Außendienstmitarbeiter namens Detlef beginnt, sich und seine Arbeit zu hinterfragen, gerät das Firmengefüge ins Wanken. Die Folgen von Detlefs erwachender Individualität überraschen erst seinen Vorgesetzten, dann ihn selbst, denn das, was er in Gang gesetzt hat, überrollt ihn und nimmt ungewollte Ausmaße an, die sich niemand vorstellen konnte. Ein einzelnes kleines Steinchen im Getriebe schafft es, die gesamte Branche lahmzulegen und für ein Chaos ohnegleichen zu sorgen. Dabei hatte Detlef es doch nur gut gemeint, aber wie im wirklichen Leben entwickelt auch hier eine Idee ein Eigenleben und führt zu Ergebnissen, die weit von dem entfernt liegen, was eigentlich angedacht war.
Aus dem Leben gegriffen
Nach dem Tod gleich links ist das Erstlingswerk von Anna Buchwinkel, eine unterhaltsame Geschichte um Leben, Tod, Selbstbestimmung und Schicksal. Den zahlreichen Charakteren merkt man an, dass die Autorin sich im Leben auskennt, was unter anderem ihrem längeren Aufenthalt in Asien und den verschiedenen Berufen, die die Juristin und Heilpraktikerin zudem noch ausgeübt hat, geschuldet sein dürfte. Rhetorisch begnadet gelingt es Anna Buchwinkel, mit wenigen Worten Menschen und Gegebenheiten vor dem inneren Auge entstehen zu lassen, wobei sie genügend Freiraum für das eigene Kopfkino lässt und so die Glaubwürdigkeit ihrer Erzählung steigert. Selbst der Tod wirkt, ähnlich wie bei Terry Pratchett, keinesfalls abstrakt. Auf den ersten Blick eine humorvolle Erzählung, enthält Nach dem Tod gleich links jede Menge Denkanstöße abseits der großen Frage nach der Vorsehung. Zum Beispiel: Vielleicht sollte man öfter „Wofür“ statt „Warum“ fragen. Und wie eine Kapitelüberschrift ankündigt, gibt es zwar nicht die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, aber das ist auch ganz gut so. Antworten muss schließlich jeder selbst suchen und finden.
Fazit
Ich fühle mich, als würde ich eine wunderbare Schatzkiste in den Händen halten, die bei jedem Öffnen etwas Neues offenbart. Zum einen spricht mich Nach dem Tod gleich links sprachlich besonders an. Zum anderen erinnert mich gerade der Anfang sehr an die verschmitzte Art und Weise, mit der Heinz Erhardt oder Loriot ihrer Umwelt auf den Zahn fühlten. Die natürliche Art und Weise, mit der das Fantastische seinen Platz in der Geschichte einnimmt, rundet das Ganze für mich noch mehr ab. Und dann sind da diese Charaktere, die mir zum Teil fast unmerklich ans Herz gewachsen sind, erinnern sie mich doch an Menschen, die ich kenne. Diese Lebendigkeit zieht sich durch das ganze Buch, das gefühlt deutlich länger als seine 367 Seiten zu sein scheint, so viel geschieht in der Geschichte, so viele Schicksale werden aufgezeigt. (Da hätte ich noch viel mehr erfahren wollen, aber ich schätze, wenn ich mich umschaue und die Menschen um mich herum bewusst wahrnehme, dann werde ich viel erfahren.) Und am Ende, da fügt sich alles wunderbar zusammen. Ich werde Nach dem Tod gleich links noch einmal lesen, langsamer dieses Mal, mit Pausen zum Nachspüren und Nachdenken, und mir das Hörbuch holen, in dem Matthias Keller diese wunderbare Geschichte liest. Und hoffen, dass ich noch mehr von Anna Buchwinkel zu lesen bekommen werde.
© Piper Verlag