Ein göttliches Paar
Hat die im Mai 2020 veröffentlichte Novelle wirklich eine Altersfreigabe von 18+ nötig? Ein göttliches Paar enttäuscht in Bezug auf die Vorstellung, die sich Leser*innen angesichts dieser Angabe gemacht haben könnten, denn das auf der Self-Publishing-Plattform epuli erschienene Werk von Amalia Zeichnerin beinhaltet zwar Sexszenen, doch bilden diese nicht das zentrale Thema. Dafür sind die eingeflochtenen Themen wie genderqueere Menschen, Coming out und Spiritualität im Umgang miteinander zu präsent. Die Geschichte folgt Tarys, einem jungen Erwachsenen, der mit sich selbst, seinen Wünschen und Sehnsüchten und einer Umwelt ins Reine kommen muss, die Anderssein nicht wirklich toleriert.
Der junge Tarys wird mitten im Nirgendwo von einem heftigen Unwetter überrascht. Er findet Unterschlupf in einem abgelegenen Tempel, welcher einem Götterpaar gewidmet ist. Dort wird für den Abend eine Feier ausgerichtet, und obwohl Tarys kein Anhänger des göttlichen Paares ist, lädt die Hohepristerin ihn ein, sich unter die Gäste zu mischen. Die Feier sieht allerdings ganz anders aus, als er es erwartet hat: eine Zusammenkunft der Sinnlichkeit, bei der weder Alter noch Erscheinungsbild, weder Geschlecht noch Rasse eine Rolle spielt. Hier lernt der junge Mann Eli kennen, einen Menschen, der sowohl männliche als auch weibliche Attribute aufweist. Er geht auf Elis Annäherung ein und die beiden verbringen eine zauberhafte Nacht miteinander. Nach dieser Begegnung versucht Tarys, Eli wiederzufinden, denn die Zweifel an seinem Leben wühlen ihn auf und es fällt ihm schwer, sich weiterhin seinem despotischen Vater unterzuordnen und einer fremdbestimmten Zukunft ins Auge zu blicken.
Ein junger Mensch im Aufbruch
Originaltitel | Ein göttliches Paar |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2020 |
Typ | Novelle |
Bände | 1 |
Genre | Fantasy |
Autor | Amalia Zeichnerin |
Verlag | epuli |
Veröffentlichung: 24. Mai 2020 |
Tarys steckt in einem inneren Zwiespalt: Einerseits wagt er es nicht, sich gegen seinen herrischen und brutalen Vater durchzusetzen, andererseits spürt er, dass das ihm vorbestimmte Leben als Händler ihn nicht zufrieden stellen wird. Aber erst, als er mit Elis in Kontakt kommt, erkennt er, wie sehr ihm der tägliche Kampf um Anpassung und Unterdrückung seiner Neigungen zusetzt. Ohne fremde Hilfe kann Tarys sich allerdings nicht aus seinem Gefängnis befreien, er braucht die seelische Unterstützung von Eli und einen sicheren Hafen, den er anlaufen kann. Und selbst dann entflieht er seiner Familie, ohne eine letzte Aussprache zu suchen, und erkauft sich durch eine Lüge eine Freiheit, die geprägt bleibt von der Furcht vor dem Vater. Doch allein das ist für Tarys schon ein großer Schritt, denn er hat nie gelernt, sich selbst wertzuschätzen. Selbst den Gott, den er anbetet, hat er sich nicht selbst ausgesucht. Entsprechend gibt es noch viel Spielraum für seine persönliche Entwicklung, die gerade erst begonnen hat.
In der Kürze liegt die Würze
Die Novelle Ein göttliches Paar konzentriert sich ganz auf Tarys, wobei dessen kultureller und gesellschaftlicher Hintergrund trotz der Kürze der Erzählung ebenso deutlich abgezeichnet wird wie seine innere Zerrissenheit sowie das toxische Familienleben, aus dem er einen Ausweg sucht. Denn Autorin Amalia Zeichnerin benötigt lediglich knapp 100 Seiten, um ihren Protagonisten eine innere Entwicklung durchmachen zu lassen, die für Leser*innen nachvollziehbar ist. Dabei besitzen die Nebenfiguren durchaus ihren eigenen Wiedererkennungswert, auch wenn sie teilweise nur im Ansatz beschrieben werden. So erhält Elis, der körperlich per definitionem weder Mann noch Frau (oder aber beides) ist, ein eigenes Pronomen, welches in der Geschichte durchgehend verwendet wird. Die sprachliche Begabung der Autorin fällt auch in den sinnlichen Szenen auf. Zart und einfühlsam beschreibt sie sowohl die Festlichkeit im Tempel des göttlichen Paares, der der Begriff „Orgie“ nicht zuträglich erscheint, als auch die intimen Begegnungen zwischen Tarys und Elis. Jedes Wort mehr wäre ein Wort zu viel.
Fazit
Für mich zählt Ein göttliches Paar zu den schönsten Erzählungen, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Ich kenne nicht viele Autoren, die mit wenigen Worten ein lebendiges Szenario beschreiben können, und die meisten davon haben bereits das Zeitliche gesegnet. Doch gerade solche Geschichten liebe ich, wenn das Kopfkino übernehmen kann, und dabei noch immer Raum für eigene Gedanken und Ideen bleibt. Die Altersempfehlung halte ich angesichts dessen, was Jugendlichen heutzutage ungefiltert angeboten wird, für etwas übertrieben. Schließlich liegt das Hauptaugenmerk der Novelle nicht auf den geschilderten sexuellen Handlungen, sondern auf den spirituellen Erfahrungen, die sich einstellt, wenn mit Wertschätzung und Achtung miteinander umgegangen wird. Solche Erfahrungen bedeuten in der Regel Konsequenzen für das weitere Leben, besonders, wenn es nicht „der Norm“ entspricht, und dieser Grundgedanke wird hier gut umgesetzt. Solche Geschichten hätte ich gerne mehr in meiner Bücherschatztruhe.
© epuli