Buddenbrooks – Verfall einer Familie
Titel zum Thema Familie sind eigentlich ganz leicht zu finden, denn sie tragen oft denselben Nachnamen der Menschen, um die es auch inhaltlich geht: Die Sopranos, Die Waltons, Die Unglaublichen oder die Buddenbrooks. Besonders die letztgenannte Familie aus der Feder Thomas Manns ist nicht nur Vorlage für zahlreiche Film- und Serienumsetzungen (zuletzt Heinrich Breloers Kinofilm 2008), sondern hat auch seit über hundert Jahren einen festen Platz in Buchläden auf der ganzen Welt. Die Lübecker Kaufmannsfamilie überlebt seither schulischen Deutschunterricht, interpretierfreudige Literaturwissenschaftler, die Populärkultur und nationalsozialistische Scheiterhaufen. Nur der zwangsläufige Verfall der Familie Buddenbrook lässt sich nicht aufhalten.
Der Roman beginnt mit einem großen Fest für Familie und Freunde der Buddenbrooks, mit welchem der Erwerb des neuen Familienanwesens zelebriert wird. Die Feier versammelt nicht nur drei Generationen der Kaufmannsfamilie im Haus, sondern auch einen Großteil der Protagonisten: das aktuelle Familienoberhaupt Johann Buddenbrook, sein Sohn Jean und dessen Kinder Thomas, Christian und Antonie (Tony). Die folgende Handlung erzählt dabei über den Zeitraum von knapp 50 Jahren Mitte des 19. Jahrhunderts in Ausschnitten vom Schicksal dieser Personen. Dabei stehen neben Tony vor allem die männlichen Familienoberhäupter im Fokus, da deren Entscheidungen auch immer mit dem Wohlergehen des Familiengeschäfts, einem Handelskontor in einer Großstadt im Norden Deutschlands (das nicht explizit erwähnte Lübeck), verbunden ist. So stehen dann auch immer Firma und damit verbundenes Familienkapital im Mittelpunkt, wenn Jean die Geschäfte von seinem Vater übernimmt, dieser Tony gegen deren Willen an den windigen Geschäftemacher Grünlich verheiratet, Christian sich eher als hypochondrische Witzfigur und familiären Schandfleck herausstellt oder Thomas, nachdem er die Familie mit einem Posten als Senator zunächst zu neuem Ansehen führt, mit Hanno auf einen kränklichen Sohn herabblickt, der kaum lebens- geschweige denn geschäftstauglich scheint.
Stell dir vor, geneigter Leser, du schreibst mit Anfang 20 einen internationalen Bestseller
Originaltitel | Buddenbrooks |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 1901 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Familie |
Autor | Thomas Mann |
Verlag | Fischer Verlag |
Mit gerade einmal 21 Jahren begann der kleine Bruder vom damals erfolgreichen Autoren Heinrich Mann die Arbeit an seinem ersten Roman. Mehrere Jahre und knapp 1000 gewachsene Seiten später wurde Buddenbrooks – Verfall einer Familie 1901 mit zunächst eher schleppendem Erfolg veröffentlicht. Inzwischen erreicht alleine die deutsche Ausgabe eine Verbreitung von über neun Millionen Exemplaren. Außerdem gibt es Übersetzungen in 38 Sprachen und weitreichende kritische Anerkennung, unter anderem durch den Nobelpreis für Literatur 1929. Sein Erstlingswerk blieb zu Manns leichtem Verdruss sein größter Erfolg, obwohl er sich literarisch danach noch erheblich weiterentwickelte und hochqualitative Romane wie Der Zauberberg oder Doktor Faustus folgten.
Familiengeschichte im doppelten Sinn
Buddenbrooks ist keine Autobiographie, aber Mann hat sich seine Familie und deren Geschichte als Grundlage für den Roman genommen. Wie seine Protagonisten stammen die Geschwister Mann aus einer Kaufmannsfamilie. Wie Romanfigur Thomas Buddenbrook wurde die über Generationen weitervererbte Familienfirma der Manns aufgelöst, als der Vater der Gebrüder Mann seine beiden Söhne als geschäftsuntauglich einstufte. Auch einige Begebenheiten oder Schriftstücke aus der Chronik und sogar dem Kochrezeptarchiv der Familie wurden mit wenig Veränderungen in den Roman hineinmontiert. Berüchtigt sind zudem Anekdoten über Lübecker Entschlüsselungslisten, die den Romanfiguren reale Personen der Familie Mann und der Stadt zuordnen oder dass Thomas Manns Onkel nach der Veröffentlichung alles andere als gut auf seinen Neffen zu sprechen war, da er sich in Christian Buddenbrook wiedererkannte.
Was Literaturwissenschaftler und Kritiker freut
Trotz dieser biographischen Parallelen kann der Roman eben nicht nur durch eine realistische Erzählweise hervorstechen. Wie andere Werke Manns zeichnet sich der Stil durch witzige und distanzierende Ironie gegenüber Figuren und Handlung aus und ist durchzogen von literarischen Bezügen und Auseinandersetzungen mit den Philosophen Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer oder dem künstlerischen Dekadenz-Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Aus der Musik Richard Wagners wurde weiterhin die Technik der Leitmotivik übernommen, in welcher Figuren oder Ereignisse mal mit griffigen Aussprüchen verbunden werden oder durch immer wieder dezent erwähnte Zeichen wie Farben oder Krankheitsbilder in einem dicht verwobenen Netz auf den Zerfall vorausgedeutet wird.
Was die Leser freut
Der Roman ist darüber hinaus sprachlich auf höchstem Niveau, bietet anspruchsvollen Lesern reichlich Material zum Eintauchen und macht ein wiederholtes Lesen zu einem involvierenden Ereignis. Aber auch abseits davon ist Buddenbrooks schlicht eine überaus unterhaltsame Lektüre. Thomas Mann weiß äußerst sympathische, hassenswerte und ambivalente Figuren lebendig werden zu lassen. Das Geschehen amüsiert, bewegt und schockiert, während Szenen mal in überwältigender atmosphärischer Dichte, mal mit distanzierender Kühle beschrieben werden und dabei immer der richtige Abstand gefunden wird, sodass die Anteilnahme an dem Schicksal der Familie nicht zur melodramatischen Schaulust verkommt.
Wenn man Lust auf einen Familienroman hat, dann ist Buddenbrooks definitiv der Titel in der deutschsprachigen Literatur, den man in jedem Fall gelesen haben sollte. Vom Umfang her ist der Roman zwar ein gutes Stück Arbeit, aber da er sich über einen langen erzählten Zeitraum erstreckt, lässt er sich besonders gut häppchenweise lesen. Ich persönlich hatte hier eher ein Pageturner-Erlebnis und auch mit allerlei Anspruch ist der Roman kein experimentelles L’Art pour l’Art-Puzzle am Rande der Zumut- und Lesbarkeit. Das Buch ist außerdem wertvolle Unterhaltungskost, die in jedes gut bestückte Bücherregal gehört.
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