Bill Hodges (Band 1): Mr. Mercedes
Für einen Polizisten gibt es nichts Schlimmeres, als einen Täter nicht zu fassen. Ein Fall dieser Art lastet schwer auf dem Gewissen des pensionierten Ermittlers Hodges. Was er nicht weiß: Sein Gegenspieler hat noch eine Rechnung mit ihm offen. So baut Bestsellerautor Stephen King (Der Outsider) in seinem Roman Mr. Mercedes nach und nach ein perfides Katz-und-Maus-Spiel auf, bei dem er komplett auf das Übernatürliche verzichtet. Viel eher zerrt uns der Autor in eine psychologische Abwärtsspirale, bei der wir nur hoffen können, heil wieder herauszukommen. Mit Finderlohn und Mind Control folgten direkte Fortsetzungen und seit 2014 wird eine Serienumsetzung der Bücher produziert, 2019 bereits in der dritten Staffel. Wird also Zeit, dass wir den ersten Band der Bill Hodges-Trilogie auf Herz und Nieren prüfen.
Augie Odenkirk ist arbeitslos und steht deswegen wie viele andere schon mitten in der Nacht vor dem örtlichen Auditorium, da am nächsten Morgen dort eine Jobbörse stattfinden soll. Doch wie aus dem Nichts rast ein grauer Mercedes ungebremst in die wartende Menschenmenge. Augie und viele weitere verlieren ihr Leben, einige kommen nur mit schweren Verletzungen davon.Die Polizei ermittelt intensiv, kann den Täter jedoch nicht finden.
Kermit William “Bill” Hodges war leitender Ermittler in dem Fall und ist nun seit einem halben Jahr pensioniert. Dass er den sogenannten Mercedes-Killer nicht schnappen konnte, lastet schwer auf ihm. Den Dienstrevolver seines Vaters stets griffbereit, denkt er immer häufiger über Selbstmord nach, denn die fast 40 Dienstjahre haben dem dicken Mann sehr zugesetzt. Eines Tages erhält er unverhofft einen seltsamen Brief. Nicht von irgendjemandem, sondern von dem Killer persönlich, der ein weiteres Verbrechen ankündigt. Bill erwacht aus seiner Lethargie und macht sich daran, den geisteskranken Täter zu schnappen. Der Ex-Cop weiß nicht, dass er damit genau in eine Falle tappt.
Wie aus dem Leben gegriffen
Originaltitel | Mr. Mercedes |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2015 |
Typ | Roman |
Band | 1 / 3 |
Genre | Krimi |
Autor | Stephen King |
Verlag | Heyne |
Stephen Kings größtes schreiberisches Talent liegt darin, Figuren zu erschaffen, die direkt aus dem realen Leben stammen könnten. So auch im Roman Mr. Mercedes, in dem der Blickwinkel der Geschichte zu verschiedenen Figuren springt. Bill Hodges, der von seinem ehemaligen Kollegen gerne Kermit genannt wird, ist ein sympathischer Mann, dessen Probleme nachvollziehbar sind. Seine Selbstmordgedanken bleiben nicht ständig präsent, viel eher übernimmt sein neuer Tatendrang die Oberhand, was wir neugierige Spione direkt miterleben dürfen. Trotzdem sind ihm Zweifel nicht fremd und Bill ist auch kein allwissender Sherlock Holmes. Daher macht er Fehler, aus denen er lernt und sich so auch noch auf seinen alten Tagen weiterentwickelt. Neben dem alten Bill Hodges begleiten wir auch dessen Gegenstück: den 28-jährigen Brady Hartsfield alias der Mercedes-Killer. Schnell lernen wir, dass dieser junge Mann unter Größenwahn leidet und dass für ihn ein Menschenleben nichts zählt. Allgemein fällt es schwer, auch nur irgendeine gute Seite an dem gehässigen Mann zu finden, denn seine psychologischen Spielchen, zeugen davon, dass er ein ernstzunehmender Psychopath ist. Schließlich versucht Brady perfide, Bill in den Selbstmord zu treiben. Die Ironie daran ist nur, dass er mit seinem Brief den Ex-Cop davon abhält!
Alter Frosch gegen jungen Psycho
Da der erfahrene Autor die Sympathien schnell verteilt, bleiben Leser*innen schon allein deswegen am Ball, um dem Ex-Cop die Daumen zu drücken. Der hat es aber auch nicht leicht, denn als pensionierter Polizist stehen ihm nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Dass sein ehemaliger Partner mit seiner neuen leicht nervigen Kollegin nichts von den heimlichen Ermittlungen mitbekommen soll, spielt eine große psychologische Rolle. Bill macht sein Handicap dadurch wett, dass er andere Leute zu Rate zieht. Unter anderem den coolen 17-jährigen farbigen Jerome Robinson, der eigentlich nur den Rasen des Ex-Cop mäht, aber sehr viel von Computern versteht. Des Weiteren führt die Spur der Ermittlung zur Besitzerin des Mercedes und so zu zwei Frauen, die sein Leben einen gehörigen Schubser verpassen. Doch für jeden Schritt, den der Held in die richtige Richtung macht, lesen wir, welche dunklen Pläne Brady in seinem Computerkeller ausarbeitet. Die Frage, die sich dabei immer nur stellt, ob er wieder erfolgreich sein wird, oder ob ihm diesmal jemand die Tour vermiest. Das Duell der beiden ist auf jeden Fall packend, jedoch nimmt sich King bei Mr. Mercedes sehr viel Zeit, einzelne Abschnitte aufzubauen. So dauert es, bis Figuren gewisse Aktionen durchführen oder gar ein Ziel ins Auge fassen. Die Spannungskurve beschreibt daher eher eine gemächliche Steigung. Für die Geduldigen unter uns wartet am Ende eine Belohnung, denn das Finale überrascht mit ein paar unerwarteten Wendungen.
Wenn wir bei Clownsmasken an jemand anderen denken
Wie nicht anders zu erwarten, entdecken Fans des Horrorautors auch in diesem Buch einige nette Anspielungen. So finden die Ermittler im geklauten Auto eine Clownsmaske, die auf Pennywise (das Monster aus ES) hinweisen und auch die 19, die ultimative Zahl aus dem Dunkle Turm-Zyklus, ist nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach präsent. Mit Judas Coyne als Aufdruck auf einem T-Shirt macht der Autor sogar Werbung für den Roman Blind, den sein Sohn Joe Hill schrieb. Neben den ganzen kleinen Eastereggs ist Mr. Mercedes ansonsten ein doch eher ungewöhnlicher Stephen King-Roman. Zum einen ist er, bis auf den Prolog mit Augie Odenkirk, komplett im Präsens geschrieben und was noch mehr verwundert, dass sich kein einziges übernatürliches Element finden lässt. Das Grauen, welches uns der Autor diesmal präsentiert, sind nur die Abgründe, die sich im menschlichen Geist bilden können. Dadurch empfiehlt sich die Geschichte auchfür Leute, die normalerweise die Finger vom Horrorkönig lassen. Kings Rechnung ging auf jeden Fall auf, denn er gewann 2015 den “Edgar Allan Poe Award”, einen der weltweit populärsten und gleichzeitig bedeutendsten Preise für kriminalliterarische Werke in den USA.
Fazit
Ich bin schon recht geduldig, doch zerrte Mr. Mercedes schon sehr an dieser Eigenschaft bei mir. Beide Kontrahenten sind unglücklicherweise nicht immer auf Action getrimmt, sondern lassen sich gerne auch mal ablenken oder überlegen sich sehr lange und gründlich den nächsten Schritt. Daher dauert es wirklich einige Seiten bis wieder etwas passiert. Da wir zudem immer wissen, was beide Gegenspieler planen, fehlt es doch hier und da an Spannung. Was King jedoch wieder perfekt gelingt: greifbare Figuren aufs Papier zu bringen. Gerade Bill punktet mit Sympathie sowie all seinen Fehlern und Eigenarten, dabei ist er weit weg vom strahlenden Helden, da er nebenbei auch noch Übergewicht mit sich herumträgt. Doch solche Figuren mag ich einfach. Brady fällt in die Kategorie Hassobjekt, denn seine Machenschaften sind einfach nur krank. Daher funktioniert die Geschichte von Anfang an, da Bill ihn für seine Taten zur Rechenschaft ziehen muss. Überraschend und überzeugend gelingt auch das fulminante Finale, das Story und Figuren perfekt zusammenbringt.
© Heyne