1984

„Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ und „Unwissenheit ist Stärke“ – so lauten die Leitsätze des Großen Bruders. Der Begriff “Großer Bruder” dürfte jedem, nicht zuletzt durch die Reality-Show Big Brother, bekannt sein. Doch wer ist eigentlich der Große Bruder und was bedeuten seine Leitsätze? So ganz offensichtlich erschließen sich die Antworten auch nach dem Lesen von 1984 nicht, aber es lohnt sich trotzdem, den 1949 erschienen Literaturklassiker von George Orwell (Farm der Tiere) herauszukramen und diesen beiden Fragen auf den Grund zu gehen. Denn 1984 steht inzwischen als Synonym für einen vermeintlichen Überwachungsstaat und die Thematiken scheinen so aktuell wie noch nie zu sein.

    

Winston Smith lebt in “Landefeld 1” (England), einem Teil Ostasiens, welcher Nord- und Südamerika, die britischen Inseln, Australien und das südliche Afrika umfasst. Ostasien ist neben Ozeanien und Eurasien eines der drei Länder, die im Jahr 1984 noch übrig geblieben sind. Die drei stehen in einem ständigen Krieg zueinander, bei dem es keine Gewinner oder Verlierer gibt. In Ostasien herrscht ein totalitäres Regime, verkörpert durch den Großen Bruder, der allgegenwärtig ist, aber zu keinem Zeitpunkt physikalisch in Erscheinung tritt. Geführt wird das Land durch die „Innere Partei“, unter ihnen stehen die Mitglieder der „Äußeren Partei“ und das gemeine Volk wird als „Proles“ bezeichnet. Um das Volk zu überwachen, befindet sich in jedem Haushalt ein Telescreen, der die Bewohner beobachtet und belauscht. Zusätzlich gibt es eine Gedanken-Polizei, deren Aufgabe es ist, Gedankenverbrecher und Feinde des Großen Bruders zu verhaften.
Winston arbeitet als Mitglied der Äußeren Partei im „Ministerium für Wahrheit“, wo er alte Zeitungsartikel an die derzeit gültige Parteilinie anpasst. So ist Ostasien heute im Krieg mit Eurasien, am nächsten Tag ändert sich die Parteilinie und sie waren schon immer mit Ozeanien im Krieg und seit jeher mit Eurasien verbündet. Doch obwohl er ein Teil des Systems zur systematischen Auslöschung des Gedächtnisses durch die Anpassung der Vergangenheit ist, hegt er aufrührerische Gedanken gegen den Großen Bruder und ihn plagen Erinnerungen an früher, von seiner Mutter und einer Zeit vor dem Großen Bruder. Eine Zeit, die es eigentlich gar nicht geben darf. Als er eines Tages den Eindruck gewinnt, dass eine Parteigenossin ihn verfolgt, fängt sein Leben an, einen neuen Verlauf zu nehmen…

So schwammig kann Liebe sein

Originaltitel 1984
Ursprungsland Großbritannien
Jahr 1949
Typ Roman
Genre Dystopie, Polit-Fiktion
Autor George Orwell
Verlag Diverse

Es stellt sich heraus, dass er tatsächlich verfolgt wird. Seine Verfolgerin entpuppt sich jedoch nicht als jemand, der ihm auf die Schliche gekommen ist, sondern als eine junge Frau namens Julia, die sich in ihn verliebt hat. Er ist sich nicht sicher, ob er eine Beziehung mit ihr eingehen soll, denn eine Beziehung zwischen Mann und Frau ist zwar gestattet, doch darf dies nur dem Zweck der Fortpflanzung dienen. Zudem ist Julia wesentlich jünger als er und verheiratet ist er auch bereits, wenngleich er seine Frau seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Trotz aller Bedenken lässt er sich auf eine Beziehung ein, die bereits zum scheitern verurteilt ist. Interessant hierbei ist die Art und Weise wie sie ihre Beziehung führen, den Umständen und der Welt anpassen, da Liebe eben nicht universell ist. Ihre Beziehung besteht im wesentlichen aus Sex, denn sie haben keine gemeinsamen Ziele, da sie wissen, dass alles keinen Sinn hat und sie eines Tages geschnappt werden. Was jedoch nicht ganz deutlich wird, ob sie sich wirklich lieben. Im weiteren Verlauf der Handlung nimmt Winston immer die Haltung an, welche der Geschichte gerade zuträglich ist, mal liebt er sie, mal vergisst er sie fast. Auch Julias Beweggründe ihn zu wählen, werden nicht klar, sie wird indirekt sogar als Schlampe hingestellt, die einfach gern Sex hat und dies als kleine Rebellion gegen das System sieht.
Ein Indiz für wahre Liebe könnte sein, dass sie sich der Bruderschaft anschließen, dem erklärten Feind des Großen Bruders. Jedoch hegte Winston zuvor schon diese Gedanken und der dritte Akt lässt ohnehin alles fraglich erscheinen, weshalb auch hier nicht ganz klar wird, was Liebe in dem Roman überhaupt bedeutet. Liebe mag als solches keine klare Definition haben, schon gar nicht in einer totalitären Welt wie der von 1984, es schadet aber der Geschichte, dass nie deutlich wird, wie wichtig Winston die Liebe zu Julia ist.

Noch zeitgemäß?

Die Zukunft in 1984 muss in den 40er-Jahren beängstigend gewesen sein. Aus der Sicht eines Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts erscheint alles etwas lächerlich. Winston und Julia können sich zum Beispiel in einem Wald vor der Überwachung verstecken, was in unserer Zeit nicht mehr möglich wäre, denn wir haben Drohnen und elektronische Fußfesseln. Es ist sicher nicht ganz fair, eine 70 Jahre alte Geschichte mit der Jetztzeit zu vergleichen. Jedoch fällt es schwer beim Lesen sein Wissen auszublenden und keinerlei Vergleiche mit unserer Welt zu ziehen. Und dieser Vergleich nimmt der Welt letztendlich ihren Schrecken. Außerdem ist es der Immersion nicht zuträglich, wenn das Eintauchen in die Welt nicht recht gelingen mag. Neben dem Technik-Thema sind es auch ideologische Ansätze innerhalb der Handlung, die bei näherer Betrachtung nicht zu hundert Prozent funktionieren oder zumindest fragwürdig sind. Etwas unnötig erscheint zudem Orwells häufig Kritik an einem totalitären Sozialismus, es entsteht beim Leser der Eindruck als wollte er nur seine Meinung äußern und verliert dabei aus den Augen, dass er eigentlich seine Geschichte weiter erzählen sollte.

Die Welt von 1984

Der eigentlich „Star“ des Romans ist die Welt als solche. Im wesentlichen macht der Aufbau der Welt, sowie die Erklärung ihrer Regeln und Gesetze zwei Drittel der gesamten Handlung aus. Die Geschichte um Winston ist hierbei mehr oder weniger nur ein Beiwerk. Und nicht umsonst ist der Große Bruder ein über den Roman bekannter Begriff und wurde als Name für eine Reality-Serie gewählt, die seine Teilnehmer rund um die Uhr überwacht. Neben dem System um den Großen Bruder entwarf Orwell zusätzlich eine eigene Amtssprache namens “Neusprech”, bei der unsere Sprache vereinfacht wird und dem Menschen so die Möglichkeit genommen werden soll, sich differenziert auszudrücken. Dadurch soll erreicht werden, dass die Kritik am Großen Bruder unmöglich wird, da diese zu äußern schlicht unmöglich wird.

Neusprech gefällt mir an 1984 am besten. Ich finde Idee, eine neue Sprache zu erschaffen, um die Bevölkerung ihrer Stimme zu berauben, ziemlich genial und ist mir so auch noch nicht begegnet. Was wohl daran liegt, dass es einer Geschichte nicht zuträglich ist, wenn Figuren nur limitiert sprechen können, weshalb die Figuren in dem Roman noch Altsprech, also unsere Sprache, sprechen. Ich lese gern sogenannte Klassiker, meistens weil sie nicht ohne Grund Klassiker sind. Bei 1984 weiß ich nicht recht – mir gefallen die Welt und ihre Ansätze, aber die Handlung des Romans lässt mich völlig kalt. Dazu kommt, dass ich den letzten Akt als endlose Qual empfinde, was im Kontext des Aktes eine gewisse Ironie mit sich führt. Zum Ende des zweiten Aktes wird Winston zusammen mit Julia geschnappt. Es stellt sich heraus, dass nahezu alles geplant war und bereits vor sieben Jahren begann. Der dritte und letzte Akt besteht im wesentlichen nur noch darin, dass Winston zunächst körperlich, später geistig, gebrochen wird. Am Ende hat er noch seine Liebe zu Julia, die sie ihm auch noch nehmen. Danach ist er wieder Teil der Gesellschaft und wird als Gedankenverbrecher hingerichtet. Mehr ist es letztendlich nicht und das zieht sich über endlos viele Seiten. Während Winston die Folter erstaunlich gut wegsteckt, macht sie mich in ihrer Endlosigkeit völlig fertig.

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