London Spy

Der Agententhriller hat den Kalten Krieg überlebt und wurde in Zeiten von James Bond und Ethan Hunt immer härter, schneller und gnadenloser. Nicht ganz so glamourös kommt die BBC-Produktion London Spy daher, die seit Mitte 2016 auf Netflix zu sehen ist. Ursprünglich lief die fünfteilige Serie bereits 2015 im britischen Fernsehen ehe Netflix sie einkaufte. Ganz selbstbewusst zeigt sie, dass sie in vielen Dingen anders ist als die Genre-Konkurrenz. Denn London Spy ist ein Agentendrama, das eigentlich keines ist (zumindest im klassischen Sinne) und hat einen schwulen Hauptcharakter, was auf die Handlung auch gar keinen größeren Einfluss nimmt. Ein völliger Gegenentwurf, der nicht nur aufgrund ästhetischer Feinheiten einen Blick wert ist.

  

Der Augenblick, der das Leben für immer verändert. “I feel Love” auf den Kopfhörern, Kippe im Mund. Danny (Ben Whishaw, Q in James Bond) stößt auf der Straße mit einem Jogger zusammen, der ihm sofort den Kopf verdreht. Danny ist schwul. Der Jogger Alex (Edward Holctoft, Kingsman) auch, weiß das nur noch nicht. Jedenfalls glaubt Danny das. Die beiden Männer kommen sich schnell näher und Dannys Interesse ist geweckt. Zum ersten Mal in der Wohnung seines Flirts, versucht Danny über Alex’ Computer mehr über ihn herauszufinden. Dieser spuckt aber nur ein Durcheinander aus Formeln aus und Danny dämmert allmählich, dass Alex kaum einfach nur in einer Bank arbeiten kann. Die Erkenntnis, dass er in Wahrheit ein Agent des britischen Geheimdienstes ist, kommt ebenfalls nicht überraschend. Auch Dannys älterer Freund Scottie (Jim Broadbent, Cloud Atlas) hat im Gespür, dass mit Alex etwas nicht stimmt. Als der introvertierte Alex nach acht Monaten Beziehung plötzlich durch mysteriöse Umstände ums Leben kommt, gerät Danny ins Visier. Er weiß jedoch nicht, worauf er sich da einlässt, da alles danach aussieht, als sei Alex ein Agent gewesen und dessen Feinde lauern überall. Denn Alex hat einen Algorithmus entwickelt, der Unwahrheiten als Baustein des Sprachrhythmus identifizieren kann…

Die Lüge als Leitmotiv

Originaltitel London Spy
Jahr 2015
Land Großbritannien
Episoden 5
Genre Drama, Krimi
Cast Danny: Ben Whishaw
Alex: Edward Holcroft
Scottie: Jim Broadbent
Frances: Charlotte Rampling
Sara: Zrinka Cvitesic
Detective Taylor: Samantha Spiro

London Spy entstand nach einer Idee und einem Drehbuch des Bestsellerautors Tom Rob Smith (Kind 44) und ist irgendwo in einem Dickicht aus Verschwörungstheorie und Spionagethriller angesiedelt, gibt sich dabei zugleich sehr eigensinnig. Egal, ob es um das Private oder das Politische geht: Im Zentrum steht die Lüge und jeder Versuch, sie aufzudecken, macht alles nur noch verwinkelter und gefährlicher. Fraglos ein Fest für alle, die Verschwörungen lieben und überall wittern. Denn in genau einem solchen Sog befindet sich Danny und der Zuschauer weiß nicht mehr als er selbst. Hieraus bezieht die Geschichte eine Menge Spannung. Denn nach und nach verliert Danny (und damit der Zuschauer) das Vertrauen in jeden. Das wird stellenweise so sehr überreizt, dass der Zuschauer zu einem gewissen Punkt hin nur noch im Dunkeln tappt, weshalb sich der fade Beigeschmack des Überkonstruierten nicht abschütteln lässt. Doch das Gefühl, gegen einen gesichtslosen übermächtigen Gegner anzutreten, überwiegt.

Geheime Treffen, geheime Verbindungen, entführte Freunde – alles top secret

Ben Whishaw mimt Danny (eigentlich Daniel), einen jungen Mann, der schon einiges im Leben hinter sich hat, sowohl mit Drogen als auch Männern. Seine größte Angst ist es, HIV-positiv zu sein. Whishaws Darstellung ist zerbrechlich und sanft. Man nimmt Danny einfach ab, dass er einen natürlichen Investigativdrang besitzt, gleichzeitig aber nicht in der Lage ist, alles zu ertragen. Zur zweiten Hauptfigur (um nicht sogar zu sagen: Dreh- und Angelpunkt der Serie) wird Scottie, Dannys Mentor. Ein Mann, der die 60 überschritten hat und der in seiner Funktion als einstiger MI6-Agent aufgrund seiner Homosexualität aus dem Verkehr gezogen wurde. Dieser wird von Jim Broadbent verkörpert, der einerseits bereits in seiner Erscheinung einem britischen Gentleman gleicht, sich andererseits aber auch kaum in die Karten sehen lässt. Man sieht ihm nur an, dass er bereits vieles im Leben mitgenommen hat und Lasten der Vergangenheit mit sich trägt. Neben den beiden sind auch die Schauspiel-Ikone Charlotte Rampling (Swimming Pool) und Mark Gatiss (Sherlock) zu sehen. Wie alle Charaktere der Serie bleiben auch sie mysteriös. Immerhin soll der Zuschauer angesichts der überschaubaren Laufzeit von knapp fünf Stunden genug zum Rätseln haben.

Blau ist die Farbe der Intimität

Dannys leerer Blick füllt viele Einstellungen der Serie und trägt damit auch ein Stück weit die Melancholie mit, welche durch die Bilder erzeugt wird. Dafür bediente man sich massiven Blaufilter-Einsatzes, der das düstere London zu einem kargen Ort voller Kontraste macht. Ohnehin wirkt London Spy trotz seines modernen Szenarios häufiger wie in einer viktorianischen Sherlock Holmes-Epoche angesiedelt und weniger wie ein typischer Agententhriller mit futuristischen technischen Gadgets. Auch wird immer wieder mit Szenen gespielt, die auf Schnitte verzichten und mit nahtlosen Übergängen zwischen Fernaufnahmen und Totalen wechseln. Manchmal zoomt die Kamera bis auf den Mund der Darsteller, was einzelne Szenen sehr intim werden lässt.

Fazit

London Spy ist eine kleine, aber feine Spionage-Serie aus Großbritannien, welche niemals einen ähnlichen Wirbel wie Homeland mitnehmen durfte. Die homosexuellen Hauptfiguren geben der Serie etwas Spezielles, ohne dass dies eine weiter tragende Rolle spielt. Insofern macht London Spy alles richtig und ist nicht etwa “eine weitere verkappte Schwulenserie, die mehr sein will, als sie eigentlich ist”. Im Gegenteil: Die Atmosphäre könnte dichter kaum sein. Die fünf Episoden sind darüber hinaus schnell erzählt und auch ohne herausragende Actionszenen ist es dem Werk ein Leichtes, die Handlung bis zum Ende hin zu stemmen. Genau das wiederum gibt Anlass zur Kritik, da viele Fragen einfach offen gelassen werden. Angesichts der Tatsache, dass sonst zum Teil sehr dick aufgetragen wird, passt die plötzliche Subtilität an der Stelle nicht mehr. Auch wenn sich London Spy hier und dort am eigenen Mysterium verfranst, handelt es sich um eine sehenswerte Serie, die alleine schon mit ihren melancholischen Bildern besticht.

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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