Mein Ende. Dein Anfang.
Kennt ihr das? Ihr lernt jemanden kennen, habt aber das Gefühl, diese Person schon immer zu kennen. Ist das Zufall oder Schicksal? In ihrem Erstwerk Mein Ende. Dein Anfang. (internationaler Verleihtitel: “Relativity”) beschäftigt sich die Regisseurin Mariko Minoguchi mit der Relativitätstheorie. Und es geht direkt mit dem Ende los, denn eine der beiden Hauptfiguren stirbt und ab da beginnt ein Sprung durch sämtliche Zeitachsen, immer in Abhängigkeit zu einer anderen. Was Tom Tywker in den 90ern mit Lola rennt in Szene setzte, wird hier auf die Spitze getrieben, wovon sich deutsche Filmfreunde seit dem 4. Juni 2020 selbst ein Bild machen dürfen.
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München: Der Physik-Doktorand Aron (Julius Feldmeier, Tore tanzt) ist davon überzeugt, dass gemäß Relativititäts- und Quantentheorie alles miteinander verbunden ist. Eine andere Auffassung vertritt seine Freundin, die Supermarktmitarbeiterin Nora (Saskia Rosendahl, Werk ohne Autor), die das Leben als Verkettung von Zufällen erachtet. Obwohl die beiden jungen Menschen unterschiedlich sind, führt das Leben sie eines Tages zusammen. Schicksal oder Zufall? Pläne für die Zukunft werden geschmiedet und dann kommt der eine Tag, an dem in Sekundenschnelle alles ein Ende findet. Das Paar gerät in einen Banküberfall, bei dem Aron erschossen wird.
Natan (Edin Hasanović, Nur Gott kann mich richten) ist Nachtwächter eines Supermarkts. Er hat soeben seinen Job verloren und muss nun zusehen, wie er seine kriselnde Ehe retten kann, die darunter leidet, dass Töchterchen Ava an Leukämie leidet und eine Überlebenschance von unter 50 Prozent hat. Eines Abends rettet Natan Nora das Leben. Schicksal oder Zufall?
„Relativität besagt, dass Zukunft und Vergangenheit die gleiche Gültigkeit für die Gegenwart haben“
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Originaltitel | Mein Ende. Dein Anfang. |
Jahr | 2019 |
Land | Deutschland |
Genre | Drama |
Regie | Mariko Minoguchi |
Cast | Nora: Saskia Rosendahl Natan: Edin Hasanovic Aron: Julius Feldmeier Polito: Stefan Konarske Mecki: Jeanette Hain Luise: Michelle Barthel Max: Leonard Kunz |
Laufzeit | 111 Minuten |
FSK | ![]() |
Veröffentlichung: 4. Juni 2020 |
Voller Begeisterung erklärt Aron die Relativitätstheorie. Für Mariko Minoguchi, die auch für das Drehbuch zuständig war, kommt das Thema nicht von irgendwoher: Ihr Bruder ist selbst Physiker und inspirierte sie zu ihrem Debütfilm, dessen Idee zurückgezogen in Taiwan entstand. Wenig wissenschaftlich und auch nicht zu abstrakt. Minoguchi denkt in Szenen und Verbindungen. Manchmal auf ganz banaler Ebene, was Mein Ende. Dein Anfang. sehr greifbar macht: Wäre das Wetter am Tage ihrer ersten Begegnung schlecht gewesen, hätten sich Aron und Nora wohl nicht oder eventuell unter anderen Umständen kennenlernen.
Traumwandlerische Bildsprache
Mit Arons Tod eröffnet der Film gleich zwei Zeitebenen. Mit seinem Tod als Ausgangspunkt verläuft die eine rückwärts, die andere vorwärts. Auf einer Ebene führt Nora ein glückliches Leben mit Aron, auf der anderen findet sie Trost bei Natan. Die Leichtigkeit des Lebens vs. Ohnmacht. Ohne klar erkennbares Muster springt die Regisseurin mal in die Vergangenheit, mal in die Zukunft. Immer auf sehr künstlerische Weise, weshalb es für den Schnitt auch eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis gab. Dieses Erzählmuster ist bekannt aus Filmtiteln wie Memento oder Irreversibel, deren Tiefe Mein Ende. Dein Anfang. zwar nicht erreicht, doch zumindest äußerst erfrischend adaptiert. Da werden auch vermeintliche Standardszenen mit einem Zauber eingefangen, der sie bedeutungsvoll werden lässt.
Eher vielschichtiges Drama als Nerdspaß
Mein Anfang. Dein Ende spinnt dabei ein Netz aus Verbindungen, bildet Knoten zwischenmenschlichen Zusammentreffens. Mal zufällig, mal durchdacht. Die Aufgabe der Zuschauer ist es nun, mit Detektivarbeit das Zeitachsengeflecht zu entknäulen. Die vielen Parallelen, Zufälle oder sonstigen Konstruktionen sind nicht immer unbedingt glaubhaft, doch schnell ist man dazu geneigt, das alles angesichts der ambitionierten Herangehensweise abzuwinken. Emotional abgeholt werden sollen alle Zuschauenden und das funktioniert in jedem Fall. Frei von jeglichem Mindfuck, den man angesichts der Thematik erwarten könnte.
Schauspielerische Herausforderungen
Neben der verschachtelten Erzählweise überzeugt vor allem die bärenstarke Darbietung von Saskia Rosendahl und Julius Feldmeier, deren Liebe man ihnen trotz der Unterschiedlichkeit beider Liebenden sofort abkauft. Ob Ängste oder Hoffnungen, die Geschichte des Paares ist nicht weniger facettenreich als Natans familiärer Hintergrund. Mit voranschreitender Handlung werden beide Erzählstränge intensiver. Die finale Auflösung ist aber eine, die nicht bei allen auf geteilte Akzeptanz stoßen wird. Die einen werden den Twist überraschend und kreativ finden, die anderen haben den Braten schon längst gerochen. Doch trotz allem: Mein Ende. Dein Anfang. fühlt sich keineswegs wie ein typischer deutscher Film an, sondern ist, abgesehen von der Tatsache, dass er ohnehin inhaltlich kein klassischer Mainstream-Titel ist, eher an amerikanische Filme angelehnt.
Fazit
Hinter der einfachen Erzählweise und der verspielten Inszenierung steckt viel Liebe zum Detail. Es ist zu loben, dass das wissenschaftliche Fundament von Mein Ende. Dein Anfang. nur angekratzt wird, da dies dem Film wohl seinen Zauber nehmen würde. Manchmal sind es die simplen Ideen, die man wissenschaftlich aufblasen könnte, die aber vor allem in ihrer Einfachheit verzaubern. Ein solcher Film ist auch Letztendlich sind wir dem Universum egal: Der nonlinear erzählte Background ist vor allem etwas für das Herz, der hypnotische Strudel für den Kopf. Eine berührende Geschichte über Schmerz und Verlust.
© EuroVideo Medien
Seit dem 4. Juni 2020 im Handel erhältlich: