Sea of Stars

Ah, JRPGs. Welches Genre wird noch häufiger verstohlen schmachtend hinter eine Säule wartend und mit leicht angestaubter rosaroter Nostalgiebrille betrachtet? Es hat unzählige Liebhaber und -innen und kann sich vor Zutraulichkeiten kaum retten. Kein Wunder also, dass Casanova Sabotage Studios, die bereits mit ihrem Erstling The Messenger heftig und leidenschaftlich mit den 8 und 16bit Action-Platformern von anno dazumal geflirtet haben, sich die vermutlich beeindruckende Haartolle einölen und mit lässigem Hüftschwung an das JRPG-Genre herantänzeln. Sea of Stars ist das Ergebnis der Romanze, das im August 2023 erschien, aber schon lange vorher mit seinen wohlgeformten 2D-Pixel-Look von sich reden machte und mit einer Demo zeigte, dass die Entwickler auch dem Altvater ChronoTrigger alles andere als abgeneigt Brauen wiggelnd zugezwinkert haben. Bei all den Verweisen stünde zu befürchten, dass es ein x-beliebiges One-Night-Stand zu werden droht, stattdessen überzeugt die wundervolle Liaison mit einem farbenfrohen rundenbasierten Friendship-Conquers-All-Abenteuer, das zielsicher über das Sternenmeer schippert. Am 10. Mai 2024 erschien das Spiel auch in einer Handelsversion aus.

   

Wenn ein riesiger Adler über einem Dorf kreist und droht etwas fallen zu lassen, bricht selten frenetischer Jubel unter den Bewohnern aus; vielmehr würden die meisten angsterfüllt in Richtung Einfahrt schielen und sich schon auf eine exorbitant lange Autowäsche einstellen. Im Falle des lauschigen Plätzchens ‘Mooncradle’ liegt die Sache aber gänzlich anders, denn hier wurde der Storch von seinem Arbeitsplatz durch den massiven Raubvogel verdrängt, der nun an seiner statt Kinderlein liefert. Allerdings nur an der Sommer- und Wintersonnenwende. Und auch nur manchmal. Während ihm seine langschnäbeligen arbeitslosen Vogelkollegen nun erbärmliche Arbeitsmoral vorwerfen könnten, gibt es aber einen gesonderten Grund für den sporadischen Kindersegen. Denn die wundersamen Wonneproppen sind mit der Magie von Sonne und Mond erfüllt und dazu bestimmt, zu Kriegern ausgebildet zu werden, um sich den Hinterlassenschaften des ‘Fleshmancers’ (unfachlich zu Deutsch übersetzt: Fleischermant; Nekrometzger; Filetverzauberer) zu stellen, die überall auf der Welt heranwachsen und drohen, Unheil zu bringen. Eine schwere Aufgabe, aber die neuesten Rekruten, Valere und Zale, sind bis in die blauen und blonden Haarspitzen motiviert, der Welt Frieden zu bringen, um gemeinsam mit ihrem besten Freund Garl unbeschwert Abenteuer zu erleben. Ein gänzlich nobles Vorhaben, das mit Sicherheit keinerlei unvorgesehene Hindernisse finsterster Natur durch üble Kultisten in den Weg geschmissen bekommt.

Wundervolle Vertikalität

Originaltitel Sea of Stars
Jahr 2023
Plattform PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox X/S, Nintendo Switch
Genre Rundenbasiertes JRPG
Entwickler Sabotage Studio
Publisher Sabotage Studio
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 29. August 2023

Wer das erste Mal die Welt von Sea of Stars betritt, wird nach kurzer Zeit feststellen, dass es ein klares Wort gibt, dass sich vom Hirn zur Zunge vorarbeitet: wunderschön. Sabotage Studios hat wirklich alles aus dem 2D-Pixel-Look herausgeholt, was herauszuholen ist, sei es im Design der Figuren, der seltsamen Wesenheiten, die ihnen im Wege stehen oder den Umgebungen, durch die sie springen und laufen. Wasserfälle rauschen von Ranken und Büschen umgeben daher und füllen glänzende Lagunen, dichter Dschungel breitet sich aus, ein großer See wartet still, in dem kleinere mit Muscheln und sonstigem Grünzeug bekleckerten Felsen hier und da die Wasseroberfläche kitzeln, eine verworren verwinkelte Hafenstadt erhebt sich in holzigen Etagen, ein düster-nebliger Sumpf blubbert vor sich hin, während Untote schmatzend umherziehen. Es ist ein wahres Fest für Augen und Ohren, denn der Soundtrack hat sich mit Sternenwasser gewaschen und dudelt in 16bit’ig vor sich hin. Aber damit hört es nicht ganz auf, denn was die Welt von Sea of Stars besonders faszinierend macht und von Genre-Alt-und-Neukollegen abhebt, ist ein steter Sinn für Vertikalität. Valere und Zale rutschen die besagten Wasserfälle herab, werden von Geysiren wieder emporgepustet, hüpfen behände über Stock und Stein, drücken sich an Felswände, katapultieren sich mit einem Enterhaken, der behauptet anders zu heißen, aber niemanden etwas vormachen kann, durch die Gegend und damit stoppt es nicht. Denn jeder Bildschirm ist liebevoll mit kleinen Plattform-Einlagen, Puzzeln und Schaltern angelegt, die Wände verschieben, Säulen emporwachsen lassen und die Überquerung zu einem kleinen Spektakel werden lassen, das auch in einen Action-Platformer passen würde; hier merkt man auch wieder die Liebe von Sabotage Studios aus ihrem Erstlingswerk. Ein wenig eindämpfend muss man aber hinzufügen, dass es mehr eine scheinbare Beweglichkeit ist, denn all die Sprünge und Schwünge sind nur an vorgegebenen Punkten möglich, außerdem ist man in den Kletterpassagen besser abgesichtet als ein Artist mit dreifachem Netz und Hängseil im Kissenparadies, entsprechend droht nicht einmal ein Absturz. Aber anders als in solchen Platformern, in denen die Herausforderung in punktgenauen Sprüngen besteht, ist es hier vielmehr ein Mittel der Welt und ihrer Durchquerung eine großartige Dynamik zu geben, die einen stets versonnen vor sich hinschmunzeln lässt.

Kampf mit Finger und Schloss

Der Wille zur zusätzlichen Bewegung ist allerdings nicht nur beim morgendlichen Spaziergang auf den verschiedenen Inseln, die uns ganz Odyssee-mäßig vor neue Aufgaben stellen, zu spüren, sondern auch im rundenbasierten Kampf. Der weist im Abweichung zum Genre-Standard mit zwei Besonderheiten auf. Nahezu jede Attacke, die Valere, Zale oder einer ihrer Kameraden den brav wartenden Klingenvögeln, modrigen Zombiepiraten oder fies fliegende Folianten entgegenschmettert, kann mit einem Tastendruck zur rechten Zeit verstärkt werden. Ebenso kann der Schaden bei dem unvermeidlichen Vergeltungsschlag vermindert werden, wenn man den richtigen Moment abpasst. Manche Attacken haben zudem eine speziellere Form der Eingabe, wie beispielsweise Valeres Mondbumerang, den sie wie eine sichelige Flipperkugel zwischen sich und den Gegnern hin- und herhüpfen lassen kann, insofern Valere selbst passend Flipperschleuder reagiert. Diese direktere Einflussnahme gibt der sonst recht starren Angelegenheit des typischen Rundenkampfes eine zusätzliche Ebene, ohne dabei zu maßgeblich oder fordernd zu sein. Wie das Spiel es selbst sagt: “Ist schön, wenn es klappt, aber wenn nicht, passt schon.” Die zweite Besonderheit besteht aus den Locks, die bei Gegnern erscheinen, wenn sie den Rüssel voll haben und zu mächtigeren Hieben ansetzen. Konkret handelt es sich dabei um eine Reihe von Elementsymbolen, zum Beispiel ‘Sonne’, ‘Mond’ und ‘Gift’, die, wenn alle passend ausgelöst werden, den Gegner mit einem frustrierten Seufzer seine Ambitionen aufgeben lassen. Ein simpler Weg, um mehr taktische Finesse einfließen zu lassen, insbesondere da die Manapunkt-Vorräte der einzelnen Leutchen den Anschein machen, als hätte eine Bande Ratten eine ausgiebige Party damit gefeiert. Zwar stellt jeder normale Angriff MP wieder her, aber wer erfolgreich die gegnerischen Schlösser knacken will, sollte nicht zu freigiebig seine Fähigkeiten herumwerfen. Allerdings bleiben trotz dieser Auffrischungen die Möglichkeiten im Rundenringelreien mit den rüden Monsterrabauken eher begrenzt, denn die Fertigkeitenzahl von Zale, Valere und co. sind überschaubar und werden über die Zeit hinweg nur nennenswert durch Kombo-Fähigkeiten aufgestockt. Um die zu benutzen und generell seinen Angriffen mehr dieses gewissen ‘Umpfs’ zu verleihen, braucht es lebendes Mana. Klingt beeindruckend, sind aber erstmal faktisch bröselige Kügelchen, die von den Gegnern herunterfallen, wenn man sie mit normalen Angriffen piekst. Per Tastendruck kann dann eine solche Ladung Knubbelhäufchen dazu verwendet werden, um Angriffe zu verstärken und Kombo-Punkte aufzufüllen, mit der sich die Kameraden zu gemeinsamen Aktionen animieren lassen. Ansonsten lautet ihr Motto ‘Ohne Punkte, ohne mich’. Faules Pack.

Betörendes Abenteuer-Destillat

Die eher begrenzten Kampf- und Fähigkeitsoptionen könnten nun auf Dauer zu einem Problem werden und fraglos mag das ein oder andere Mal der Wunsch in einem aufflammen, mehr und neue funkelnde Fähigkeiten auf die Köpfe der Gegner niederregnen zu lassen, abseits der Kombo-Punkte, die nach jedem Kampf wieder auf Null schrumpfen. Aber Sea of Stars wirkt der anwallenden Ödnis entgegen, indem es etwaigen Level-Grind sofort den Hahn zudreht. Soll heißen: Es ist nicht notwendig, immer und immer wieder dasselbe Wildvieh mit der gleichen Taktik niederzufeuern, um die notwendigen EXP-Stufen emporzukriechen, die für den nächsten Boss notwendig sind. Stattdessen orieniert man sich hier an den SNES’igen Alttitan ChronoTrigger, indem man sich unter anderem durch ein präzise austariertes Kampf-Pacing auszeichnet. Was um alles in der Welt soll das heißen, Schreiber?! Erklären Sie sich! Gerne: Statt dass man mit Zufällskämpfen torpediert oder von einer stalking-besessenen Anzahl an Monstermodellen malträtiert wird, ist jedes Zusammentreffen mit Gegnern ebenfalls ein spezifischer Teil des Pfades durch die Umgebungen. Zum Beispiel kann es sein, dass man in einem sturmumtosten Kliff an ein paar Schiffshinterlassenschaften herumklettert, nur um dann auf einen Zombiepiraten-Ausguck zu treffen, der seine Kollegen herbeiyaaaart. An anderer Stelle mögen ein paar mit Pilzbomben Ping-Pong spielende Schildkrötenmonster ärgerlich von ihrem Spiel unterbrochen, sich der abenteuernden Mannschaft zuwenden. Diese stärker vorbestimmten Kämpfe sorgen dafür, dass man ohnehin ein gewisses Maß an EXP verdient und nicht wie ein Irrer mit Bienen im Beinkleid Korridore hoch und runterrennt, um den nächsten Kampf auszulösen. Generell ist Sea of Stars in vielerlei Hinsicht fokusierter als Genre-Kollegen. So gibt es zwar ein paar Nebentätigkeiten wie das allseits beliebte Fisch-an-Land-zerren oder ein kleines Mini-Game in jeder Taverne, um sich von dem Story-Geschehen zu erholen, aber es bleibt äußerst überschaubar und während überbordende Welten mit zahlreichen Quests und Gelegenheiten zum fröhlichen Dungeondiving keineswegs verwerflich sind, arbeitet diese Zielstrebigkeit von Sea of Stars sehr zu seinem Vorteil. Alles ist viel stärker auf das Abenteuer hin ausgerichtet, auf das Erleben der Welt ohne sich zu sehr in Jobleveln, Kopfgeldjagden oder ähnlichem zu verlieren.

Fazit

Sea of Stars ist eine Liebelei mit der Nostalgie, wie man sie gerne häufiger sehen dürfte. Nicht nur dass klar erkennbar ist, mit wie viel Detailliebe und Humor die Entwickler bei der Gestaltung von Welt und Charakteren zu Werke gegangen sind, es ist auch klar, dass sie einen klaren Blick auf das haben, was im Genre funktioniert ohne zu altbacken zu bleiben und ein paar moderne Kniffe anzubringen. Es ist schlicht ein schönes Abenteuer, das einen von Anfang bis Ende durchzieht, auch wenn die Geschichte sicher keine Bäume ausreißt, so hat sie doch immer wieder kleinere Ideen und Wendungen, die einen schmunzeln, grinsen und mitfiebern lassen. Besonders gut hat mir gefallen wie viel lebhafter die Umgebungen durch die beschriebenen Platform-Passagen gewirkt haben. Es hat eine ganz eigene Dynamik bekommen, auch wenn es keine wirklichen Platform-Passagen mit schweißnasser Stirn und Fingern waren und einem absoluten Hass auf einen nicht zum besten Zeitpunkt hüpfenden Charakter. Es geht mehr um das Gefühl, dass sie aufleben lassen, und nicht nur durch das Klettern und Krackseln, sondern durch … schlichtweg alles. Faktisch fällt es mir enorm schwer große Kritikpunkte anzubringen; ein paar mehr Fähigkeiten wären schön gewesen oder ein Kombo-Meter, das nicht immer wieder auf Null abstürzt, damit man die toll anzuschauenden gemeinsamen Attacken häufiger zu sehen bekommt. Allerdings sind das eher Kleinigkeiten als wirkliche vernichtende ‘Wie konnten sie es wagen!?’-Punkte. Die Handlung hat mich auch sicherlich nicht auf eine Weise mitgerissen, wie es mein persönlicher JRPG-Genre-Olymp geschafft hat, aber es war auch keine simple Stangenware, die einfach obendrauf gesetzt wurde. Es ist im besten Sinne ein simples, zielstrebiges und wunderschön anzuschauendes (sowie zu spielendes) Abenteuer, bei dem jeder, der etwas mit JRPGs anzufangen weiß, zuschlagen sollte. Oder zumindest einen ausgiebigen langen Blick auf die Demo werfen, denn soviel Aufmerksamkeit hat es wohl absolut verdient.

© Sabotage Studio

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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