Gris
Der Indie-Platformer Gris des spanischen Entwickler-Studios Nomada ist eines der letzten bemerkenswerten Spiele, die im Jahre 2018 veröffentlicht wurden. Von vielen Kritikern als visuelles Meisterstück verehrt, erzählt Gris vom Umgang mit Trauer und Verlust. Dabei bedient sich Gris der Vast Narrative, einer Erzähltechnik, bei der die Geschichte nicht durch Dialoge, sondern die Spielwelt selbst an den Spieler herangetragen wird. Das macht Gris zu einem visuell beeindruckenden, interaktiven Film, aber auch zu einem sehr mäßigen Platformer. An seinem vierten Jahrestag, am 13. Dezember 2022, erscheint das Spiel für PlayStation 5 und Xbox Series S/X.
Gris (nicht nur der Name des Spiels, sondern auch der Spielfigur) erwacht weit oben in den Lüften in der Geborgenheit einer riesigen steinernen Hand. Umgeben von Wind und Wolken stimmt sie ein Lied an und verliert dabei ihre Stimme. Die steinerne Hand bricht auseinander und Gris stürzt zurück auf die Erde, hinein in eine graue, farblose Ödnis. Gris macht sich auf den beschwerlichen Weg, ihre Stimme, ihre Zuversicht und sämtliche Farben wieder zu erlangen.
Die Basics
Gris setzt sich aus fünf Spielabschnitten zusammen, die alle auf einer Farbe basieren. Bewegt sich der Spieler anfangs durch eine rein graue Welt, kommt mit jedem Abschnitt eine neue Farbe dazu. Zusätzlich erlangt Gris’ formwandelnder Umhang mit jedem Level eine neue Fähigkeit. In ihrer Form als wuchtiger Klotz kann Gris z.B. durch beschädigte Böden in neue Abschnitte vordringen oder sich gegen Sturmböen behaupten. Der Levelabschluss wird grundsätzlich auf vertikalem Wege erreicht, das heißt, das Ziel liegt stets oben. Nach getaner Arbeit springt Gris wieder in die Tiefen, um den Aufstieg woanders von Neuem zu beginnen.
Eine Prise Wissenschaft
Originaltitel | Gris |
Jahr | 2018 |
Plattform | Nintendo Switch, Windows, MacOS |
Genre | Jump’n’Run, Adventure |
Entwickler | Nomada Studio |
Publisher | Devolver Digital |
Spieler | 1 |
Veröffentlichung: 13. Dezember 2018 / 13. Dezember 2022 |
Auf die Gefahr hin, allzu wissenschaftlich zu klingen (man soll die Kunst ja Kunst sein lassen, gell): Der Spielaufbau von Gris erinnert an das Fünf-Phasen-Modell der Trauer von Kügler-Ross. Tatsächlich verweisen auch die Namen der Achievements darauf: Verleugnung, Zorn, Verhandlung, Depression, Akzeptanz. Nach Kügler-Ross verlaufen diese Phasen nicht strikt nacheinander, sondern gehen fließend ineinander über. Manchmal werden bereits getätigte Schritte in der Phasenentwicklung wieder zurück gegangen – identisch mit Gris’ fortwährendem Neuaufstieg.
Gefühle aus Stein
Dass der Weg von Gris die Bewältigung von Trauer darstellt, wird auch anhand der Statuen klar, die einem während des Spielverlaufs immer wieder begegnen. Zum Beispiel sieht sich Gris in einer Szene von steinernen Klagefrauen umringt. Indem sie die Fähigkeit ihres Umhanges nutzt und sich in ihrer Form als wuchtiger Quader Luft macht, kann sich Gris aus der Situation befreien (übrigens die zweite Phase nach Kügler-Ross: Zorn). Nicht zu vergessen sei auch der eine monumentale Koloss, der zu Beginn des Spiels zusammenbricht, als Gris ihre Stimme verliert. Ein Koloss, der am Ende eines jeden Kapitels wie eine Heiligenfigur erscheint – voller Risse und unvollständig, aber bestrebt, wieder ganz zu werden.
Tuscheoptik made in Spain
Statuen und Farben sind der Hauptpfeiler des Spiels, denn sie erzählen die Geschichte von Gris. Es gibt keine Dialoge und auch keine gewöhnliche Narrative, deswegen liegt der Fokus allein auf den Visuals. In diesen Belangen ist Gris mit seiner traumartigen Wasserfarbenästhetik wirklich hübsch anzuschauen. Zerfallene Statuen, hoch aufragende Tempel, lumineszierende Höhlen, formwandelnde, wie mit Tinte gemalte Vögel und Bäume, deren Laub zwischen quadratischen, dreieckigen und nahezu unsichtbaren Zuständen hin und herwechselt. Der spanische Künstler Conrad Roset, der bereits in London und San Francisco ausgestellt hat, zeichnet sich als Art Director für das unique Design von Gris verantwortlich.
Score made in Spain, too
In derselben Liga wie die Visuals bewegt sich auch der Score von Berlinist, einem Musiker- und Produzententrio aus Spanien. Wo es einem Medium an herkömmlicher Narrative fehlt, ist natürlich auch die Musik ein wichtiges Sprachrohr. Der Score ist eine Mischung aus hallenden Synths, Klavierechos, der stereotypen moaning woman und sphärischen Chören. Er besitzt dem gegenüber aber auch einen sehr vordergründigen und erdenden Bass. Ruhe, Dramatik, Verfolgung – alles wird abgedeckt. Besonders gelungen sind jene Stücke, die, dank Orgel, komplett nach Katharsis klingen und der entsprechenden Schlüsselszene erst ihre emotionale Tiefe verleihen.
Gameplay < Atmosphäre
Kommen wir zum Wermutstropfen: Spielerisch ist Gris keine Herausforderung. Hinter dem makellosen Art Design und dem mitreißenden Score verbirgt sich ein ziemlich durchschnittliches Platform-Spiel. Man kann nicht sterben, die Rätsel sind kaum der Rede wert und die Sprungpassagen ausnahmslos larifari. Gris ist geradezu entspannend – und das ist Absicht. Laut Adrian Cuevas, dem Mitbegründer von Nomada Studio, wäre bei Gris eine „smooth experience“ das Ziel gewesen. Wie zuvor schon Journey oder ABZÛ zählt auch Gris zu den Projekten, die Atmosphäre und Emotion über ein komplexes Gameplay stellen.
Fazit
Gris ist eines dieser Kunstspiele. Als Videospiel keine Meisterleistung, aber Kunstliebhaber werden sich einen Keks freuen. Das Spiel hat viel zu bieten: dieses besondere ballettmäßige Bewegungsgefühl, einen tollen Soundtrack, viele wallpaper-würdige Gedächtnisszenen und eine Geschichte gerade so vage, dass man noch in ihr lesen kann. Allerdings: So richtig mein Fall ist das alles nicht. Ich habe mit Vast Narrative-Spielen durchaus einen Vertrag und es gibt nicht wenige, die mir ein intensives, immersives Spielerlebnis verschafft haben (Dear Esther, Journey, Flower). Allerdings kann mich die Atmosphäre von Gris nicht wirklich cashen. Darüber hinaus ist mir auch die Spielästhetik in ihrer Zweidimensionalität irgendwie zu platt. Immerzu Geometrie, immerzu Tusche, immerzu Paläste – nach drei Stunden (von vieren) war ich des Ganzen überdrüssig. Aber naja, trotzdem sehr hübsch gemacht alles, wie kann man da auch anderer Meinung sein. Vom Feeling her ist Gris eher für solche gedacht, die Child of Light und Ori and the Blind Forest mögen und eher weniger für die Dark People unter uns, sprich für die Anhänger von INSIDE und LIMBO.
Danke fürs Vorstellen. Liest sich superspannend und trifft voll meinen Geschmack, insbesondere mit der Thematik Verlust und Trauer (an der Stelle muss ich wirklich RIME empfehlen, das schlägt in dieselbe Kerbe und hat mich Sturzbäche gekostet nach dem Ending). Habe mir Gris auch schon heruntergeladen, sogar für die Nintendo Switch. Jetzt muss ich nur noch die Stimmung für ein solches Spiel finden.
(Übrigens: die 133 Facebook Likes oben sprechen auch für sich).
Ai, für Switch? Also in manchen Szenen wurde so arg heraus gezoomt, dass ich ja sogar am PC Probleme hatte, meine Figur wieder zu finden 😀 Aber jut, im Notfall kannste ja den Fernseher anmachen.
Rime hatte ich mir herunter geladen nach deinem Artikel dazu. Der richtige Spielmoment dafür muss nur noch kommen.
p.s.: 133… ich staune.