Piggy
Mehr denn je sind wir in den 2020ern sensibilisiert für Bodyshaming und (Cyber-)Mobbing. Zentrale Themen in Carlota Peredas 2018 erschienenem Kurzfilm Piggy, der vier Jahr später zu einem Langfilm ausgewertet wurde. Die Handlung stellt eine interessante Grundfrage: Was würde man tun, wenn Menschen, die einem jeden Tag das Leben zur Hölle machen, verschleppt werden? Schweigen, obwohl man Hinweise zur Tat geben kann, oder aktiv werden und helfen? Nach einem Deutschland-Debüt auf dem Fantasy Filmfest 2022 und einem limitierten Kinostart erschien der Film am 2. Dezember 2022 auf Blu-ray und DVD.
Sara ist Tochter des Metzgers und erfüllt aufgrund ihrer Fettleibigkeit auch alle Klischees, die man mit einer Metzgerstochter in Verbindung bringen könnte. Dazu kommt, dass der Sommer alles zum Vorschein bringt, was Sara zum Mobbing-Opfer unter ihren Mitschüler:innen macht. Das alles ändert sich, als ein Fremder in das spanische Dorf kommt. Dieser lässt Sara links liegen und konzentriert sich auf ihre Mobberinnen – um sie anschließend zu entführen. Doch anstatt Licht ins Dunkel zu bringen, setzt Sara alles daran, die Spuren zu verwischen …
Sara ist nicht Carrie
Originaltitel | Cerdita |
Jahr | 2022 |
Land | Spanien |
Genre | Coming of Age, Drama, Horror |
Regie | Carlota Pereda |
Cast | Sara: Laura Galán Fremder: Adrian Grösser Mutter: Carmen Machi Vater: Julián Valcárcel Pedro: José Pastor Claudia: Irene Ferreiro Roci: Camille Aguilar Maca: Claudia Salas |
Laufzeit | 100 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 2. Dezember 2022 |
Mobbing im Horrorfilm ist kein neues, dafür ein immer wieder gerne verwendetes Thema, eröffnet es doch Chancen für Rache-Motive. Piggy folgt da in groben Zügen Stephen Kings Carrie, wenn die in die Außenseiterrolle gemobbte Sara über sich hinauswächst und dies fatale Folgen für ihr Umfeld hat. Nur besitzt Sara keine bösen Kräfte und auch keinen bösartigen Charakter. Sie ist einfach schüchtern und verzweifelt. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie zum rachsüchtigen Teenager umzumodeln, aber Piggy zeigt Ambitionen zur Vielseitigkeit. Ein echter Genre-Mix, der auf Drama, Crime, Coming of Age und eben Horror setzt. So richtig überzeugend davon ist allerdings nur der Aspekt der Mobbing-Geschichte, was daran liegt, dass Larau Galán eine glaubhafte Darstellerin mit entsprechendem Erscheinungsbild ist und man ihr aufgrund gesellschaftlicher Maßstäbe sofort abkauft, dass sie viele kritische Blicke einstecken muss. Authentisch ist das in jedem Fall. „Schweinchen!” und „Fette Sau!“ rufen andere ihr hinterher und es tut weh, das mitansehen zu müssen.
Voller Körpereinsatz
Laura Galán ist für die Rolle der Sara in keinen Fatsuit gestiegen und ihre Körperform wurde auch nicht digital nachbearbeitet. Die Schauspielerin trägt ihren Körper offen zur Schau und geht selbstbewusst damit um, auch wenn ihre Rolle gegenteilig angelegt ist. Große schauspielerische Herausforderungen gibt es allerdings nicht zu bewältigen. Vieles davon passiert ohne Dialog und spielt sich eher zwischen den Zeilen ab, so dass es häufig eher darum geht, sich in Saras Lage zu versetzen, als dass Sara sich sonderlich öffnen muss. Das ist ein Punkt, in dem der Film kläglich versagt: Sara bleibt eine wortkarge und passive Figur ohne spürbare Eigensinnigkeit. Sie reagiert stets, kriegt aber keine Eigendynamik verliehen. Bemerkenswert ist indes Carmen Machi als übergriffige Mutter, die ihre Rolle fantastisch verkörpert.
Ein bisschen spanischer Sommer
Carlota Pereda kreiert für ihren Film stimmungsvolle Bilder. Von melancholisch bis düster, ja manchmal sogar angenehm schwarzhumorig. So entfaltet sich eine bedrückende Sommerstimmung, die für ihr Publikum ähnlich anstrengend wirkt wie für die Figuren. Das dörfliche Setting schafft Glaubwürdigkeit, die Figuren wirken insgesamt weniger gebildet und aufgeklärt und so wirkt der Handlungsbogen, als könnte all das tatsächlich irgendwo passiert sein. Am Ende geht es vor allem darum, eine feministische Botschaft zu entsenden und Platz zu schaffen für ein Thema wie Bodyshaming. Nur eben mal nicht als Sozialdrama, sondern auf eine eigensinnige Weise. Insofern ist es ärgerlich, dass Piggy große Teile des Films auf abegriffene Slasher-Tropes verschwendet, als sich auf die eigenen Stärken zu fokussieren.
Fazit
Es ist in erster Linie der zwischenmenschliche Schrecken, für den sich Piggy interessiert. Die Horror-Elemente erscheinen beinahe beiläufig, denn vor allem handelt es sich um eine mitunter gemeine Bodyshaming-Komödie, die in ihrer Konsequenz mitunter ziemlich fies ist. Auf der Genre-Ebene funktioniert das alles gut, erzählerisch bleibt das Ergebnis erschreckend unrund. Denn das, worauf alles hinausläuft, ist wenig überraschend und ebenso auch wenig aufregend. Was nicht klar beantwortet werden kann, ist somit die Frage, ob der zugrunde liegende Kurzfilm wirklich nicht ausgereicht hätte für alle Ideen, denn einen großen Mehrwert bietet die Langfassung nicht. Eine Chance geben sollte man dem wilden Genre-Mix durchaus, denn viele vergleichbare Titel existieren nicht.
© Pierrot LeFou
Veröffentlichung: 2. Dezember 2022