Mixed-up First Love

Die Oberstufenzeit ist eine turbulente Zeit für junge Menschen. Insbesondere für den schwer verliebten Aoki. Wäre da nur nicht ein gewisser Radiergummi, der nicht nur für ihn alles auf den Kopf stellt. Nachdem die Drama-Adaption My Love Mix-Up! bereits 2021 auf der Streamingplattform Viki einen deutschen Vorgeschmack auf die überraschend etwas andere Liebeskomödie gab, brachte Egmont Manga mit Mixed-up First Love im September 2022 die Vorlage erstmals auf den deutschen Markt. Zeit für einen Blick auf den ersten Band dieses Werks, das sich mittels ernsthaften wie absurden Dialogen respektvoll mit allerlei progressiven Themen auseinander zu setzen weiß.

     

Aoki ist heimlich in seine Klassenkameradin Hashimoto verliebt. Als er einen Radierer vergisst, leiht sie ihm ihren, doch muss er feststellen, dass sie den Namen ihres Schwarms drauf eingeritzt hat. Zu allem Überfluss sitzt der Besitzer ebendiesen Namens, Ida, auch noch direkt vor ihm und sammelt den Radierer auf, als er versehentlich vom Tisch fällt. Um Hashimotos Gefühle nicht aus Versehen zu verletzten, behält er für sich, dass der Radierer gar nicht ihm gehört. Was Ida, der schon keinen blassen Schimmer vom konventionellen Liebesthema an sich hat, erstmal aus der Fassung bringt. Aber er macht sich dann ganz ernsthaft Gedanken darüber, was Aoki mitten in seinem Liebeskummer nicht so ganz kaltlässt. Und hinter dem Radierer steckt überraschend auch noch mehr als zunächst angenommen.

Missverständnisse und wenn sie wahr werden

Originaltitel Kieta Hatsukoi
Jahr 2019–2022
Band 1 / 9
Genre Romanze, Komödie, Slice of Life
Autorin Wataru Hinekure
Mangaka Ayuko
Verlag Egmont Manga (2022)
Veröffentlichung: 9. September 2022

Missverständnisse sind ein Stammgast im Romantik-Genre und mehr als oft ist das daraus entstehende Drama zum Haareraufen, denn zumeist würde sich alles lösen, wenn die Akteure nur einmal den Mund aufmachen würden. Mixed-up First Love geht damit ein klein wenig anders um. Das Missverständnis um den Radiergummi startet zwar alles und zieht auch noch eine Weile lang durch, bis es sich glatt bewahrheitet. Doch manifestiert sich darin auch die Mehrschichtigkeit, um die es bei der Serie eigentlich geht: Dass jeder anders tickt, andere Ideen und Vorstellungen hat, die jeder mit unterschiedlichem Tempo verarbeitet und auszudrücken vermag. Es geht weniger darum, dass niemand je den Dialog sucht, sondern dass man selbst bei dem Versuch unweigerlich aneinander vorbeiredet, wenn man sich noch nicht kennt und adäquat aufeinander zugeht. So geht es erst einmal um das Einander-ordentlich-kennenlernen. Oder sich selbst erst einmal einordnen.

Überraschung: Queer. Wie wäre es gar mit einem Doppelpack?

Queeren Wortschatz verwendet die Serie mit keinem Wort, aber Aoki ist offenkundig biromantisch/-sexuell, denn seine Gefühle für Hashimoto und seine neuen für Ida sind vollkommen gleichwertig, was er auch ziemlich schnell bemerkt. Für einen Mainstream-Shoujo-Manga ist so eine Figur schon ausgesprochen selten und in einer Welt ohne Beispiele erwischt es Aoki auch ordentlich auf dem kalten Fuß. Gleich doppelt, denn mit einem eher empfindlichen Charakter, der stark und heftig emotional reagiert, scheint ihn das Leben auch so schon genug zu überfordern. Aber tatsächlich ist Ida eine noch viel seltenere Repräsentation eines Teenagers auf dem aromantisch/asexuellem Spektrum. Und mit ihm wird auch mit den Erwartungen des Lesers gespielt: Ist er überfordert, weil die Idee von gleichgeschlechtiger Beziehung vollkommen fremd war? Ja und nein. Ist das ein grundsätzliches Problem für nicht? Eigentlich nicht. Trotz zahlreicher Fragezeichen, die am laufenden Band buchstäblich über seinem Kopf schwirren, umschifft er dennoch auch das Klischee eines weltfremden Kindskopf-Spätzünders, der noch nie etwas von Beziehungen gehört hat. Denn er kann sehr wohl (theoretisch) Zeichen deuten, wenn er mal tatsächlich aus dem Blickwinkel heraus nachdenkt. Beide versuchen mit der Konstellation irgendwie umzugehen und hier macht die Serie etwas vor, das kaum sonstige Vorzeigebeispiele hat: Anstatt ein Drama zu spinnen, um tief verwurzelte Ängste, Einsamkeit, Selbstzweifel oder gar Selbsthass zu überkommen, wird hier aufgezeigt, wie man sie schon direkt bei der Entstehung abfangen kann. Und das auch als jemand erst einmal Außenstehendes, wie Hashimoto mehr als nur einmal unter Beweis stellt.

Vor allem aber: Ein explosives RomCom-Feuerwerk für die Lachmuskeln

Aller verwirrender Grübelei zum Trotz lässt die Serie aber auch etwas anderes Wichtiges nicht den Augen: den Unterhaltungswert. Was ebenfalls noch immer eher mit einer Lupe zu suchen ist in bodenständigen queeren Medien, denn mehrheitlich finden sich dort eher schwer verdauliche Bildungsromane als unterhaltsame Geschichten, um den Alltag zu erheitern. Doch für den Zweck bedient sich Mixed-up First Love aus dem gesamten Arsenal des Shoujo-Stils und fährt viele der üblichen Klischees mit derart schweren Geschützen auf, dass selbst alte ausgeleierte Tropes wie absurde Missverständnisse oder das notorische japanische Schulfest mit obligatorischer Theateraufführung wieder ordentlich Munition für die Mundwinkel hergeben. Die deutsche Übersetzung unterstreicht mit einer sprachlichen Jugendlichkeit die Stimmung der Übertreibung ebenfalls sehr passend. Aber nicht nur das, die Serie zieht auch gekonnt sehr klar eine Linie zwischen lustig sein und lustig machen. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, der vielen häufig nicht so klar zu sein scheint, gemessen daran, wie heikel und mit Samthandschuhen das Thema nach wie vor im Allgemeinen behandelt wird (dabei ist es tatsächlich erstaunlich einfach).

Erster Eindruck

Es gibt manchmal so Entdeckungen, die erlebt man und kommt nicht umhin, sich vorzustellen, was wohl gewesen wäre, wäre man im Leben früher darüber gestolpert. Mixed-up First Love ist definitiv so ein Fall für mich in mehr als einer Hinsicht. Als solches habe ich an der Serie vornehmlich nur eines anzukreiden: Das erste Cover ist leider eher verdammt unscheinbar, für das, was unterm Buchdeckel geboten wird. In Japan wurde die Serie 2022 mit dem 9. Band beendet und vollkommen spoilerfrei kann ich zumindest vorwegnehmen: Alles bereits Eingeführte wird mit Konsequenz und Gleichberechtigung weiterverfolgt bzw. nach und nach aufgelöst und weiterentwickelt. Die Serie hat noch einiges mehr zu bieten, als der erste Band bislang andeutet (oder die Drama-Adaption anschneidet) und das nicht nur in Hinblick auf Aoki und Ida, sondern auch Nebenfiguren wie Hashimoto. Mixed-up First Love liefert auf so vielen Ebenen ab, aber vor allem erstaunt die Serie dadurch, dass sie aller Slapstick-Überzeichnungen zum Trotz etwas vollkommen Greifbares und einfach Nachmachbares vormacht. Es sind oft geradezu banale Kleinigkeiten, aber für Betroffene mitten in einer Phase voller Unsicherheiten können sie sehr viel Beistand bedeuten. Und das alles eingebettet in einer Serie, die mit allen möglichen Shojo-Tropes jongliert, genauso viele demontiert und vor allem einfach gute Laune macht.

© Egmont Manga


Veröffentlichung: 9. September 2022

 

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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