Ich kann dich nicht erreichen

Shoujo-Romanzen kennt der Manga-Markt hierzulande seit seines Anbeginns. Auch das Boys-Love Genre ist ein nicht mehr wegzudenkendes Segment. Neuer sind noch bodenständige queere Geschichten als Hauptfokus. Doch wie könnte ein Spagat zwischen allen Komponenten aussehen? Die seit dem 4. August 2022 veröffentlichte Reihe Ich kann dich nicht erreichen bietet sich dafür als durchaus ansprechenden, wenn nicht sogar ersten Kandidaten auf dem deutschen Markt an.

       

Yamato und Kakeru sind Kindheitsfreunde und so unterschiedlich wie Tag und Nacht: Yamato ist groß gewachsen, gutaussehend, einer der Besten in der Schule, aber auch recht schweigsam. Der eher kleinwüchsige Kakeru mit seinem sehr normalen Gesicht und eher unterdurchschnittlichen Noten erscheint derweil wie ein offenes Buch. Als Kakeru mitbekommt, dass Yamato ein Liebesgeständnis von einem Mädchen bekam und das zum beiläufigen Gesprächsthema zwischen ihnen wird, fragt er ihn neugierig, ob er nicht jemanden im Sinn hat. Als Kakeru auf das Schweigen hin erst denkt, dass das nicht sein kann, da er nie etwas dahingehend erwähnt hat, spricht Yamato mehr als nur einmal seinen Namen aus …

Shoujo-Romantik meets Boys Love: Die Grenzen verschwimmen

Originaltitel Kimi ni wa Todokanai
Jahr 2018
Genre Romanze, Boys Love
Bände 6+
Mangaka Mika
Verlag Manga Cult
Veröffentlichung: 4. August 2022

Ich kann dich nicht erreichen ist in Sachen Ästhetik und Präsentation definitiv dem Mainstream Shoujo-Stil zuzuordnen. Aufgrund der Prämisse ist die Serie aber auch ohne Zweifel offenkundig Boys Love (BL). So sehr, dass sich japanische Buchhändler und Ebook-Anbieter oft nicht so ganz einig sind, in welche Kategorie die Serie einsortiert gehört. So abwegig erscheint die Mischung von BL mit herkömmlichen Genre-Strukturen heutzutage vielleicht gar nicht mehr; ein Love & Lies inkludiert auch einen Jungen in des männlichen Protagonisten “Harem” und spätestens seit dem großen Erfolg von Mixed-up First Love ist es sicher kein atemberaubender Plot-Twist mehr, traditionelle Shoujo-Romantik mit einem BL-Pairing zu kombinieren. Als diese Serie 2018 die Welt erblickte, war das aber noch ziemlich frisch und auch noch heute ist die Kombination eher selten anzutreffen (ironischerweise, da BL ganz ursprünglich aus dem Shoujo-Genre entsprang). Die Reihe ist durchaus ein willkommener Vertreter dafür, dass queere Geschichten nicht in ihre eigene Nischenkategorie abgeschoben werden müssen.

Boys Love, aber auch Coming of Age-Queer

Ich kann dich nicht erreichen mag technisch betrachtet BL sein, aber an dessen genre-etablierten (oft dubiosen) Erzähltraditionen bedient es sich praktisch gar nicht. Man findet dafür zwar sehr viele etablierte Shoujo-Stilmittel wieder, aber die Serie verlässt sich nicht nur darauf, sondern gibt den Figuren auch ihren Raum. Yamato ist introvertiert, menschenscheu, stellt sich selbst ständig hinten an und wird dennoch laufend missverstanden. Er ist sich seiner Art bewusst und dass er verliebt ist, mit allen Komplikationen und die Art macht alles komplizierter für ihn, aber die Serie etabliert auch, dass das Problem nicht einzig im wahrgenommenen Tabu liegt. Gleiches gilt für Kakeru, der eigentlich schon direkt im ersten Kapitel begreift, was Sache ist, aber seine Zeit braucht, sich aufgrund seines eigenen mangelhaften Selbstvertrauens dessen zu stellen. Hier vermischt sich die ziemlich typisch queere Fragestellung des “Kann das überhaupt sein?” mit einer jugendlichen Unsicherheit zum eigenem Selbst(wert)bild und den Themen Romantik und Sexualität.

Fluffig-niedlich, kommunikativ und offenherzig

Wie man es vom einer romantischen Geschichte erwartet, gibt es einiges an Drama in dieser Serie, doch Ich kann dich nicht erreichen bindet laufend fluffig-leichtherzigen Humor mit ein, um dem Ganzen etwas an Schwere zu nehmen. Aber stets ohne sich je leichtfertig darüber lustig zu machen. Die Unsicherheiten brauchen ihren Raum, was manch einem etwas langsam vorkommen kann, aber vor allem werden sie respektvoll behandelt. Die Figuren sind letztlich alle offenherzig und suchen sehr schnell etwas, dass man in Romantik-Serien selten so bald sieht: das Gespräch. Schon früh werden die Weichen gestellt, dass ein kommunikatives Miteinanderreden angestrebt wird. Das passiert zwar noch sehr ungeschickt und unbeholfen, aber signalisiert bereits etwas sehr Gesundes. Währenddessen ist es auch einfach goldig, ihnen bei ihren Trial & Errors zuzusehen. Der Zeichenstil wartet ebenfalls nebst einfühlsamer Ausdrucksstärke mit einem meisterlichen Händchen für visuellen Humor auf.

Erster Eindruck

Die Serie jongliert bewandert mit diversen etablierten Shoujo-Romantik-Tropes und das Artwork ist ebenso versatil. Aber vor allem bekommt man hier gut ausgebaute Figuren sowie stetig voranschreitende Charakterentwicklungen präsentiert. Die BL-Note spielt als Komplexitätsfaktor durchaus ihre Rolle, aber alle Hürden sind in erster Linie Resultate aus den Charakterzügen der Figuren. Für manch einen kann die Serie zugegebenermaßen etwas langsam vorkommen, aber es passt zu den vorgestellten Protagonisten. Persönlich bin ich aber auch erstaunt, wie realitätsnah mir die Serie stellenweise vorkommt. Yamatos Gesicht und Reaktion als Kakeru im halben Witz, halben Ernst fragt, ob er sich nicht vielleicht in ein gewisses Mädchen verguckt hat, ist humoristisch nicht nur absolut Gold wert, sondern auch mächtig Déjà-vu-würdig: Natürlich vermutet die weite Welt so etwas als erstes, obwohl nichts ferner liegen könnte. Wie konnte man das nur je vergessen?

© Manga Cult


Veröffentlichung: 4. August 2022

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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