Blizzard of Souls – Zwischen den Fronten

Es ist ein ganzes Land, das in Blizzard of Souls – Zwischen den Fronten zwischen die Fronten des ersten Weltkriegs gerät. Lettland hat 1915 das Pech, zu Russland zu gehören und wird so Schauplatz erbitterter Schlachten zwischen dem deutschen Kaiserreich und dem zaristischen Russland. Beruhend auf einem Roman des lettischen Autors Aleksandrs Grins (Nameja gredzens), schildert der Film der historischen Umwälzungen dieser Zeit aus der Perspektive eines 16-jährigen Jungen, der sich 1915 freiwillig zur Armee meldet und im Laufe der nächsten Jahre das Grauen des Krieges am eigenen Leib erlebt. Für das lettische Kino ist Blizzard of Souls – Zwischen den Fronten mit einem Budget von 2,5 Millionen Euro eine Großproduktion und ein Blick auf die eigene Geschichte. Ab dem 27. November 2020 ist der Film in Deutschland auf DVD und Blu-Ray erhältlich, dann kann sich auch das deutsche Publikum ein Bild von einem hierzulande wenig beachteten Aspekt der europäischen Geschichte machen.

 

Arturs ist 16, als im Jahr 1915 deutsche Soldaten auf Erkundungszug seine Mutter erschießen. Die Russen zünden dann sein Elternhaus an, um den vorrückenden deutschen Truppen nur verbrannte Erde zurückzulassen. Arturs meldet sich freiwillig zur Armee, wie auch sein Bruder Edgars und sein Vater, der ehemalige Feldwebel. Unter dem Kommando seines Vaters durchläuft Arturs die Grundausbildung, lernt marschieren und schießen und findet sich alsbald an der Front wieder. Er erlebt Grabenkrieg und Gasangriffe, wird mehrmals verwundet, verliert Freunde und Verwandte, verliebt sich aber auch in die Krankenschwester Marta. Irgendwann tauchen bolschewistische Flugblätter auf, dann trägt auch Artur einen roten Stern. Doch als er einen Freund als Konterrevolutionär erschießen soll, flieht er und schließt sich der lettischen Unabhängigkeitsarmee an …

Der erste Weltkrieg aus lettischer Sicht

Originaltitel Dvēseļu putenis
Jahr 2019
Land Lettland
Genre Kriegsfilm
Regie Dzintars Dreibergs
Cast Artūrs Vanags: Oto Brantevics
Edgars Vanags: Raimonds Celms
Vater: Mārtiņš Vilsons
Mikelsons: Jekabs Reinis
Konrads: Gatis Gaga
Marta: Greta Trusina
Spilva: Renars Zeltins
Sala: Vilis Daudzins
Laufzeit 104 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 27. November 2020

Für den deutschen Kinogänger sieht der erste Weltkrieg etwa so aus: Da sind die Schützengräben von Verdun, das Grauen des Stellungskriegs und die Erkenntnis, dass das alles ein sinnloses Morden für hohle Nationalismus-Phrasen ist. Dass auch da oben im Baltikum schreckliche Schlachten tobten, ist hierzulande kaum jemandem bewusst. Für Lettland ist es das Erlebnis, von einem Weltkrieg überrollt zu werden, mit dem man eigentlich gar nichts zu tun hat. Aber auch sich in den Wirren nach der russischen Revolution eine kurzlebige Unabhängigkeit zu erkämpfen. Wo in Deutschland der erste Weltkrieg und umso mehr der zweite dafür gesorgt haben, das Wort “Vaterland” gründlich zu diskreditieren, ist das in Blizzard of Souls – Zwischen den Fronten ganz anders. Da gibt es zwar das Grauen des Krieges. Aber auch den Ausblick auf den eigenen Gründungsmythos und das Fazit, dass all das Leiden nicht umsonst ist.

Von einer Schlacht zur nächsten

Die Frage ist: Teilt sich das auch mit? Erstmal vorweg: der Film braucht den Vergleich mit ungleich teureren europäischen Produktionen nicht zu scheuen. Die historischen Kulissen und die vielen Schlachtszenen sehen richtig gut aus. Und weil das so gut aussieht, kriegt man eine Menge davon. Arturs driftet von einer Schlacht zur nächsten. Mal im Nebel zwischen Birken. Mal im Matsch. Mal mit Giftgas. Mal nachts und im Schnee. Das ist selten heroisch, eher blutig, traumatisierend und unübersichtlich. Zwischendrin die kleinen Freuden des Soldatentums: ein Mädchen küssen. Eine Gans erbeuten und kochen. In einem verwüsteten Haus eine Handvoll Kandiszucker finden und in den Mund stecken. Den Überblick, wie die Dinge sich entwickeln, welche Schlacht entscheidend ist, was außerhalb der Schützengräben geschieht, bekommt man nicht, ebenso wenig wie Arturs. Auch die Umwälzungen in Russland, der Sieg der Bolschewiken und die Lage in Lettland nach dem Untergang des Zarenreichs und der Niederlage Deutschlands werden höchstens gestreift, obwohl sie für die Handlung enorm wichtig sind. Eine geschichtliche Nachhilfestunde will der Film nicht sein, der scheint eher darauf zu vertrauen, dass das Publikum die Eckdaten im Kopf hat.

Ein Vater-Sohn-Konflikt?

Um was geht es also, außer dass Arturs vom kindlichen Teenager, der noch gern mit Mutter kuschelt, zum alten Frontschwein wird, das seinerseits Jugendliche in den Kampf schickt? Da könnte das Vater-Sohn-Verhältnis sein, das Erzählstoff bietet. Der Vater, gleichzeitig Arturs’ Feldwebel, der sich stolze 56 Kerben für erlegte deutsche Soldaten in den Gewehrkolben gemacht hat. Dagegen Arturs, der nach dem ersten traumatischen Erlebnis im Schützengraben immer wieder daran scheitert, einen Menschen zu töten, auch wenn das den Tod von Kameraden zur Folge hat. Könnte funktionieren. Aber der Krieg kennt keine Handlungsbögen. Und so ist Arturs’ Vater etwa zur Hälfte des Films schon tot. Ebenso wie Arturs’ Bruder Edgars und im Laufe des Films alle Freunde, die Arturs unterwegs getroffen hat. Es bleib keiner, mit den Arturs einen gemeinsamen Bogen haben könnte. Da ist zwar auch eine Liebesgeschichte. Aber die wird sehr beiläufig und unemotional eingesetzt, nur eine Episode unter vielen. Das macht den Film trotz des breit geschilderten Kriegsgeschehens emotional wenig zugänglich und irgendwie ziellos.

Fazit

Blizzard of Souls – Zwischen den Fronten ist ein Film, der historisches Hintergrundwissen voraussetzt, damit man ihn ganz würdigen kann. Denn er liefert nur wenig davon, sondern konzentriert sich auf die Erlebnisse eines Einzelnen, der von Schlacht zu Schlacht stolpert, ohne dabei besonders individuelle Konturen zu entwickeln, weil er als Platzhalter für die Erlebnisse einer ganzen Generationen angelegt ist. Sind das die Erlebnisse des eigenen Urgroßvaters, hat mal wohl einen anderen Bezug dazu als ein unbedarfter Zuschauer, der vor allem Schlachtszenen aus dem ersten Weltkrieg sieht, ohne sie wirklich einordnen zu können. Für solche Zuschauer wird der Film erst im Abspann interessant, wenn man etwas über das Schicksal des Romanautors erfährt und anhand all der historischen Fotos sieht, wie sehr sich der Film bemüht, ganz nah an der Realität zu bleiben. Aber auch dann bleiben eine Menge Fragen offen.

© Pandastorm Pictures


Veröffentlichung: 27. November 2020

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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