X-Men: Erste Entscheidung
Neue Schauspieler, neuer Regisseur, neue Abenteuer. Bei X-Men: Erste Entscheidung stehen alle Zeichen auf Neustart. Und doch gab es 2011 kein richtiges Reboot der Filmreihe, sondern eine Neuerzählung der Vergangenheit. Denn so läuft das in ewig langen Superheldencomics. Wenn etwas nicht passt, wird es passend gemacht. Und nach zwei schwächelnden Filmen finden die X-Men in ihrem fünften Leinwandauftritt zu neuer Stärke. Mit historischem Rückhalt und einem klaren Fokus auf Charakterentwicklung.
Charles Xavier (James McAvoy, Split) feiert 1962 seine Habilitation. Sein Interesse an Genetik ist dabei persönlicher Natur, denn er ist ein Telepath. Gedankenlesen kann er schon seit seiner Kindheit und er vermutet, dass die Menschheit eine neue Stufe der Evolution erreicht. Mutanten müssten überall auf der Welt existieren. Seine Ziehschwester Raven (Jennifer Lawrence, Red Sparrow) kann etwa ihre Gestalt beliebig anpassen, was sie nutzt, um nicht aufzufallen, da ihre natürliche Hautfarbe blau ist. Xavier wird auf Grund seiner Expertise von der CIA-Agentin Rose MacTaggert (Rose Byrne, Sunshine) aufgesucht. Sie hat ungewöhnliche Vorkommnisse beobachtet, die ihr niemand glaubt, aber den zerbrechlichen Weltfrieden erschüttern könnten. Sie muss beweisen, dass es Mutanten gibt und dass einer von ihnen namens Sebastian Shaw (Kevin Bacon, Flatliners) finstere Pläne schmiedet. Noch jemand ist hinter Shaw her. Erik Lensherr (Michael Fassbender, Prometheus) hat als Kind den Holocaust überlebt, hat im KZ aber seine Familie verloren und musste Experimente über sich ergehen lassen. Auch er ist ein Mutant, mit der Fähigkeit Magnetismus für sich zu nutzen. Diese Gabe setzt er ein, um Nazis zu jagen. Die Wege von Lensherr und Xavier kreuzen sich, was das Leben beider Männer nachhaltig prägen wird.
Bekannte Figuren neu erzählt
Originaltitel | X: First Class |
Jahr | 2011 |
Land | USA |
Genre | Action, Science-Fiction |
Regisseur | Matthew Vaughn |
Cast | Charles Xavier: James McAvoy Erik Lensherr/Magneto: Michael Fassbender Raven/Mystique: Jennifer Lawrence Sebastian Shaw: Kevin Bacon Moira MacTaggert: Rose Byrne Hank McCoy/Beast: Nicholas Hoult Emma Frost: January Jones |
Laufzeit | 136 Minuten |
FSK |
Während der Vermarktungsphase sorgte X-Men: Erste Entscheidung zunächst für viel Verwirrung. Viele sprachen von einem kompletten Reboot der Reihe und dass keinerlei Verbindung zu den alten Filmen bestehen würde. Das ist aber nur insoweit richtig, als dass man diesen Teil vollkommen unbeschwert anschauen kann und keinerlei Vorwissen von Nöten ist, um die Geschichte im vollen Umfang zu genießen. Zwei kleine Cameos weisen aber schnell darauf hin, dass wir uns noch im selben Filmuniversum befinden.
Eine Reise ins Innere
Der Regisseur Matthew Vaughn hatte 2010 mit Kick-Ass Superheldenerfahrung gesammelt, die für schonungslose Darbietung von Gewalt und einer Entzauberung des Heldenaspektes gelobt wurde. Bei X-Men: Erste Entscheidung beweist er aber, dass er genau diese hoffnungsvolle Komponente von übermächtigen Leuten, die Gutes tun, ebenfalls beherrscht. Und noch dazu bringt er viel Verständnis für die Charaktere mit, die hier wichtiger sind als die Action. Tatsächlich gibt es viele lange Dialogpassagen und diese wirken niemals dröge, denn sie vermitteln die Konflikte und Entwicklungen. Action und Spezialeffekte sind Ausschmückungen und bringen unterhaltsame Schauwerte, damit man zwischendrin beherzt Popcorn knuspern kann. Eine ideale Balance zwischen Ernst und Humor ist schnell gefunden. Charles und Erik lernen sich kennen und freunden sich schnell an, da sie beide endlich jemanden finden, der ebenfalls ein Mutant ist und die Aufbruchstimmung in der Welt sieht. Aber Charles‘ Blick ist etwas positiver, er glaubt an das Gute im Menschen und hofft, dass er die Existenz von Mutanten als natürlichen, nicht bedrohlichen Prozess darlegen kann. Erik hat in frühester Kindheit aber das Schlimmste gesehen, zu dem Menschen fähig sind. Das Trauma sitzt tief und er möchte seine Macht benutzen, um andere zu schützen, wofür er bereitwillig tötet. Es wird deutlich, warum diese zwei befreundet sind und wo ihre Philosophien auseinander driften. Im ersten X-Men wurde gesagt, dass die Freundschaft existierte und der Respekt zwischen ihnen war gegeben, hier ist nun Zeit das näher zu beleuchten. Wobei der Film Erik sehr viel mehr Platz einräumt, da seine Suche nach Shaw persönlich geprägt ist. Und dass das alles so gut funktioniert ist dem Drehbuch, der Regie und den Darstellern zu verdanken.
Teambildung im Kalten Krieg
Erfreulicherweise gibt es aber noch eine Handvoll junger Mutanten, die das Feld der Helden auffüllen. Charles spürt sie auf und es gibt eine angenehme Kennenlernphase mit anschließender Trainingsmontage. Für Comicfans ein nettes who-is-who, wobei klar ist, dass neben Mystique nur Hank McCoy (Nicholas Hoult, Mad Max: Fury Road) auf lange Sicht von Belang ist. Leider versteckt sich hier auch eine der schwächsten Szenen des Films.
Es war befremdlich plötzlich andere Schauspieler vor die Nase gesetzt zu bekommen, aber X-Men: Erste Entscheidung hat mich ganz schnell überzeugen können. McAvoy, Fassbender, Lawrence, Bacon, Byrne – ein fantastischer Cast, denen ich ihre Rollen schnell abgenommen habe. Da macht es auch nichts, wenn der Professor noch Haare hat. Es ist etwas schade, dass Emma Frost nicht ganz das Potenzial ihrer Vorlage erreicht, da sie zu meinen Lieblingen gehört, aber sie passt perfekt zum Dekor. Das klingt abwertend, aber ich stehe total auf den Retro-Look des Films und das 60er Jahre Flair. Charles und Raven als Geschwister zu sehen finde ich eine gewagte Neuerung, der ich eine Menge abgewinnen kann. Und dann kommen dazu Dinge wie der Ursprung von Magnetos Helm, wie die Codenamen aus einem witzigen Gespräch entstehen und eben die Erkenntnis, dass es irgendwann einmal ein allererstes X-Men Team gab, die sich ins Unbekannte stürzten.
Zweite Meinung:
X-Men: Erste Entscheidung ist der erste Film der Reihe, der sein volles Potenzial abruft. Neben den Mutanten und ihren Kräften bleibt viel Raum für persönliche Entfaltung und obendrein auch geschichtlicher Kontext. Mit Emma Frost ist ein Charakter an Bord, der den Zeitgeist der 60er wunderbar transportiert und mit Shaw gibt es endlich einen charismatischen Bösewicht, den man auch gerne als Persönlichkeit wahrnimmt. Doch das unbestreitbare Highlight ist die Freundschaft zwischen Xavier und Erik, die auf eine emotionale Weise an Tiefgang gewinnt, vor allem in Hinblick auf ihre kommende Rivalität. James McAvoy stellt einen empathischen Xavier dar, während Michael Fassbender in der Rolle von Erik überzeugt und gar nicht einmal zwingend als Bösewicht klassifiziert werden kann. Dass dann auch noch der moralische Kompass von Raven, die der Zuschauer als Handlanger kennenlernen durfte, einwandfrei ist, zeugt davon, wie vielschichtig die Charaktere mittlerweile sind.