Das Erwachen

Es gibt Bücher, die möchte man aufgrund ihrer Aktualität und Dringlichkeit allen als Pflichtlektüre in die Hand drücken. Der Schwarm von Frank Schätzing ist so eines. Oder Blackout von Marc Elsberg. Mit Das Erwachen von Andreas Brandhorst, das im Oktober 2017 bei Piper erschien, reiht sich ein weiteres Medienwerk in diese Aufzählung ein. Der Gewinner des Kurt-Laßwitz-Preises 2017 für seinen Science-Fiction-Roman Omni schrieb einen Zukunftsthriller von aktueller Brisanz. An kaum etwas wird momentan so ausgiebig geforscht wie an künstlicher Intelligenz. Doch was ist, wenn sich diese verselbstständigt und über die Menschheit erhebt?

   

In Das Erwachen befreit der Hacker Axel Krohn versehentlich einen Computervirus namens Infiltrator. Der Name ist Programm, kann der Virus sich doch in jedes noch so gut gesicherte Netzwerk einschleichen, um Rechner auf der ganzen Welt zu vernetzen. Kurz nach der Freilassung der Malware befindet sich Axel Krohn auf der Flucht vor der NSA und es kommt zu Stromausfällen und Versagen der Infrastruktur. Doch nicht nur in Hamburg, Axel Krohns Heimatstadt, sondern auch in Rom, in Berlin und in der restlichen Welt, was den ein oder anderen Militärattaché bereits die Säbel rasseln lässt. Schon bald werden die Mächtigen vor die Frage gestellt, ob nicht ein anderer Feind erwacht ist, gegen den man lieber gemeinsam kämpfen sollte.

Höchst brisantes Thema

Schon wenn man den Klappentext liest, wird einem mulmig. Das Zitat “Wir wollten die Welt verändern … Nun haben wir keinen Platz mehr darin” beschreibt die Idee, auf der Das Erwachen aufbaut, ziemlich genau: Was passiert, wenn wir die Künstliche Intelligenz so weit treiben, dass sie zu einer wahren, allumfassenden Intelligenz wird, die so selbstständig wie ein Mensch denken kann, dabei aber im Gegensatz zum einzelnen Individuum auf das gesamte Wissen der Menschheit zurückgreifen kann? Die alle Systeme infiltriert und merkt, dass der Mensch nur falsche Entscheidungen trifft und ebenso langsam wie ineffizient ist? Bereits im Dezember 2014 warnte Stephen Hawking: “Die Entwicklung echter Künstlicher Intelligenz könnte das Ende der Menschheit bedeuten.”

Der Unterschied zwischen künstlicher Intelligenz und Maschinenintelligenz

Künstliche Intelligenz ist oft höchst spezialisiert und kann nur auf begrenzten Wissensgebieten punkten. Zum Beispiel eine Schach-KI, gegen die die weltbesten Schachspieler der Welt keine Chance mehr haben, egal wie “dumm” die Intelligenz eingestellt wird. Doch stellt man dieser KI andere Aufgaben, zum Beispiel die Logistik eines Unternehmens zu übernehmen, wird sie versagen, denn sie ist sozusagen ein Fachidiot. Maschinenintelligenz ist die Fortbildung herkömmlicher KIs: Ein Bewusstsein, entstanden aus Datenmengen, die irgendwann eine kritische Masse erreichten. Wenn sich künstliche Intelligenz weiter fortbildet, Fehler an ihrer Programmierung findet, Lösungswege sucht, um sich selbst zu verbessern und zu einem Zeitpunkt merkt, dass sie existiert, dann erwacht eine Maschinenintelligenz. Sie kann auf alle Datenbanken und Bibliotheken der Welt zugreifen, denn für ihr Denken braucht sie Rechenleistung und die bekommt sie, indem sie immer mehr Rechner, Chips und Server auf der Welt übernimmt und für sich beansprucht. Wann wird sie sich fragen, ob wir Menschen nützlich für sie sind?

Ein erneuter Ausflug in das Genre Thriller

Nach Titeln wie Äon, Die Stadt und Der Seelenfänger ist das Buch nicht Brandhorsts erster Thriller: Künstliche Intelligenz existiert bereits und integriert sich immer mehr in unser Leben. Kaum ein Mensch kauft sich als neues Mobiltelefon noch etwas anderes als ein Smartphone, mit dem man sich per Sprachsteuerung Hilfe im Alltag holen kann. Cortana, Siri und Alexa ziehen in immer mehr Haushalte ein, auch wenn die Deutschen noch skeptisch zu sein scheinen. Doch die Entwicklung, so beängstigend sie teilweise ist, lässt sich nicht mehr aufhalten. Immer mehr Arbeitsabläufe werden digitalisiert und automatisiert. Ob selbstfahrende Autos, Herstellungsprozesse oder elektronische Sicherheitsschlösser – was passiert, wenn eine Maschinenintelligenz über alles die Kontrolle übernimmt und uns unsere Lebensgrundlage entzieht? In seinem Zukunftsthriller beschreibt Andreas Brandhorst, wie sich die Welt verändern könnte und ob es dann noch einen Weg zurück gibt.

Spannende Handlung mit typischen Charakteren

Originaltitel Das Erwachen
Ursprungsland Deutschland
Jahr 2017
Typ Roman
Bände 1
Genre Thriller
Autor Andreas Brandhorst
Verlag Piper

Bei all dem Wissen über die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, Hackern, dem Darknet und diversen Geheimdiensten – alles Punkte, die unglaublich spannend ausgearbeitet wurden und sich zu einer faszinierenden Handlung verbinden – gibt es bei den meisten Charakteren keine richtige Entwicklung. Am meisten Tiefe bekommt noch der Hacker Axel Krohn, dessen Hintergrundgeschichte viel Erzählstoff bietet, der auch ausgenutzt wird, gefolgt von seiner Begleiterin Giselle Leroy. Es gibt alle Komponenten, die einen guten Zukunftsthriller ausmachen und wenn auch manch einer darüber meckern könnte, dass die Charaktere eindimensional bleiben: Darum geht es hier gar nicht so sehr. Die Handlung steht im Vordergrund und die Charaktere sind wie in jeder Geschichte Spielfiguren, die uns voranbringen und mit Informationen versorgen. Abseits unseres Hauptcharakters sind hier noch Mortimer Swift und Koriander interessant, zwei Computerspezialisten, die einem im Verlauf der Handlung die Gefahren der Maschinenintelligenz einfach erklärt nahe bringen.

Geschickte zeitliche Platzierung

Der Roman spielt im Jahr 2033 und bietet dadurch die Möglichkeit, Kritik an den Entwicklungen der Jetzt-Zeit zu üben. Zur Zeit der Maschinenintelligenz ist der Klimawandel in vollem Gange. Mitten im August bricht eine Kaltfront über große Teile Europas herein, schnell liegt Berlin unter einer Schneedecke und auch sonst bauen sich Stürme auf. Viele Ereignisse hätten anders verlaufen können, denkt auch Dark Rider, welcher Axel und Giselle helfen will. “Vielleicht ist es Bequemlichkeit, die uns allen dem Untergang preisgibt […] Wie angenehm und bequem ist es, wenn jemand anders die harte Arbeit macht, jemand anders die schwierigen Entscheidungen trifft, jemand anders für uns denkt. Darauf läuft es hinaus […]: Jemand anders wird für uns denken, schneller und besser als wir, und dieser Jemand könnte zu dem Schluss gelangen, dass wir unnütz und sogar schädlich sind.” (S. 388-389).

Zukünftige Projekte

Sieht man sich die zukünftigen Pläne des Übersetzers zahlreicher Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett an, dann darf man sich auf weitere Thriller und Science-Fiction-Romane freuen. Erst im Januar 2018 wurde die Kantaki-Reihe vollständig neu bei Piper aufgelegt. Bereits im März folgt dann im gleichen Verlag der neue Science-Fiction-Roman Die Tiefe der Zeit . Thriller-Fans dürfen sich im Herbst 2018 auf Ewiges Leben freuen.

Von der ersten Seite an konnte mich Das Erwachen fesseln und ich hatte wieder einmal das Gefühl, dass mich ein Buch zum Denken und Hinterfragen anregt und ich es nicht einfach nur zum Vergnügen lese. Auch ich stehe Erfindungen wie Alexa oder den Smartphone-KIs skeptisch gegenüber und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll, neben der ständigen Erreichbarkeit auch noch ständig überwachbar sein zu können. Deshalb vermeide ich solche Spielereien, wo es noch geht. Die ausführliche und gute Recherche zum Thema liest sich aus jeder Seite heraus und auch wenn die Charaktere größtenteils etwas oberflächlich bleiben, fieberte ich regelmäßig mit ihnen mit. Für mich ist dieser Roman mein erstes Buch, das ich von Brandhorst las, aber ziemlich sicher nicht das letzte!

MadameMelli

MadameMelli ist im Berufsalltag als Informationsninja unterwegs und hilft Suchenden, die passende Literatur zu finden. In ihrem Freundeskreis ist sie als Waschbär bekannt und dementsprechend ist auch kaum ein Buch, Manga oder Comic (oder Tee) vor ihr sicher – alles wird in die Hand genommen, begutachtet und bei Gefallen mit nach Hause geschleppt. Nur nicht gewaschen, das wäre zu viel des Guten. Sinniert gerade darüber, ob es als Waschbär sehr gefährlich ist, Wölfe zu lieben, lässt sich davon aber nicht abhalten und schreibt in ihrer Freizeit selbst Geschichten. Manchmal auch über Wölfe. Oder Tee.

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Grit
19. Januar 2018 21:17

OMG – Jetzt will ich das Buch auch lesen!

chianna
Redakteur
26. Januar 2018 8:01

Da weiß ich jetzt ja, was ich mir demnächst zu Gemüte führen werde. Das Szenario klingt schon mal spannend und gar nicht so abwegig, wie ich mit Unbehagen feststellen musste.