Ace Attorney Investigations Collection

Der Beruf des Staatsanwalts wird oftmals missverständlich dargestellt. Dokumente wühlend und schreibend, im Gericht vor sich hin sitzend, Jura-Wälzer in Regalen stapelnd … Keineswegs ist das alles falsch, aber es zeigt nicht die ganze Wahrheit. Nie sieht man die Vertreter dieses ehrbaren Berufs mit ihren wahren Problemen kämpfen. Schlafgestörte Flugbegleiterinnen, aufdringliche alte Damen im Dachskostüm, im Gang Basketball spielende Büronachbarn und wo sie gehen und stehen, werden sie in so viele Morde verwickelt, dass selbst Detektiv Conan nicht mit ihnen Urlaub machen will. Nur um dann noch bei all den Bluttaten selbst zum Columbo-Mantel greifen zu müssen. Staatsanwälte haben wahrlich ein hartes Los gezogen, aber Capcom hält die Waage von Justizia empor und veröffentlichte im September 2024 Ace Attorney Investigations Collection, um ein wenig Licht unter die Augenbinde zu bringen und dem Beruf naturgetreu nachzuspüren. Ähnlich wie bei den zuvor zusammengestellten Spielesammlungen Phoenix Wright: Ace Attorney Trilogy (2019) und Apollo Justice: Ace Attorney Trilogy (Januar 2024), vereinen sich auch hier gleich mehrere Akteneinblicke. Konkret handelt es sich um die Neuveröffentlichung zweier dereinst (2010/2011) auf dem Nintendo DS veröffentlichten Titel, die nun unter einer Richterrobe auf allen neuen Konsolen und PCs zugänglich gemacht werden. Mit Ace Attorney Investigations: Miles Edgeworth und Ace Attorney Investigations 2: Prosecutor’s Gambit sind nun alle (Staats-)Anwalts-Mystery-Adventure-Visual Novels im Westen angekommen. Der zweite Teil, Prosecutor’s Gambit, hatte beispielsweise bisher nur in Japan die Runde gemacht. Ein gerechtes Urteil muss natürlich dennoch, trotz jubilierender Staatsanwälte, über die dargebotenen Inhalte gefällt werden. Womit die Sitzung hiermit offiziell eröffnet ist.

   

Miles Edgeworth, seines Zeichens Staatsanwalt, (halbwegs) freundlicher Rivale von Phoenix und Träger pompöser Anzüge ist nach seinen zahlreichen Niederlagen vor Gericht auf Sinnsuche gegangen. Nach eingehender Introspektion und dem Wunsch wieder herablassend gestikulieren zu dürfen, kehrt er in die Heimat zurück, nur um in einen Mord nach dem anderen zu stolpern. Die Toten fallen ihm sprich- und wortwörtlich vor die Füße, was den gestandenen Jura-Jünger so regelmäßig in Teufelsküche treibt, dass ihm eine eigene Drehtür eingebaut wurde. Weder in seinem Büro noch auf seinem simplen Rückflug bleibt er verschont und die Kette an Ereignissen bricht nicht ab. Unglücklicherweise ist er dabei obendrein nicht allein, denn sein steter Begleiter Detective Dick Gumshoe klammert sich wie immer hilfsbereit wie eine Bleikugel an sein Bein. Doch so leicht gibt sich Miles nicht geschlagen und mit ein paar mehr als aufgeweckten grauen Zellen, einer (fast) unerschütterlichen Miene in Angesicht vielerlei Irrsinns und eventuell auch ein bisschen Hilfe von unerwarteter Seite stellt er sich den Fällen gekonnt entgegen. Wäre ja gelacht, wenn nur ein gewisser Stachelkopf mit solchen Situationen fertig werden würde.

Anwalt bleibt bei seinen Leisten

Originaltitel Ace Attorney Investigations Collection
Jahr 2024
Plattform PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox X/S, Nintendo Switch
Genre Visual Novel, Adventure
Entwickler Capcom
Publisher Capcom
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 6. September 2024

Wie erwähnt bietet die “Collection” Ace Attorney im Doppelpack. Die zugrunde liegenden Nintendo DS-Titel wurden dabei einer Frischzellenkur unterzogen, was sich insbesondere bei den Figuren bemerkbar macht, die jetzt ihre Grimassen in HD ziehen dürfen. Selbstredend haben aber natürlich auch die Hintergründe eine neue Politur bekommen. Um es ein bisschen in das Gesamtseriengerüst einzuordnen: Die beiden Titel rund um Miles Edgeworth sind nach Apollo Justice: Ace Attorney (2007 in Japan, 2008 im Westen) erschienen und sind inhaltlich nach den ersten drei Titeln rundum Igelkopf Phoenix einzuordnen. Das ist in zweifacher Weise wichtig: Erstens, weil es immer wieder kleinere Verweise auf frühere Fälle und vor allem etwaige Figuren gibt, die darin verstrickt waren, und zweitens, weil es die Neuerungen oder vielmehr deren Überschaubarkeit erklärt. Wer sich beispielsweise zuletzt durch die Apollo Justice: Ace Attorney Trilogy mit ausgestrecktem Finger gebrüllt hat oder mit Holmes auf Rätseltour in The Great Ace Attorney Chronicles gegangen ist, dem könnte die zurückgefahrenere Präsentation samt Gameplay ein Stirnrunzeln auf die selbstredend sonst faltenfreie Haut zaubern. Sicherlich hat die Ace Attorney-Reihe gerade im Bereich Gameplay nie wirkliche Quantensprünge gemacht und ist mehr ihrem Ursprungsprinzip treu geblieben, aber wer die neueren Titel kennt, mag das ein oder andere herausstechendere Feature vermissen. Miles Edgeworth ist da eben einfach Kavalier alter Schule und begibt sich wie gewohnt auf Widerspruchshatz. Die Abfolge bleibt dabei meist gleich: Zunächst erkundet man in an Point-and-Click-Adventure erinnernder Manier die verschiedenen (Tat-)Orte, sammelt Hinweise und wird dann meist auf jemanden losgelassen, der sich der edgeworth’igen Logik bockig entgegenstellt. Ein Fehler, denn der wedelnde Zeigefinger der Gerechtigkeit wartet nur darauf zum Einsatz zu kommen und im passenden Argumentationsabschnitt den Kritiker auf sein Unvermögen hinzuweisen; meist indem man ihm einen Gegenstand oder einen Sachverhalt entgegenhält, der im Widerspruch mit seinen Behauptungen steht. Das war’s auch schon mit Blick aufs Gameplay.

Tischfreundlich aufgetischt

Na gut. Das stimmt nicht ganz. Ein paar Feinheiten gibt es noch. Besonders auffallend dürfte für jeden Kenner der Serie sein, dass sich ausnahmsweise der (Staats-)Anwalt selbst die Ehre gibt und über den Bildschirm gesteuert werden kann. In anderen Titeln starrt man meist in suchbildartiger Draufsicht auf die Räumlichkeit und klickt mit einem Cursor untersuchend umher. An und für sich keine große Sache, aber trotzdem ein feines Detail, das einem rückwirkend bei neueren Titeln direkt fehlt. Denn die Charaktere der Reihe und insbesondere ihre Eigenheiten stellen immer wieder einen maßgeblichen Fokus dar und ihre kleinen Merkwürdigkeiten in Chibi-Variante zu beobachten zaubert einen direkt ein feines Grinsen aufs Gesicht. Nächste Auffälligkeit: Miles ist zwar Staatsanwalt, nimmt hier aber mehr die Rolle eines extravagant gekleideten Columbos ein, der Tatorte abgrast und letztlich den Schuldigen vor Ort am Schlawittchen packt. Entsprechend bleiben die Gerichtsbänke ausnahmsweise von der steten Handpatscherei verschont; aber keine Sorge: Miles lässt es sich nicht nehmen, laut und vernehmlich Einspruch zu brüllen und herablassend mit den Schultern zu zucken. Gerichtssaal hin oder her, manche Sachen haben einfach oberste Priorität. Eine letzte Neuerung: Anders als Phoenix besitzt Miles die Kraft der Logik. Klingt gemein, ist es auch ein bisschen, meint aber vor allem, dass bei der Spurensuche, Miles verschiedene Gedanken/Fragestellungen/Feststellungen sammelt und diese dann in einem anderen Menü miteinander kombiniert werden müssen, um Heureka-rufend Schlüsse daraus zu ziehen. Eine nette Spielerei, die aber aufgrund der überschaubaren kombinierbaren Gedankenblasen selten über ‘Fakt A: Opfer hat Waschbärbissspuren.’ ‘Fakt B: Dort liegt ein toter Waschbär’ ‘Schlussfolgerung: Zwischen den beiden ist was gelaufen’ hinausgeht.

Heiter mit Aussicht auf Mord

Letztendlich ist der größte Unterschied zu anderen gesetzestreuen Franchise-Iterationen schlicht die andere Perspektive, die eingenommen wird. Man spielt eben Miles und nicht Phoenix. ‘Wow, Schreiberling, Sie haben erfolgreich den Titel des Spiels gelesen! Respekt!’ könnte es da sarkastisch von der anderen Seite des Bildschirms drönen, aber der Unterschied ist spürbar. Phoenix ist kein Dummerle, hat aber gerne mal mehr Glück als Verstand und das ein oder andere tiefsitzende Anime-Protagonisten-Gen in sich. Da kann es mal vorkommen, dass er sich mehr schlecht als recht durch eine Verhandlung durchschwitzt. Miles erweckt dagegen immer den Anschein, Herr der Lage zu sein, oder sich zumindest das Gegenteil nicht so schnell anmerken zu lassen. Mit ihm einen Fehler zu machen, wirkt schon fast unpassend zum Charakter; er ist zielstrebig, aufmerksam und stets mehr der ‘Straight Man’ zum allgemeinen Wahnsinn der anderen Figuren. Denn auch wenn die Hauptfigur ausgewechselt wurde, die anderen Charaktere sind so verrückt wie eh und je. Das Markenzeichen der Ace Attorney-Reihe bleibt hier auf jeden Fall erhalten. Es hat diese gewisse Mischung aus verschrobenen Figuren, Slapstick-Humor, Wortspielen und unverzeihlichen Gewaltverbrechen, die man nur sehr selten findet. Und immer wieder für überraschend emotionale Momente sorgt. Es hilft natürlich, dass die Figuren so überaus liebenswert (oder auch hassenswert) und voll von Persönlichkeit sind. Großes Lob gilt dabei wie bei den anderen Titeln der Reihe dem Lokalisierungs- und Übersetzungsteam, die den Figuren mit teils so simplen Tricks wie das leicht zögerliche Auftauchen von Text, kleineren Soundeffekten oder ein Rucken beim Erscheinen der Textboxen eine Stimme verleihen, obwohl sie keine ‘echte’ haben.

Vor allem für frohlockende Fans

Eventuell hat der bisherige Text eine Sache anklingen lassen, die einem bereits durch die inhaltliche Einordnung im Kontext der Reihe dämmern könnte. Die Ace Attorney Investigations Collection ist vor allem für Fans geeignet, die sich mit den vorherigen Titeln auskennen. Die Verweise auf frühere Fälle, das Auftauchen alter Figuren und wenn man es genau nimmt, alleine schon die Tatsache, dass man in den auf Hochglanz polierten Lederstiefeln von Miles Edgeworth steckt, ist maßgeblich für Kenner der ersten Trilogie interessant. Die zusätzlichen Goodies in der neuen Galerie, die dem Spiel hinzugefügt wurde, tun ihr übriges. Konzeptzeichnungen, Musikauswahl etc. flattern herein und schalten sich im Verlauf der verschiedenen Fälle frei, um sie, vorzugsweise im Ledersessel mit Monokel und Tee, durchzuklicken. ‘Für Fans’ klingt aber schon fast zu exklusiv. Als würde es sich nur lohnen, wenn man ohnehin schon beinharter Fan ist und im normalen Alltagsumfeld manchmal unbeherrscht ‘Einspruch!’ brüllt. Dem ist nicht so, aber es hilft. Man kann auch ohne Vorkenntnisse Spaß mit der Sammlung haben und sich durch die Fälle knobeln, wobei der Knobelanteil für enthusiastische Rätselfans vielleicht zu gering sein dürfte. Es sei an der Stelle erwähnt, dass auch Grauzellen-Entspanner keine Angst haben müssen; der hinzugefügte Story-Mode lässt den Knobelpart hinter sich und präsentiert die Geschichte noch mehr als ohnehin als Visual Novel. Allerdings, bei aller Zugänglichkeit, ist die vorliegende Sammlung ein denkbar ungünstiger Einstiegspunkt für Neulinge.

Fazit

Ahh, wundervoll, alle Ace Attorney-Titel sind nun versammelt; es ist ein Fest. Ich freue mich sehr, dass jetzt alle Titel verfügbar sind und kann Ace Attorney Investigations Collection (fast) vorbehaltlos empfehlen. ‘Fast’ deshalb, wie der vorherige Abschnitt schon anschneidet, weil ich davon ausgehen würde, dass einem Justiz-Wahnsinns-Anfänger ein Stück der Faszination abgehen würde. Während ich immer wieder über das Auftauchen der ein oder anderen Figur grinsen musste, dürfte das über Uneingeweihte schlicht hinwegfliegen. Und ganz ehrlich: Bei mir ist es nun auch schon lange genug her, dass ich die ersten Titel gespielt habe, sodass ich meinem Gedächtnis immer wieder einen Google-Tritt geben musste. Aber alleine den schicken Anzug von Edgeworth überwerfen zu können, war ein Grund mehrfach ‘Hehehe’ rufend durchs Haus zu springen. Ich mag die Reihe einfach. Wer sich jetzt als Neuling verprellt fühlt: Oh Gott. Halt. Stopp. Ganz im Gegenteil: Jeder, der die Reihe noch nicht kennt, ist jetzt in einer beneidenswerten Lage. Nicht nur, dass alle Titel in einer aufgebesserten Variante in mehreren Sammlungen zur Verfügung stehen, man kann sie jetzt wunderbar chronologisch durchgehen und sich die Entwicklung der Anwalts-Rätselei in seiner Gänze genüsslich zur Gemüte führen. Wer Mystery-Geschichten und/oder Visual Novels mit einem ordentlichen Einschlag liebevollem Wahnsinn mag, der sollte sich unbedingt Ace Attorney widmen und in der Folge dann natürlich auch den Fällen mit und um Miles Edgeworth. Für Fans der Reihe wiederum gilt: Ja klar, hopp, zack, kein Grund darauf zu verzichten. Die Fälle gehören nicht zur absoluten Speerspitze, was die Reihe zu bieten hat und die Übersichtlichkeit der Hinweise macht das Voranschreiten oftmals zu offensichtlich, aber Hand auf die pompöse Krawatte: Es ist Miles Edgeworth. Es ist ein weiterer kunterbunter Baustein in dem Gerichtsgerüst, das die Ace Attorney-Reihe ausmacht. Da sollte das Urteil doch klar sein, oder?

© Capcom

Mort

Mort hat 'Wie? Nicht auf Lehramt!?' studiert und wühlt sich mit trüffelschweiniger Begeisterung durch alle Arten von Geschichten. Animes, Mangas, Bücher, Filme, Serien, nichts wird verschmäht und zu allem Überfluss schreibt er auch noch gerne selbst. Meist zuviel. Er findet es außerdem seltsam von sich in der dritten Person zu reden und hat die Neigung, vollkommen überflüssige Informationen in sein Profil zu schreiben. Mag keine Oliven.

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