Star Trek: Picard (Folge 1×01)

47 Jahre alt war Patrick Stewart (X-Men), als er 1987 als Captain Picard das Kommando über das Raumschiff Enterprise übernahm. Vorbei war die Star Trek-Ära von William Shatner alias Captain Kirk. Für die nächste Staffel Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert hatte man sich für eine Kontrastbesetzung entschieden: statt Shatners rauflustigen Draufgänger mit dem oft zerrissenen Hemd und dem Blick für die Damenwelt betrat nun ein alterlos-würdevoller, Shakespeare-erprobter Europäer mit Glatze die Brücke der Enterprise und blieb dort bis 1994. Dann schlug Star Trek wieder andere Wege ein. Mittlerweile ist Patrick Stewart 80 und kehrt nun als gealterter Picard im Ruhestand ins Star Trek-Universum zurück. Seit dem 24. Januar 2020 ist die zehnteilige Serie Star Trek: Picard auf Amazon Prime Video zu sehen.

Eigentlich könnte Admiral Picard auf seinem Weingut in Südfrankreich seinen verdienten Ruhestand genießen. Doch die Erinnerung an seinen alten Freund, den Androiden Mr. Data (Brent Spiner, Independence Day), geistert durch seine Träume und seine Enttäuschung über die Sternenflotte sorgt noch nach Jahren für Verbitterung. Denn als vor 15 Jahren der Heimatplanet der Romulaner durch eine Supernova bedroht wurd, hatte Picard eine Rettungsmission eingeleitet. Doch als zeitgleich Androiden aus ungeklärten Gründen einen Anschlag auf die Werft der Sternenflotten auf dem Mars verübten, brach die Sternenflotte die Rettungsmission ab. Seitdem brennt der Mars, die Androiden-Entwicklung wurde eingestellt und Admiral Picard zog sich empört über das Zurückrudern auf Kosten Unschuldiger ins Privatleben zurück und widmet sich nun Büchern, Vorträgen und dem Weinanbau. Andernorts feiert ein Pärchen den neuen Job der jungen Frau, als schwarz gekleidete Kämpfer die Wohnung stürmen. Die einen töten den jungen Mann, die anderen stülpen der jungen Frau eine Kapuze über den Kopf und stellen ihr aufgeregt Fragen, die sie nicht versteht. Der Schock über den plötzlichen Überfall setzt bei ihr ungeahnte Nahkampfskills frei und die Erkenntnis, dass nur Jean-Luc Picard ihr helfen kann obwohl sie bisher gar nichts mit ihm zu tun hatte. Und was hat die junge Frau mit dem Gemälde eines Mädchens am Meer zu tun, das Data einst malte und Picard schenkte? Und was ist in der Androidenforschung seither wirklich geschehen?

Wenn man nach langer Zeit alte Bekannte wiedertrifft …

Schön ist es, mal wieder Jean-Luc Picard auf dem Bildschirm zu sehen. Die 90er sind lange her und auch der letzte Star Trek-Film mit der Crew von Das nächste Jahrhundert, Star Trek Nemesis ist von 2002. Alt ist er geworden, das Gesicht deutlich faltenzerfurchter, aber immer noch der distinguierte Herr mit der Vorliebe für Earl Grey und der dezenten, aber wirkungsvollen Ausstrahlung von Autorität und Prinzipientreue. Allerdings auch desillusionierter und vom Leben gebeutelter als zu seinen Zeiten als Captain der Enterprise. Vorbei sind die Zeiten, als man als Offizier der Sternenflotte fröhlich-optimistisch in die unendlichen Weiten des Weltalls aufbrach, um neue Welten zu erforschen und dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Die böse Vorgeschichte um die Sternenflotte, die in einer unklaren Gemengelage eine Rettungsaktion abbrach anstatt zu helfen gemahnt an die Haltung heutiger Industrieländer angesichts weltweiter Flüchtlingsströme. Das steht in so krassem Gegensatz zu Picards idealistischer Grundhaltung, dass ihm nichts als der Rückzug in den nur scheinbar friedlichen Ruhestand blieb. Ein unzufriedener, getriebener Picard, dessen Handlungsmotor für die kommenden Folgen seine Empörung über die Dinge, wie sind sind, sein wird. Das verspricht, interessant zu werden. Wobei, Patrick Stewart füllt die Rolle wieder mit so viel Charisma, dass die Fans auch dann glücklich gewesen wären, wenn er die ganze Folge lang nur mit seinem Hund durch die Weinberge spaziert wäre und über Rebenpflege geplaudert hätte.

… dann gibt es viel zu erzählen.

Es ist die erste Folge der Staffel und darum muss viel Information in die Handlung gestopft werden. Das wird denkbar plakativ umgesetzt, mit einem Interview, in dem Picard einer aufdringlichen Journalistin Rede und Antwort stehen muss. Natürlich schneidet sie genau das schmerzhafte Thema “Austritt aus der Sternenflotte” an, dass sie laut Absprache eigentlich ruhen lassen sollte. Und so bekommt der Zuschauer von einem gereizten Picard einen kleinen historischen Vortrag zu hören. Nicht elegant gelöst, aber zum Glück auch nicht langweilig. Dagegen ist der Handlungsstrang um Dahj (Isa Briones, American Crime Story), die junge Frau, die so abrupt aus ihrer Normalität gerissen wird, auf die allmähliche Enthüllung eines Geheimnisses angelegt und die Informationsvergabe erfolgt sparsam und immer erst, nachdem unerklärliche Dinge geschehen sind. Was mit Mr. Data geschah, weiß man, wenn man Star Trek Nemesis gesehen hat, aber nicht jeder hat einen 18 Jahre alten Film auf dem Schirm. Um diese Lücken zu schließen und auch Nicht-Trekkies einen Einstieg möglich zu machen, hat man auf ein anderes altbewährtes Mittel zurückgegriffen: Traumsequenzen. Die einem unter anderem eine ganz niedliche Szene mit Picard und Data bescheren. Kann ein Android beim Pokern bluffen? Ein Zuckerl für die Fans. Und so hat man nach 42 Minuten eine Menge gelernt und eine Menge Fragen. Ganz so, wie ein Einstieg in eine neue Erzählwelt sein sollte.

Aber wo ist die Enterprise?

Wer auf Weltraumabenteuer gehofft hat, der kommt in dieser Folge definitiv nicht auf seine Kosten. Denn sie spielt auf der Erde. Die Enterprise darf nur in ein paar Traumszenen durchs Bild huschen. Aber die Erde im Jahr 2399 ist sehenswert. Boston ist voller futuristischer Hochhäuser, am Ende der Golden Gate Bridge musste das kleine Städtchen Sausalito einem schneeweißen Gebäudekomplex weichen, der klassische Moderne mit Science-Fiction verbindet. Paris hat neben einer Hochhaus-Skyline immer noch seinen Eiffelturm und seine Altbau-Straßen, während auf Chateau Picard die Zeit still zu stehen scheint. Offenbar haben die Eigentümer über Jahrhunderte die historische Bausubstanz des romantischen Landhauses erhalten und nur die Unterhaltungselektronik auf den neuesten Stand gebracht. Insgesamt eine stimmige Welt, von der man gern mehr sehen möchte. Nur die letzte Einstellung zeigt ein Gebilde im Weltraum. Trekkies erkennen es vermutlich sofort, die anderen müssen halt auf eine Erklärung warten.

Insgesamt ein gelungener Auftakt. Eine Folge, die alle gleichermaßen da abholt, wo sie stehen. Die Alt-Fans, die sich in ihrem riesigen Detailwissen gebauchpinselt fühlen können. Aber auch den Nachwuchs, für den die 90er schon weit in der Vergangenheit liegen. Oder Gelegenheits-Trekkies wie mich, die gerade mal Kirk von Picard und Spock von Data unterscheiden können, ohne je richtig in die unendlichen Weiten des Star Trek-Universums eingestiegen zu sein. Am Ende der Folge sind alle auf dem gleichen Stand. Picard ist cool. Und es geht um Androiden, aber was da genau los ist … tja, dafür muss man auf die nächste Folge warten.

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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