Shogun (Staffel 1)
Es klingt heutzutage wenig spannend, wenn ein Engländer in Japan landet. Doch was, wenn es sich um das Jahr 1600 handelt? Kein Blog, kein Reiseführer und keine Berichte aus dem Freundeskreis warnen vor den Gepflogenheiten der damaligen Zeit und noch weniger vor den politischen Zerwürfnissen, die gerade herrschen. Peinlichkeiten und Streitereien sind vorprogrammiert. Genauso Blut und Tod. In ein ebensolches Szenario entführt die am 23. April 2024 auf Disney+ geendete Serie Shōgun. Basierend auf dem gleichnamigen Roman des Bestsellerautors James Clavell wandert ein Schiffsnavigator auf den Spuren historischer Ereignisse, die der Autor mit fiktiven Fakten verwob. Warum die zehnteilige Miniserie Kritiker:innen und Fans als das „bessere Game of Thrones“ bezeichnen, gehen wir nach. Ebenso, ob sich die angekündigten Fortsetzungen wirklich lohnen könnten.
Im Jahre 1600 schafft es der Navigator John Blackthrone (Cosmo Jarvis, Überredung) mit dem havarierten holländischen Handelsschiff Erasmus an die Küsten von Japan. Sein Auftauchen bringt ungewollte stürmische Winde in die aktuell angespannte politische Situation im Land. Seit der Taiko starb, herrschen fünf gleichberechtigte Regenten, bis der Erbe ein Alter erreicht, um selbst den Posten des Shoguns einzunehmen. Jedoch versucht Lord Ishido Kazunari (Takehiro Hira, Lost Girls and Love Hotels) seinen stärksten Konkurrenten Lord Toranaga (Hiroyuki Sanada, John Wick: Kapitel 4) aus dem Amt zubekommen. Für Toranaga ist das Auftauchen eines Schiffes voller Kanonen eine Möglichkeit, um das Blatt zu wenden. Während die portugiesisch-katholische Kirche versucht Blackthrone zu ermorden, weil dieser als englischer Protestant die Handelswege verändern könnte, versuchen gleich mehrere die veränderte Situation für sich zu nutzen.
Auf den Spuren japanischer Geschichte
Originaltitel | Shogun |
Jahr | 2024 |
Land | USA |
Episoden | 10 (in Staffel 1) |
Genre | Drama, Historie, Abenteuer |
Cast | John Blackthorne: Cosmo Jarvis Lord Yoshi Toranaga: Hiroyuki Sanada Toda Mariko: Anna Sawai Lord Ishido Kazunari : Takehiro Hira Kashigi Yabushige: Tadanobu Asano Usami Fuji: Moeka Hoshi Lady Iyo: Ako Toda Buntaro: Shinnosuke Abe Kashigi Omi: Hiroto Kanai Yoshii Nagakado: Yuki Kura |
Veröffentlichung: 23. April 2024 auf Disney+ |
James Clavell nahm sich die dramatischen Ereignisse um den Tod des Herrschers Toyotomi Hideyoshi und dem damit einhergehenden Machtwechsel als Vorlage für seine Geschichte. Bloß, dass er sich bei den geschichtlichen Beteiligten, vor allem aber bei einigen Abläufen, viele Freiheiten nahm. Der damit größte Vorteil ist, dass sich dadurch Shōguns Handlung als unvorhersehbar gestaltet. Würde sich schließlich Lord Toranaga immer noch verhalten wie sein reales Pendant Tokugawa Ieyasu? Wer sich nicht in japanischer Geschichte auskennt, muss keine Sorge haben: Unter der Regie von Tom Winchester (Clickbait) und Hiroyuki Sanada entstand eine Serienumsetzung, die mit Blick auf ein westliches Publikum entstand. Was bedeutet, dass uns die Handlung die japanische Kultur und das politische Machtgefüge näherbringt. Beides auf eine Weise, welches eine große Faszination auslöst. Dabei sind es auch viele kleine Dinge und Zeremonien, die ihren Weg in die Folgen finden. Ob nun Teezeremonie, das Teilen des Bettkissens oder die Bedeutung des Steingartens im Innenhof – ein schönes Gesamtbild entsteht.
Der undurchschaubare Stratege
Dass die Folgen von Shōgun fesseln, liegt nicht nur an der anderen Lebensphilosophie. Das Herzen dieses Abenteuers besteht aus einer ganzen Palette an Figuren, die alles andere als dünn wie ein Japanpapier daherkommen. Allen voran Hiroyuki Sanada überzeugt als charismatischer General. Dieser scheint für alles einen Plan zu haben, in welchen er jedoch niemanden einweiht. Gibt er sich Blöße? Tja, das ist eine der großen Fragen. Durch Mensch und Natur läuft eben nicht alles reibungslos, deswegen bleibt es ein nervenaufreibendes Unterfangen, dem er sich widmet. Dass es zu Kampfsituationen kommt, ist klar. Im Grunde sogar etwas, was wir in dieser Epoche erwarten, wo doch die Nutzung von Schwert und Bogen auf der Tagesordnung standen. Die Kampfhandlungen sind in einer angenehmen Länge gehalten und schlicht sehr abwechslungsreich. Und wer denkt, dass nur die Männer hier zur Waffe greifen, darf staunen, denn das weibliche Geschlecht ist weder an der Waffe noch innerhalb der politischen Strategien zu unterschätzen.
Wenn der Tod ein Ausweg ist
Anna Sawai (Monarch: Legacy of Monsters) verkörpert Lady Toda Mariko. Eine Frau mit solch einer Ausstrahlung, die allen Männern der Serie die Show stiehlt. Ihr Schicksal vorherzusehen, ist ein schwieriges Unterfangen, weil diese Dame in den Pflichten als Tochter ihrem Herren gegenüber und in ihrem christlichen Glauben hin und her balancieren muss. Ihre tragische Vergangenheit entfaltet sich nach und nach. Sie verdeutlicht die Schwere des Lebens, welche sie vor allem mit ihren Ratschlägen, Weisheiten und Ansichten immer wieder emotional vermittelt. Ihr mehrfacher Wunsch zu sterben steht sehr schnell dem Wunsch des Publikums gegenüber, dass diese Frau doch bitte endlich Glück erfährt! Sawai geht voll in ihrer Rolle auf. Vor allem ihre aufkommende schwierige Beziehung zu John Blackthrone verläuft ansprechend. Alleine ist Mariko auch nicht, denn noch einige weitere starke Frauen bereichern die Story.
Von Treue und Verrat
Wie nicht anders zu erwarten, halten es nicht alle Untergebenen so genau mit der Treue ihrem Lord gegenüber. Die Schwierigkeiten, sich dem gewinnenden Team anzuschließen, zeigt die Geschichte auf vielfache Weise, ohne irgendwie langweilig zu werden. Insbesondere, wenn sich ständig ändert, wer hier der Gewinner sein könnte! Shōgun entwickelt dadurch Suchtpotenzial. Von Anfang an steht die packende Frage im Raum, welche Rolle in all dem John Blackthrone einnimmt. Der Navigator heimst schnell Sympathien ein, weswegen es nicht unwichtig ist, ob der Gute bald einen Kopf kürzer ist. Sein Aufenthalt in einem fremden Land mit sprachlicher Barriere, kulturellen Fettnäpfchen und undurchschaubaren sozialen Geflechten sind mitreißend. Dabei stellt sich der Navigator nicht immer geschickt an, aber ist mit viel Herz bei der Sache. Mit einem wirklich nicht so zu erwartenden Ende entlässt uns die Serie schließlich. Braucht es eine Fortsetzung? Nicht wirklich. Aber man soll den Tag ja nicht vor dem Abend loben.
Wandeln in den Burgstraßen Osakas
Schon das Opening von Game of Thrones – wer hat an der Stelle einen tollen Ohrwurm? – zu überspringen, war schlicht ein Verbrechen. Gleichermaßen verhält es sich mit dem visuell ansprechenden und musikalisch perfekt inszenierten Einspieler von Shōgun. Dank CGI-Effekten stehen das historische Osaka und später auch das gerade erst entstehende Edo/Tokio wieder auf und beide locken mit ihrer Architektur. Fischerorte, Feldlager und natürliche Küstenabschnitte sorgen für Abwechslung. Bei der Kleiderwahl und dem Aussehen der Figuren geht es zu weiten Teilen sehr authentisch zu, allerdings entschied sich das Produktionsteam dafür, beim Aussehen der adeligen Damen einiges zu verändern, damit das Publikum außerhalb Japans nicht irritiert ist. Schwarze Zähne, weiß angemalte Haut und kaum Augenbrauen entsprechen eben nicht unserer Vorstellung von Schönheit. In Sachen Klangwelt geht der Soundtrack von Atticus Ross, Leopold Ross und Nick Chuba unter die Haut. Schlicht ausgedrückt: Gänsehaut pur! Alleine das Stück “Osaka Castle” sorgt für eine Verdichtung der packenden Atmosphäre.
Fazit
Der Erfolg von Shōgun kommt nicht von irgendwo her. Die Geschichte lockt mit der Entdeckung eines Landes, das so anders ist und deswegen die Neugier weckt. Der Zusammenprall der englischen und japanischen Lebensweise unterhält auf so vielen Ebenen. Einfach, weil viele Dinge ein zweites Überdenken wert sind und der Austausch der unterschiedlichen Wahrnehmungen interessante Reibungspunkte ergibt. Starke Dia- und Monologe ziehen sich von der ersten bis zur letzten Folge. Durch sie wird das Spiel um die Macht extrem intensiv, denn welche Figur versteckt ihre wahren Gefühle nicht hinter einer inneren Mauer? Mit vielen überraschenden Wendungen präsentiert sich die Serie bis zum Schluss. Und das Ende selbst? Das sorgt ohne weiteres für ein Grinsen im Gesicht. Visuell lässt sich sagen, dass die Serie schlichtweg ein Genuss für die Augen ist. Schöne Kimonos, tolle Räumlichkeiten und interessante Settings treffen auf ansprechende Klänge, sowie ein geniales Opening. Es findet sich bei dieser Serie überhaupt kein Haar im Grüntee.
© Disney+