She-Hulk: Die Anwältin

Auf der D23 Expo im August 2019 kündigten die Marvel Studios eine Serie über die Figur Jennifer Walters alias She-Hulk für Disney+ an, die als Teil von Phase Vier des Marvel Cinematic Universe positioniert ist: She-Hulk: Die Anwältin. Innerhalb der Comics kam die Gute viel herum: Avengers, Defenders, Fantastic Four, S.H.I.E.L.D. Die seit 1980 existierende Superhelding war bereits als Mitglied unzähliger Teams im Einsatz. In serieller Form überraschte die Ankündigung, dass She-Hulk: Die Anwältin eine neue erzählerische Richtung einschlagen und sich als Anwaltskomödie niederlassen würde. Für ihren Mut, einiges anders als üblich zu machen, wurde die Superhelden-Geschichte vielerseits böse abgestraft. Mit ihrem kunstvollen Meta-Finale sprengte die am 13. Oktober 2022 sprengte Serie alle Grenzen. 

Die ehrgeizige Anwältin Jennifer Walters (Tatiana Maslany, Orphan Black) gerät mit ihrem Cousin Bruce Banner (Mark Ruffalo) in einen Autounfall, bei dem sich das Blut beider vermischt. Jen, die nun eine neue DNA besitzt, muss lernen damit zurecht zu kommen, dass sie nun um ein Vielfaches stärker ist – und noch viel schlimmer: bei Wutanfällen grün wird. Fortan ist sie als wohl prominenteste Anwältin der Welt im Einsatz und vertritt auch andere Menschen mit besonderen Fähigkeiten vor Gericht. Das schmeckt nicht jedem: Der Superschurkin Titania (Jameela Jamil, The Good Place) ist sie ein Dorn im Auge. Auch die Männerwelt ist plötzlich an She-Hulk interessierter als an Dauer-Single Jen.

Kein Ableger der Woke-Kultur

Originaltitel She-Hulk: Attorney at Law
Jahr 2022
Land USA
Episoden 9 in Staffel 1
Genre Komödie, Action
Cast Jennifer Walters / She-Hulk: Tatiana Maslany
Nikki Ramos: Ginger Gonzaga
Dr. Bruce Banner / Hulk: Mark Ruffalo
Mary MacPherran / Titania: Jameela Jamil
Augustus „Pug“ Pugliese: Josh Segarra
Emil Blonsky / Abomination: Tim Roth
Wong: Benedict Wong
Mallory Book: Renée Elise Goldsberry
Auf Disney+ verfügbar

Als Hulk mit einer eigenen Serie 1978 im TV lief und sich größter Popularität erfreute, wollte man bei Marvel die Gunst der Stunde nutzen und ein weibliches Pendant etablieren. Sogenannte “Ms. Male Characters” waren damals nichts Besonderes. Man denke nur an den Videospiel-Bereich, wo auf einen Pac-Man eine Ms. Pac-Man folgte. Vergleichbar mit Bionic Woman zum Six Million Dollar Man sollte ein Spin-Off mit weiblichem Pendant entstehen. Entworfen wurde She-Hulk von Stan Lee persönlich schon 1980, aber sonderlich erfolgreich war die Figur nicht. 1989 übernahm der legendäre britische Comic-Autor John Byrne die Führung und legte die Figur völlig neu an: smart, sexy, ironisch. Die richtige Positionierung der Figur war gefunden und She-Hulk gekommen, um zu bleiben. Anfang der 90er sollte sie schließlich einen eigenen Film erhalten und mit Brigitte Nielsen (Red Sonja) war auch schon eine Hauptdarstellerin gecastet, doch das Projekt versandete und mehr als Promotion-Fotos entstanden nicht. In den Comics blieb She-Hulk immer in der B-Liga aktiv und erlangte nicht dieselbe Popularität wie andere Helden. Deshalb war sie für Nichtkenner_innen der Comics eine Unbekannte. Wer She-Hulk allein aufgrund des Namens und der Tatsache, dass sie nicht weniger grün als Hulk ist, irgendeinem aktuellen Trend zuordnet, ist aber auf dem Holzweg.

Im Dauerfeuer der Kritik

Vorwürfe einer woken Ausrichtung und Feminismus um des Feminismus Willens waren das kleinere Problem, dem sich die Serie noch vor ihrem Start stellen musste, denn schon seit der Veröffentlichung des ersten Trailers wurden vor allem die CGI-Effekte stark kritisiert und sorgten dafür, dass die Serie einem Review-Bombing unterlag. Zwar gab es seitens Marvel sofortige Maßnahmen, die CGI-Qualität zu verbessern, allerdings muss sich She-Hulk: Die Anwältin den Vorwurf gefallen lassen, in Sachen Effekten qualitativ hinter anderen MCU-Serien (und den Filmen sowieso) hinterherzuhinken. Insbesondere das Auftreten der Protagonistin wirkt an mancher Stelle wie aus einem Videogame übernommen. Zwar ist die Vorlage grundsätzlich gut getroffen (auch wenn She-Hulk aus den Comics wesentlich muskulöser auftritt), dennoch erzeugte das Ergebnis bei vielen Zuschauer:innen einen Uncanny Valley-Effekt. Als zusätzlicher kontroverser Faktor kommt hinzu, dass She-Hulk im Gegensatz zu vorherigen Ablegern des MCUs Sexualität nicht verschweigt, sondern Jens Bettgeschichten sogar zum Gegenstand der Handlung macht. Ein Fakt, der vor allem jenen Zuschauern sauer aufstößt, welche soviel Female Empowerment nicht glaubwürdig finden.

Lazy Screenwriting

Geschrieben und entwickelt wurde die Serie von der amerikanischen Autorin und Produzentin Jessica Gao (Easter Sunday). Gao, die von sich selbst sagt, riesiger Fan der Figur zu sein, wird an keiner Stelle müde, zu betonen, dass Jen einfach allem und jedem überlegen ist. Ihre Überlegenheit wird von Beginn an betont, als es darum geht, ihre Kräfte mit jenen ihres Cousins zu vergleichen. Wie ein roter Faden zieht sich Jens neue Stärke durch die neun Folgen. Doch sieht man einmal genauer hin, bleibt ihre persönliche Entwicklung auf der Strecke. Über neun Folgen gibt es den Fall der Woche, den Cameo-Auftritt der Woche und dazwischen ein paar verpatzte Tinder-Dates plus Girls Night mit BFF Nikki (Ginger Gonzaga). Aber wer bist du, Jennifer Walters? Auch Nikkis Aufgabe besteht aus kaum etwas anderem, als für Jen da zu sein und zu betonen, wie stark, toll und überlegen Jen doch ist. Anders als bei einem Tony Stark fehlt es ihr an einer Lernkurve. Es ist Tatiana Maslany und den Meta-Momenten zu verdanken, dass zwischen Jen und dem Publikum eine Connection entsteht. Ohne diese Momente, in denen sie sich an die Zuschauer:innen wendet, wären wir vielleicht nur eine teilnahmslose Begleitung dessen, wie sie ihren Alltag bestreitet. Bezeichend ist da gewissermaßen auch das Finale, welches die vierte Wand durchbricht und alles bis dahin Erlebte auf gewisse Weise redundant macht. Cool, originell und frisch: ja. Nur zu dem Preis, dass die Bösewichte am Ende doch alle egal sind und die Geschichte auch keine richtige Auflösung erfährt. Etwas, das peniblen Zuschauer:innen das Gefühl geben könnte, an der Nase herumgeführt worden zu sein. Immer wieder fällt auf, dass in She-Hulk nichts so richtig vertieft wird (exemplarisch dafür steht Titania, über die es nichts zu erfahren gibt und die wie eine ebenbürtige Gegnerin dargestellt wird, aber keine ist), dafür aber an jeder Stelle betont wird, wie Dinge sein sollen.

Maslany als Bestbesetzung

Wer sie kennt, weiß, dass Tatiana Maslany eine sichere Bank ist. Die Frau mit den hundert Gesichtern spielt ihre Jen nuanciert und verleiht ihr einen Mauerblümchen-Charme. Denn Jen ist eine graue Maus, die sich im Büro ausbremsen lässt, miserable Tinder-Dates durchstehen muss und sich auf Hochzeiten besäuft, weil sie keinen Kerl findet. Der Fokus auf ihr Privatleben ist größer als bei bisherigen Marvel-Held:innen, was eben auch daran liegt, dass sich die Geschichte knietief im Comedy-Genre bewegt. Was die Serie dann aber doch verpasst, ist es, ihrem Zusatztitel gerecht zu werden. Ja, irgendwie spielt die Serie immer wieder in Gerichtssälen. Doch am Ende sind die Fälle belanglos, Jens Kompetenz wird zwar regelmäßig betont und trotzdem verliert sie krachend jeden Prozess. Das ist am Ende aber auch alles egal, denn keiner der Fälle ist wirklich komplex oder zielt darauf ab, Spannung zu erzeugen. Fairerweise muss gesagt sein, dass Gerichtsprozesse zu komplex sind, um sie in einer solchen Serie auch wirklich ausufernd zu behandeln. Auf der anderen Seite ist selbst bei Richterin Barbara Salesch mehr los.

Worldbuildung und Cameos

Wesentlich intensiver kümmert sich die Serie um ihr Worldbuilding. Das macht sie schon beispielhaft, denn das Erzähluniversum wird um weitere Menschen mit Superkräften erweitert, die eben einfach … da sind, ohne gleichzeitig Held:innen zu sein. Und so verhält es sich auch mit Superschurk:innen wie Titania, die in den Marvel Comics She-Hulks größte Rivalin ist. In der Serie selbst bleibt sie trotz Jameela Jamils leidenschaftlicher Darbietung als Giftspritze allerdings maximal eine Randnotiz, da andere Figuren wie Hulk, Wong oder weniger absehbare Cameos regelmäßig die Show stehlen. Das macht Spaß und ist der größte Trumpf.

Fazit

She-Hulk: Die Anwältin ist nicht der Totalausfall, als welcher es dargestellt wird. Mit einer charismatischen Hauptbesetzung und einer Ausdehnung des Geschichtenerzählens auf den (durchaus auch unterhaltsamen) Alltag gewinnt das Worldbuilding des MCUs neue Facetten. Das ist sicherlich mit eine der großen Stärken der Serie, denn wer am liebsten abschalten würde, wird hier immer wieder verführt, es doch zu lassen, denn man könnte schließlich etwas oder jemanden verpassen. Auch hinsichtlich der erzählerischen Diversität sticht die Serie positiv hervor, denn soviel hat sich noch kein Marvel-Produkt gewagt. Und damit ist eben auch jegliche Kontroversität auch schon belegt. Auf der anderen Seite lässt sich nicht wegreden, dass vieles nur oberflächlich angerissen wird, die Handlung häufig gegenüber komödiantischer Szenen den Kurzen ziehen muss und Action-Fans auf der Strecke bleiben.

© Disney

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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