Reality Z
Netflix scheint zur Dauerheimat von Zombie-Fans zu werden: Neben Mainstreamserien wie The Walking Dead und iZombie finden immer häufiger kleinere Produktionen wie etwa Vetala, die zur Abwechslung mal nicht aus den USA stammen, dort eine Bleibe. Nach dem indonesischen Vierteiler geht es seit dem 10. Juni 2020 mit Reality Z nach Brasilien. Und weil es zunehmend schwieriger wird, sich auf einem dicht besiedelten Markt niederzulassen, bedarf es einer zündende Idee. Diese holt sich die zehn Episoden starke Serie aus dem Setting: Denn während draußen die Welt untergeht, befinden sich unsere Protagonisten im “Olymp”, einem dem Himmelsreich nachempfundenen Big Brother-Container einer TV-Show. Aber nicht nur die Unruhen draußen, sondern vor allem die Spannungen innerhalb des göttlichen Domizils sorgen für rasche und bluthaltige Dynamiken …
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Vor dem Container des Olymp haben sich einie hundert Fans versammelt. Es ist der Abend, an dem die Bewohnerin Jessica (Hanna Romanazzi, A Favorita) das göttliche Reich verlassen muss. Gleichzeitig ist das Set-Mädchen Nina (Ana Hartmann, Feras) mit einem Stargast auf dem Weg zum “Olimpo”-Set. Mit großem zeitlichen Verzug und dann liegt auch noch der eigentliche Chauffeur mit einer Fleischwunde auf dem Rücksitz, da er unterwegs von einer fremden Person gebissen wurde und dabei ist, sich in einen blutlüsternen Zombie zu verwandeln. Das Auto kracht gegen die Absperrung und Chaos bricht aus. Nina kann sich gerade so in den Container retten, in dem eine Gruppe Eingeschlossener von allem nichts mitbekommt. Währen dessen steht draußen alles unter dem Zuckerhut in Flammen …
Alte Idee neu verwertet
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Originaltitel | Reality Z |
Jahr | 2020 |
Land | Brasilien |
Episoden | 10 Episoden |
Genre | Horror, Action |
Cast | Nina: Ana Hartmann Jessica: Hanna Romanazzi Leo: Ravel Andrade Cristina: Julia Ianina Teresa: Luellem de Castro Brandao: Guilherme Weber TK: João Pedro Zappa Madonna: Wallie Ruy Augusto: Leandro Daniel |
Seit dem 10. Juni 2020 auf Netflix verfügbar |
Seine Idee hat sich Reality Z von einem populären Serienschöpfer geborgen. Kein Geringerer als Black Mirror-Mastermind Charlie Broker veröffentlichte bereits 2008 eine Mini-Serie namens Dead Set. Der Erfolg und damit auch eine Fortsetzung der fünfteiligen Serie blieben aus. Doch mit zehn halbstündigen Folgen und der Verbreitung durch Netflix im Rücken, eröffneten sich Autor Cláudio Torres (Redentor) die besten Bedingungen, um seine Serie erfolgreich zu positionieren. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Reality Z ist weit davon entfernt, günstig auszusehen. Die gestochen scharfen Bilder wirken durch einen hohen Blau-Grün-Filter-Einsatz besonders intensiv. Zu den ebenfalls visuellen Reizen zählt auch die prunkvolle Einrichtung des himmlisch anmutenden Olyps. Einem Ort, an dem die Teilnehmer der Show in Gottesgewändern herumlaufen. Ein Wettkampf unter Gottheiten sozusagen, der ein baldiges Ende findet. Nur eben nicht so, wie sich die Bewohner das ursprünglich vorgestellt haben.
Zombie-Regeln sollte man kennen
Wie in jeder Zombie-Serie oder in jedem Film gilt: Die Überlebenden müssen zunächst einmal die Gesetzmäßigkeiten der Situation ausloten. Zombiefilme kennt nämlich keiner und deswegen dauert es immer ein wenig, bis die Lehre greift, was es zu tun gilt und was besser nicht. Wir wissen das. Wir kennen die Filme von George A. Romero und haben zumindest mal in The Walking Dead hineingeschaut. Wir haben einen Wissensvorsprung gegenüber den Olimpo-Insassen: Tote erwachen, haben gewaltigen Hunger und reagieren auf Geräusche. Die Übertragung des Virus erfolgt oral und will man einen Zombie ausschalten, muss man ihm das Hirn wegpusten. Nur die Geh- und Schleich-Geschwindigkeit unterscheidet sie voneinander. Torres’ Zombies zählen zu den aggressiven Sprintern und Kreischern.
Mut zu echten Opfern
Was Reality Z beherrscht: Immer in wieder neue erzählerische Richtungen vorzustoßen und auch die vermeintliche Hauptfigur zu wechseln. Richtig gelesen, denn hier kann man nun wirklich endlich einmal sagen, dass niemand vor dem Tod sicher ist, während andere Serien einem das Gegenteil weis machen wollen, obwohl alle wissen, dass es genau so nicht ist. Da können auch gleich mal zwei Figuren, bei denen man sich sicher ist, dass sie für Wichtigeres bestimmt sind, im Getümmel einen völlig unspektakulären Tod sterben. Wenn zwischendurch auch einfach mal das gesamte Ensemble ausgetauscht wird, kann man vor soviel Mut nur den Hut ziehen.
Die Umgebung clever genutzt
Die Serie macht nicht den Fehler, zehn Folgen lang einzig innerhalb der künstlichen Container-Umgebung zu spielen. Das Produktionsgelände ist groß und die Möglichkeit, die Funktionen des Olimpo von außen zu steuern, entwickeln sich zu einem Charakteristikum der Serie. Schließlich sehen und filmen die Kameras alles, Türen lassen sich aus der Schaltzentrale steuern und mittels Lautsprechern können Ansagen durchgegeben werden. Diese Möglichkeiten entwickeln sich im Verlauf der Serie zu einem wertvollen Tool für die festsitzenden Bewohner. Denn was auf den ersten Blick wie ein rettender Bunker aussieht, kann mit dem Eintreffen eines Zombies binnen Sekunden zu einer Todesfalle werden. Dabei sind viele Möglichkeiten offen und Reality Z schöpft aus den Vollen, wenn es darum geht, Gefahrensituationen aus dem Boden zu stampfen. Das gilt auch für das zwischenmenschliche Gerangel, denn wie immer sorgen Neuankömmlinge für frischen Wind und sorgen dafür, dass Allianzen sich neu formieren.
Seitenhiebe in alle Richtungen
Allein die Tatsache, dass sich die Geschichte in Brasilien zuträgt, ermöglicht das Austeilen gegen alles und jeden. Da ist sowohl die korumpierende brasilianische Politik, als auch die korrupte Polizei. Da wir uns zudem in einem erzählerischen Reality-Format befinden, wird auch hier kräftig ausgeteilt. Gegen sich selbst viel zu ernst nehmende Showmaker und famegeile Selbstdarsteller, die gedanklich schon längst ihre Social Media-Karrieren ausbauen. Die Vielseitigkeit Brasiliens lässt dabei Figuren aller sozialen Schichten zu, weshalb im Laufe der Handlung auch ein (vermeintlicher) Drogendealer und ein Mädchen von der Straße zum Hauptcast hinzustoßen. Die Zombies auf den Straßen wirken dagegen schon fast wie eine Persiflage auf verärgerte Zuschauer, die durchschaut haben, dass ihre Lieblingsshow sie über den Tisch zieht. Sonst bleiben gesellschaftliche Aussagen eher vage gehalten, sofern man nicht den Ellenbogeneinsatz als Statement werten möchte.
Fazit
Reality Z ist wahnsinnig kurzweilig und bleibt trotz hohen Kunstblut-Einsatzes angenehm leichtfüßig erzählt. Immer wieder wechselt die Serie ihre Marschroute und obwohl dank des sich nicht minder rasant rotierenden Personalkarussels Charakterentwicklung auf der Strecke bleibt, interessieren am Ende trotzdem die Einzelschicksale der Figuren. Die zunächst ignorierte Zombieseuche wirft hässliche Parallelen zu Brasiliens Führungsapparat während der Corona-Pandemie auf. Daher sind Ausstrahlungszeitpunkt und inhaltliche Gemeinsamkeiten gleich doppelt brisant. Unter Einbezug der ungewöhnlichen Luxus-Umgebung sorgt Torres für viel Satire und lässt auch kaum eine Möglichkeit ungenutzt, die Vor- und Nachteile einer solchen Location in sein Skript einzubeziehen. Der einzige Knackpunkt sind die auf der Strecke bleibenden Figuren, unter denen sich jeder selbst der Nächste ist und taktierendes Verhalten stärker als echte Verbindungen gefragt ist. Aber genau dieser Punkt kann wiederum als einzigartiges Verkaufsmerkmal von Reality Z ausgelegt werden.
© Netflix