Ragnarök (Staffel 1)
Auf Grundlage griechischer, römischer oder nordischer Mythologie wurden schon zahlreiche Bücher geschrieben, Serien und Filme umgesetzt. Die nordische Mythologie diente auch Stan Lee und Jack Kirby bei der Erschaffung ihres Superhelden Thor. Vor allem aber Skandinavien ist in Sachen Storytelling der eigenen Stoffe bislang unterrepräsentiert, was sich mit Ragnarök nun ändert. Der Weltuntergangsmythos aus Norwegen ging auf Netflix in Serie und durfte Anfang 2020 weltweit Fans einsammeln, die sich begeistert von der Fantasy-Coming-of-Age-Serie zeigten. Kein Wunder, dass die Mysterie-Serie des Borgen-Schöpfers Adam Price bei so vielen verzückten Zuschauern kurz nach der Ausstrahlung um eine zweite Staffel verlängert wurde.
Edda, eine norwegische Kleinstadt, irgendwo im Nirgendwo. Das ist das neue Zuhause der Brüder Magne (David Stakston, Skam) und Laurits (Jonas Strand Gravli, 22. Juli), die mit ihrer Mutter Turid (Henriette Steenstrup, Barn) hierhin ziehen. Während der jüngere Laurits schnell Anschluss findet, ist Magne ein stiller Außenseiter, der mit einer Lese- und Konzentrationsschwäche zu kämpfen hat. Wie sich herausstellt, ist Edda ein seltsamer Ort. Es ist viel zu warm für einen Winter und dennoch werden Menschen krank. Magne findet eine Seelenverwandte in der Aktivistin Isolde (Ylva Bjørkaas Thedin, Fremvandrerne), die die Umweltkatastrophe eines lokalen Großkonzerns aufzudecken versucht. Gleichzeitig erwachen in Magne physische Kräfte, die immer unmenschlicher erscheinen. Dass dahinter eine göttliche Kraft steckt, merkt Magne ausgerechnet in dem Moment, als er einen Hammer in der Hand hält …
Heranführung an die nordische Mythologie: spielend gemeistert
Originaltitel | Ragnarök |
Jahr | 2020 |
Land | Norwegen |
Episoden | 6 in Staffel 1 |
Genre | Fantasy, Drama |
Cast | Magne: David Stakston Laurits: Jonas Strand Gravli Gry: Emma Bones Turid: Henriette Steenstrup Isolde: Ylva Bjørkaas Thedin Vidar: Gísli Örn Garðarsson Ran: Synnøve Macody Lund Saxa: Theresa Frostad Eggesbø Fjor: Herman Tømmeraas |
Seit dem 31. Januar 2020 auf Netflix verfügbar |
Sonderlich subtil ist Ragnarök nicht darin, dem Zuschauer aufs Brot zu schmieren, dass die aus der nordischen Saga bekannte Götterdämmerung, welche etwa auch in der gleichnamigen Wagner-Oper aufgegriffen wird, auf eine neue Weise interpretiert wird. Wer sich mit diesem Stoff noch nie befasst hat, läuft nicht in die Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Denn Ragnarök beginnt wie eine herkömmliche Coming-of-Age-Serie um zwei Brüder, die beide auf ihre Weise aus den gängigen Rastern fallen. In jeder der sechs Folgen der ersten Staffel wird die nordische Mythologie durch Schrifttafeln langsam näher gebracht, sodass schließlich auch das Interesse bei Einsteigern schnell entflammt. Weniger subtil ist da die Tatsache, dass es auch im Unterrichtsplan der Schüler keine anderen Themen zu geben scheint. Die nordische Mythologie mag zwar in Vergessenheit geraten zu sein, doch scheint sie sich zu wiederholen.
Götter-Saga mit zeitgenössischer Thematik
Besonders gelungen an Ragnarök ist auch der Bezug zu einem Thema, das den Zeitgeist nicht besser treffen könnte: Klimawandel. Magne, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber im Klaren ist, dass er die Kräfte einer alten germanischen Gottheit geerbt hat, interessiert sich zunehmend für die prosaische Version des Weltuntergangs: die Klimakatastrophe, die in der Schule das Gesprächsthema zur Mittagspause ist. Das steht in krassem Gegenzug zu dem, was mancher Zuschauer bei einer solchen Serie erwarten könnte: Zumindest in Staffel 1 stehen keine epischen Kämpfe auf dem Programm, stattdessen sorgt Serienschöpfer Adam Price für einen Austausch über die aktuelle Lage der Welt. Dennoch wird schnell klar, dass die Götter auch heute existieren und zwar in menschlicher Gestalt. Das sorgt für Spannung, denn es ist unwahrscheinlich, dass nach nur sechs Folgen bereits alle ihre Identität enthüllt haben.
Gut und böse sind nicht immer unterscheidbar
Magne und Laurits gehen zwar in dieselbe Klasse, sind sonst aber grundverschieden. Laurits konnte einige Klassen überspringen und punktet mit seiner Intelligenz, während Magne vor allem sehr feinfühlig ist. Diese Wesenszüge arbeitet die erste Staffel in ihren sechs Folgen fein heraus. Klassische Teenager-Probleme bleiben nicht aus, wozu auch eine Dreiecksbeziehung mit dem Mädchen Gry (Emma Bones, Heimebane) zählt. Doch anders als in anderen Serien wird es selten so abgedroschen, dass der Eindruck entsteht, das eigentliche Ziel würde aus den Augen verloren werden. Dafür sorgen vor allem die Jutuls. Eine mächtige Familie, deren Einflüsse überall zu spüren ist: Vater Vidar (Gísli Örn Garðarsson, Der Eid) hat mehr zu sagen als der Bürgermeister. Seine Ehefrau Ran (Synnøve Macody Lund, Verschwörung) ist die Direktorin der Schule und deren Kinder sind die Alphatiere Saxa (Theresa Frostad Eggesbø, November) und Fjor (Herman Tømmeraas, Skam). Wie die Dramatik es so möchte, sind die beiden Konzern-Sprösslinge natürlich Mitschüler der beiden Brüder. Nicht bei allen Charakteren ist direkt klar, welche Agenda sie wirklich verfolgen.
Weshalb die Serie nicht woanders spielen könnte
Der Verweis auf den nordischen Gott Thor ist ähnlich subtil wie der Name „Edda“ als Anspielung auf die beiden in altisländischer Sprache verfassten Werke, die eine Art Sammlung der nordischen Mythen und Sagen darstellen. Natürlich ist der in der Edda prophezeite Weltuntergang Ragnarök, die letzte Schlacht zwischen den Riesen und den Göttern, auch gleich das Thema der ersten Unterrichtseinheit. Magne, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht darüber im Klaren ist, dass er die Kräfte einer alten germanischen Gottheit geerbt hat, interessiert sich auch mehr für die prosaische Version des Weltuntergangs: die Klimakatastrophe, die in der Schule das Gesprächsthema zur Mittagspause ist. Für das Land Norwegen wird ein weiterer Realbezug hergestellt, denn in den 70ern war das Provinz Vestland in Norwegen gelegene Sørfjord so stark von Schwermetallen verschmutzt, dass bis heute vom Verzehr einiger Fischarten abgeraten wird. Eine Verbindung zu diesen Vorfällen wird durch den Großkonzern Jutul Industries hergestellt, hinter dem sich auch der Bösewicht der Serie verbirgt.
Teenie-Drama mit Substanz
Abseits der mythologischen und aktuellen Bezüge ist Ragnarök vor allem ein Teenager-Drama. Das ist nötig, um Magne und Laurits auf ihre persönliche Heldenreise zu schicken. Eingebettet in einen Mordfall um eine nahestehende Person werden die Untersuchungen mit Fährte zu Jutul Industries schnell hergestellt und die eigentliche High School-Geschichte auf ein bedeutsameres Level aufgegleist. Wie in anderen europäischen Netflix-Produktionen setzt der Streamingdienst auch bei diesem Netflix Original auf einen heimischen Cast. Die norwegischen Schauspieler tragen zu der Authentizität bei, denn anders als viele andere Serien könnte Ragnarök eben nicht an jedem Ort der Welt erzählt werden und empfiehlt sich somit auch nicht als Kandidat für ein US-Remake.
Fazit
Ragnarök fühlt sich wahnsinnig frisch und als Puls der Zeit an. Man könnte sich vorstellen, dass auch die “Fridays for Future” hier thematisiert werden könnten, so präsent ist das Thema Klimaschutz. Und gleichzeitig fühlt es sich zu keinem Moment erdrückend an, denn Adam Prince ist das Kunststück gelungen, die Spannung vor allem durch das zu erzeugen, was unter der Oberfläche brodelt. Die Kombination aus Mystery, Umweltthriller und Coming-Of-Age ist durchaus reizvoller als man zunächst vermuten möchte und wird in der ersten Staffel ausgeklügelt aufbereitet. Die Vermutungen der Fangemeinde, dass hinter Laurits Loki stecken könnte, sind groß und werden wohl Dreh- und Angelpunkt der zweiten Staffel bilden.
© Netflix