Die Professorin

Zottelige Professor*innen, die den Moment ihres Ruhestandes schon längst verpasst haben und junge Student*innen, die Modernität und Diversität fordern, dabei aber doch auch mal über das Ziel hinausschießen: In der Netflix-Serie Die Professorin sorgt dieses Aufeinandertreffen der Generationen und Zeitgeister für hitzige Diskussionen. Und mittendrin ist die erste weibliche Leiterin der Englisch-Fakultät, die dummerweise genau dann befördert wird, wenn das Fachgebiet und das Institut langsam gen Untergang steuern. Die sechsteilige Dramedy um den beruflichen und privaten Trubel von Hauptfigur Ji-Yoon Kim (verkörpert von Sandra Oh, die auch eine der ausführenden Produzenten ist) stammt von Amanda Peet und Annie Julia Wyman. Als ausführende Produzenten sind dabei unter anderem keine Geringeren als das Game of Thrones-Duo David Benioff und D.B. Weiss beteiligt. Am 20. August 2021 erschienen die sechs etwa halbstündigen Episoden auf Netflix. Warum die Serie zwar gute Ideen hat, die Umsetzung aber leider eher enttäuschend ist, lest ihr in unserem Review.

Ji-Yoon Kim (Sandra Oh, Killing Eve) hat es geschafft: Als erste – und noch dazu koreanischstämmige – Frau ist sie nun diejenige, die den Posten des Institutsvorstandes besetzt und quasi Chefin. Blöd nur, dass die Englisch-Fakultät ohnehin schon längst in einer Krise steckt. Sinkende Einschreibungen, gekürztes Budget und zu viele, teils überbezahlte Professoren. Als sich dann auch noch ein Skandal und Shitstorm gegen den Professoren und Ji-Yoons guten Freund Bill Dobson (Jay Duplass, Transparent) abzeichnet, muss sich die zähe Ji-Yoon einiges einfallen lassen …

Kapitän eines sinkenden Schiffes

Originaltitel The Chair
Jahr 2021
Land USA
Episoden 6 in 1 Staffel
Genre Dramedy
Cast Ji-Yoon Kim: Sandra Oh
Bill Dobson: Jay Duplass
Ju-Hee Kim/Ju Ju: Everly Carganilla
Elliot Rentz: Bob Balaban
Yaz McCay: Nana Mensah
Dean Paul Larson: David Morse
Joan Hambling: Holland Taylor
Veröffentlichung: 20. August 2021

Ji-Yoon spricht selbst an, dass ihre Beförderung zum ersten weiblichen Institutsvorstand wohl nicht nur auf ihren Qualifikationen beruht. Viel mehr soll eine Frau das Sagen haben, wenn die Englisch-Fakultät endgültig den Bach runtergeht. Aber nicht nur die Fakultät selbst steckt in einer Krise, sondern viel mehr das gesamte Fachgebiet. Jahrhunderte Lehre klassischer englischer Literatur treffen auf aktuelle gesellschaftliche Bewegungen und den Wunsch der Studenten, nicht mehr nur Bücher von weißen Männern zu lesen. Oder wenn, dann bitte auch mit kritischem Blick auf die Person, die der Autor war. Man könnte sagen, dass das Thema von Die Professorin damit den Zeitgeist und aktuelle Diskussionen sehr gut trifft. Es geht um politische Korrektheit, Diversität und den Umbruch in der akademischen Lehre. Leider wird diese Thematik nicht nur extrem undifferenziert behandelt, sondern wirkt auch, als habe man mit der Holzhammer-Methode unbedingt Rassismus und Sexismus thematisieren wollen. Nur dass man diese dann genau bei Figuren wie Ji-Yoon oder ihrer älteren Kollegin Joan (Holland Taylor, Two and a Half Men) anekdotisch und oberflächlich, wenn überhaupt, behandelt. Dabei hätten beide definitiv für einen interessanteren und auch tieferen Einblick in diese realen Probleme sorgen können, anders als das kontextlose Einwerfen von Begrifflichkeiten moderner Rassismus-Theorien. Natürlich kann man sagen, dass gerade diese insgesamt eher inhaltslosen Diskussionen sinnbildlich für eine Diskussionskultur stehen, in denen lieber mit Anschuldigungen um sich geworfen wird, als ernsthaft Argumente auszutauschen. Trotzdem verfehlt die Serie das Anliegen, auf Missstände in der akademischen Lehre und Wissenschaft aufmerksam zu machen. Oder auch nur eine gewisse Tiefe oder Subtilität an den Tag zu legen.

Flache Figuren und unterentwickelte Beziehungen

Ein weiteres Problem offenbart sich dann bei den Figuren selbst. Ji-Yoon ist hierbei natürlich noch die vielseitigste Figur und mit ihrer Art auf Anhieb sympathisch. Sie ist nicht nur erfolgreiche Akademikerin, sondern auch alleinerziehende Mutter ihrer kleinen Adoptivtochter Ju-Hee (Everly Carganilla, Yes Day), genannt “Ju Ju”. Leider kriselt es auch in dieser Beziehung, Ju-Hee benimmt sich gegenüber Ji-Yoon abweisend und scheint Probleme damit zu haben, ein adoptiertes Kind zu sein (ohne Frage auch darin begründet, dass sie mexikanischstämmig ist und ihre Mitschüler so sofort erkennen, dass sie adoptiert wurde und sie teilweise hänseln). Das ist eigentlich eine sehr interessante Thematik und die Szenen zwischen Mutter und Tochter wissen zu punkten. Das gilt besonders für den Moment, als Ji-Yoon sieht, dass sich Ju-Hee durchaus um sie Gedanken macht, sie sich in der letzten Episode kuschelnd in den Armen liegen und Ju-Hee zum ersten Mal nicht mehr verweigert, auch Koreanisch zu sprechen. Der gesamte Konflikt wird aber nur sehr oberflächlich behandelt und die Entwicklung ist an manchen Stellen nur schwer nachvollziehbar. Auch Ji-Yoons guter Freund und Kollege Bill Dobson bleibt sehr flach. Er steckt offenbar in einer Midlife-Crisis, seine Frau verstarb vor einem Jahr und seine Tochter ist nun für das Studium flügge geworden. Eine ernsthafte Auseinandersetzungen mit diesen emotionalen Ereignissen sollten Zuschauer*innen aber nicht erwarten. Stattdessen wird er als hoffnungsloser Chaot dargestellt, der einen geschmacklosen Witz mit einem Hitlergruß macht und damit nicht nur einen eigenen Shitstorm kassiert, sondern den Ruf des gesamten Instituts auf das Spiel setzt. Warum Bill einen Hitlergruß für witzig hält, bei dem jedem Kind klar sein müsste, dass sich das weder gehört noch konsequenzlos bleiben wird – keine Ahnung, da muss man wohl raten, denn eine Erklärung wird nicht geliefert. Doch genau um diesen Vorfall und dessen Folgen dreht sich dann unschönerweise der Großteil der Handlung.

Eine Romanze zum … Einschlafen

Dazu kommt noch die angedeutete Romanze zwischen Ji-Yoon und Bill, die aber auf eine Art thematisiert wird, als hätte man als Zuschauer*in etwas verpasst. Es scheint, als würden die beiden Akademiker schon länger romantische Gefühle füreinander hegen, aber eine wirkliche, authentische Darstellung dieser abseits komischer und deplatzierter Kuss-Szenen vermisst man auch an dieser Stelle kläglich. Immerhin die Szenen, in denen Bill rasch eine Bindung zur kleinen Ju-Hee aufbaut, können überzeugen. Wenn man Ji-Yoon, Bill und Ju-Hee zusammen sieht, wünscht man ihnen dann auch irgendwie ein Happy End als kleine Familie. Aber auch nur dann, denn die Beziehung zwischen Ji-Yoon und Bill selbst ist derart künstlich und oberflächlich, dass sie nicht egaler sein könnte. Dabei gibt es hier sehr interessante Ansätze. So kannte Ji-Yoon Bills verstorbene Frau, aber mehr als das erfährt man über diese dann auch nie. Oder aber über Bills Tochter. Dazu kommen dann noch merkwürdige Nebenhandlungen, deren Sinn man vergeblich sucht. Warum taucht immer wieder eine junge Studentin auf, die mit Bill in verzwickte Situationen gerät? Sie trägt aktiv nichts bei, außer vielleicht um zu zeigen, wie unbedarft Bill agiert und warum er sich somit immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Man merkt in jedem Falle, dass die kreativen Köpfe hinter Die Professorin aus der Serie viel machen wollten und man zahlreiche Aspekte eingebracht hat. Aber das bringt wenig, wenn am Ende kaum etwas davon ordentlich umgesetzt wird.

Im Grunde eine straffe Erzählung

Bei aller Kritik muss gesagt sein, dass Die Professorin natürlich nicht alles falsch macht. Bei nur sechs Episoden mit je etwa 30 Minuten Laufzeit, ist die Serie schnell durchgeschaut. Das hilft ungemein, da so eine konsequente Erzählung geschaffen werden konnte. Bei den Figuren, den Beziehungen und auch der Tiefe mangelt es zwar, aber die sture Handlung ist durchaus schlüssig und interessant. Man fiebert mit, wenn Ji-Yoon ihr Bestes tut, das Institut positiv zu verändern, alte Machtstukturen aufzubrechen und dagegen ankämpft, auch selbst mit einem unbedachten Wort sofort einen Shitstorm zu ernten. Besonders erinnerungswürdig ist die Handlung um die Besetzung einer Stelle, für die Ji-Yoon die hipe Yaz McCay (Nana Mensah, Farewell Amor) vorschlägt, die aber mit einem bekannten Schauspieler (trotz deutlich geringerer Qualifikation) besetzt werden soll, um für Publicity zu sorgen. Ji-Yoon knallt dem Möchtegern-Professor dann bei einem Besuch herrlich trocken die Meinung. Einige der absurden Situationen regen somit auch zum Schmunzeln an, wenn Bill etwa versehentlich die Geburtstagsfeier von Ji-Yoons Nichte ruiniert. Oder die rustikale Art von Joan, deren Tätigkeiten zwar etwas belanglos wirken (wie die Suche nach dem Verfasser eines fiesen Kommentars), die aber richtig austeilen kann und ein heimlicher Star der Serie ist. Allerdings fällt auch auf, dass Die Professorin für eine Dramedy erstaunlich wenige Momente zum Lachen hat. Humor ist ja bekanntlich Geschmackssache, aber es gibt kaum Szenen, die wirken, als seien sie humoristisch angehaucht. Die offensichtlichen Versuche einer Satire funktionieren dann auch nur an wenigen Stellen richtig, auch wenn diese dann immerhin punkten können.

Ehre wem Ehre gebührt: Die Schauspieler*innen leisten grandiose Arbeit

Mit Sandra Oh in der weiblichen Hauptrolle konnte ein echter Star engagieret werden. Besonders bekannt ist sie durch ihre Rollen als taffe Dr. Cristina Yang im Dauerbrenner Grey’s Anatomy und als Eve Polastri in dem Thriller-Hit Killing Eve. Auch hier beweist die Schauspielerin erneut, wie vielseitig sie ist und dass sie ganz verschiedene Arten von Charakteren spielen kann. Man nimmt ihr zu jeder Zeit die leicht gestresste, aber auch witzig-komische Fakultätschefin ab. Selbiges gilt für Jay Duplass, der die Rolle des chaotischen Bill verkörpert und dessen verstreute, unbeholfene Art authentisch darstellt. Mit Holland Taylor als Joan findet sich ein weiterer großer Name im Cast und obwohl sie für viele wohl immer als die exzentrische Evelyn Harper in Two and a Half Men in Erinnerung bleiben wird, zeigt sie hier erneut, dass man sie darauf keinesfalls beschränken sollte. Kinder-Darsteller*innen sind da oft schwieriger, aber mit der jungen Everlyn Carganilla, die Ji-Yoons Tochter verkörpert, wurde eine sehr gute und authentische Schauspielerin gefunden.

Fazit

Es ist ein Jammer: Die Professorin hat in der Theorie viele interessante Ansätze und die Charaktere haben allesamt sehr spannende Aspekte zu bieten, die nur weder weiterentwickelt noch richtig thematisiert werden. Da die Handlung am Englisch-Institut sich schnell auf ein Thema versteift (politische Korrektheit, Bills unpassender Nazi-Witz), sucht man stattdessen speziell in Ji-Yoons Privatleben andere interessante Handlungen, wird fündig – und muss feststellen, dass aus diesen entweder nichts oder nur sehr oberflächlich etwas gemacht wird. Damit bleibt zu sagen, dass man die Serie durch ihre Kürze gut einmal an einem Mittag schauen kann, aber auch nichts verpasst, wenn man es nicht tut. Zum Nachdenken bietet die Handlung durch ihre Holzhammer-Methode leider wenig und zurück bleibt ein bitterer Beigeschmack von viel Potenzial, das vollkommen ungenutzt bleibt.

© Netflix

Ayla

Ayla ist Schülerin und beschäftigt sich hobbymäßig mit allen möglichen Medien, ohne dabei Beschränkungen zu kennen. Dennoch ist sie vor allem ein Serien- & Game-Junkie und liebt besonders actionreiche und dramatische Inhalte, wobei sie gleichzeitig für viele kindliche Themen zu haben ist, weshalb sie weiterhin großer Disney-Fan ist. Abseits ihrer Leidenschaft des Sammelns ihrer Lieblingsmedien schreibt Ayla gerne selbst Geschichten oder zeichnet Bilder, um sich so zu entspannen.

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