Root Film
Angehende Regisseure haben es nicht einfach: Ihre Stimmbänder sind dank ‘ACTION!’-Rufen rauer als die Budgetverhandlungen mit den Studios, ihrer Finger durch Unfälle mit der Synchronklappe malträtiert und dann obendrauf immer noch diese mysteriösen Mordserien. Fiktiver Fun Fact: Geheimnisvolle Entleibungen sind die neunzighäufigste Ursache für gescheiterte Filmprojekte direkt hinter randalierenden Kuhherden. Entsprechend wundert es nicht, dass sich Rintaro Yagumo, ein Up-and-maybe-coming Filmemacher, und Hauptdarsteller in der Mystery-Visual Novel Root Film mit einer solchen Todesserie herumschlagen muss. Ausgebildet in der Filmschule von Kadokawa Games und von Patron und Publisher PQube im März 2021 in die westliche Hemisphäre beordert, lässt er sich jedoch nicht unterkriegen, immerhin tapst er in den (zugegeben schmalen) Fußstapfen seines geistigen Vorgängers ‘Max’ aus Root Letter (2016), wobei er mit ihm faktisch nur eben jenen Spitznamen teilt. Sind die Leiden des jungen Yagumo nun ein Grund das Popcorn vorzubuttern und die Drei-Liter-Cola kalt zu stellen? Oder hätte man sich lieber das Ticket gespart und die Filmklappe halten sollen?
Rintaro Yagumo, gerne auch Max genannt, vermutlich weil er immer das MAXimum gibt (oder aus leicht seltsamer Anschlussliebe zum Vorgänger), ist ein aufstrebender Regisseur, der nach einem Sieg auf einem Festival auf den Gipfel der Filmkunst klettern möchte, momentan aber noch mit in die Hüften gestämmten Händen leicht irritiert zum Berg hochschaut. Er verbringt seine Tage mit Asssistentin Magari damit, in billigen B-Movie-Horror- und Mystery-Streifen Teenager dem nächstbesten Killermonster zum Fraß vorzuwerfen, bis eines Tages eine Gelegenheit an die Tür klopft, bei der es sich nicht um einen arbeitssuchenden Axtmörder handelt. Ein Mystery-Drama-Projekt, das vor zehn Jahren aus passenderweise mysteriösen Umständen eingestellt worden ist, soll wiederbelebt werden und das auf großen Fuß: Genauer gesagt drei großen Paar Füßen, denn ein ganzes Bündel an Regisseuren soll in einer Art Wettbewerb Kurzfilme produzieren, die allesamt in der Präfektur Shimane angesiedelt sind. Yagumo bekommt die Chance, seine Beine und Kamera hinzuzustellen, um neben zwei berühmten Namen der Industrie samt frischer Schauspielerin an dem Projekt zu werkeln. Gleichzeitig lässt ihn aber das einst eingestampfte Originalwerk nicht los und wie es der Zufall will, ist die Vergangenheit genauso anhänglich. Denn es dauert nicht lange, bis bei dem zuvor mysteriös gecancelten Mystery-Drama mysteriöse Vorkommnisse die Produktion neuer Mysterien mysteriöser Weise behindern.
Maske! Den Interaktions-Tupfer bitte!
Originaltitel | Root Film |
Jahr | 2021 |
Plattform | PlayStation 4, Nintendo Switch |
Genre | Mystery-Visual Novel |
Entwickler | Kadokawa Games |
Publisher | PQube |
Spieler | 1 |
USK | |
Veröffentlichung: 19. März 2021 |
Root Film ist ähnlich wie Root Letter maßgeblich eine reine Visual Novel, die übrigens vollkommen unabhängig voneinander gelesen werden können. Abseits von der Tatsache, dass es wie im Vorgänger in dem real existierenden Shimane spielt, gibt es neben der Wurzel im Namen, dem ‘Max’ im Protagonisten und ein paar Melodien im Ohr keine direkten Verknüpfungen. Selbst der Zeichenstil hat sich deutlich geändert, während man das Charakterdesign leicht wiedererkennt, sind die Hintergründe und der generelle Stil mit kräftigeren Farben gegenüber der wässrig-hauchigen Präsentation des Vorgängers gepinselt worden. Auch die Linien-Umrisse haben die Bänke im Fitness-Studio gedrückt und treten deutlicher hervor, während es Himmel- und Waldflächen auch gerne mal tupfiger wirkt, was die Gemaltheit (ein absolut etabliertes Fachwort, wie der Schreiber vehement nickend versichert) deutlicher hervortreten lässt. ‘Tupfer’ gibt es auch im Bereich des Gameplays, denn auch wenn es in seinem Herzen durch und durch eine Visual Novel ist, gibt es ein paar Interaktiönchen, bei der der Gamepad-Haltende aus dem gemütlichen X-Drück-Stupor gerissen wird. Regelmäßig kann (und muss) auf einer kleinen Landkarte der nächste Ort aus einer Reihe von Möglichkeiten ausgewählt werden, den die Truppe um Yagumo besuchen soll. Zudem – in leicht adventuriger Manier – gibt es auf manchen Bildschirmen eine Handvoll klar ausgewiesener Interaktionspunkte, die angewählt werden können. Das nimmt nie Überhand und ist mehr leichtes Point&Click-Make-Up als vollwertige Abenteuerschminke.
Detektiv-Level: Lupenvorbehaucher
In ähnlicher Weise verhält es sich mit dem anderen Gameplay-Element, quasi dem investigativen Teil, in der ein potentiell Schuldiger in die yagumo’sche Mangel genommen wird, was erneut aus unerfindlicher Maxophilie ähnlich wie im Vorgänger ‘Max Mode’ genannt wird. Hier muss man die zuvor in Gesprächen gesammelten Hinweise dem Täter – selbstverständlich unter genretypisch verpflichtender Einberufung aller Beteiligten – in großer Detektiv-Manier solange unter die Nase reiben, bis ihm die Knie weich werden und er auf selbige fällt. Diese Konfrontationen stellen meist den Höhepunkt der in mehrere einzelne Kapitel aufgeteilten Geschichte dar. Die Kapitel selbst wurden wiederum in augengerechte Happen zurecht geschnitten, sodass es sich problemlos in kleineren Schüben lesen lässt. Leider sind die theatralischen Detektiv-Präsentationen aus Spielersicht eher mau, da zwar in der jeweiligen Situation mit dem passenden Hinweis reagiert werden muss, um voranzukommen, aber es ist wahrscheinlicher am frühen Morgen von einem herabfallenden Koboldgoldtopf erschlagen zu werden, als eines der Verhöre gegen die Wand zu fahren. Es testet nicht so sehr, ob man die Zusammenhänge versteht oder in der letzten halben Stunde in ein Spontan-Koma gefallen ist, sondern vielmehr ob man prinzipiell des Lesens mächtig ist. Etwas plastischer ausgedrückt: Wer bei der Frage “Woraus bestand das Getränk?” zwischen der Auswahl A: “Schwarzwaldkirschen” B: “Der Anzug hat ein Loch!” zu verzweifeln beginnt, sollte den Trenchcoat nicht abgeben, sondern gleich verbrennen. Nur bitte vorher ausziehen.
Gute Stimmung am Set
Kurz und gut, das Gameplay ist mehr eine nette Dreingabe, die mitunter beim oftmals nötigen Ortsabklappern etwas an den Nervenenden zupfen kann, aber im Herzen bleibt es eine Mystery-Visual Novel und die steht und fällt unter anderem mit der Größe der Frage- und der Qualität der Ausrufezeichen. Um diesen Punkt aus purem Spannungsaufbau und gewisser Gehässigkeit hinauszuzögern, erst einmal zu den Figuren: Und die sind überwiegend sympathisch. Sie werden vermutlich nicht für den ‘Figur des Jahres’-Oscar auf die Bühne gezerrt, aber man muss auch keinen Bogen um sie bei der Afterparty machen. Gerade Yagumo und seine Assistentin sowie Ex-Delinquent Magari arbeiten auf ihre ganz eigene Weise ‘gut’ zusammen. Insgesamt ist es ein sympathischer und gut vertonter Cast, die zwar so manches Trope mit sich herumschleifen, aber nicht gänzlich darauf reduziert sind. Besondere Erwähnung soll an der Stelle noch die Endsequenz finden, die selbstverständlich nicht vorweggenommen wird, die aber mit der stärkste Part der ganzen Novel ist und in kurzer Zeit eine erstaunlich bittersüße Atmosphäre aufbaut. Falls die Shimane-Mysterie-Reihe, die mit Root Letter ihren Anfang nahm, sich in einem ‘Root Grammophon’, ‘Root Radio’ oder ‘Root Morscode’ fortsetzt, dürfen Yagumo und co. gerne wieder mit von der Partie sein.
Vorabend-Krimi
Aber nun zum finalen Kreuzverhör, das mit einem kurzen mentalen Trommelwirbel begleitet wird: Zentrum und quasi Haupttäter in einem; das Mysterium selbst. Wie stellt sich Root Film mit seinen Windungen und Wendungen an? Und die Antwort ist ein eindeutiges … Okay’ish. Wie angedeutet ist die Geschichte in mehrere Kapitel unterteilt, die jeweils einen eigenen Fall behandeln und dazwischen spannt sich ein roter Faden. Oder vielmehr schlabbert sich ein Faden, denn so wirklich überzeugen kann Root Film hier nicht. Die einzelnen Fälle sind meist zu kurz geraten, um allzu große Spannung aufzubauen, haben aber jeweils einen gewissen Vorabend-Krimi-Charme, der von den wiederkehrenden Charakteren getragen wird. Die Fingernägel bleiben von etwaiger Knabberei verschont und machen einem entspannten Schmunzeln Platz. Damit sei nicht gesagt, dass der eben erwähnte Faden keine Schlenker oder Überraschungen parat hält, wer sich aber im Mystery-Bereich auskennt, wird einiges kommen sehen und zum Finale hin leiert er leider aus. Dem großen Mastermind wird sehr viel Erklärungslast aufgezwungen, die er dann aber leicht beschämt zu Boden poltern lässt, insbesondere wenn es um seine Motivation geht. Da bräuchte es dann doch noch einmal Nachhilfe im Club der großen Planer.
Fazit
Root Film ist in allen Belangen besser als sein Vorgänger und eine unterhaltsame Mystery-Novel für zwischendurch, die keine exorbitanten Lesezeiten erfordert. Nach zehn bis 15 Stunden sollte das Ende über den Bildschirm flimmern, ohne das noch zahlreiche Routes und True Endings herausgekitzelt werden müssten. Die positive Wertung mag jetzt nach dem grummeligen Zeilen zuvor überraschen, aber ich bin tatsächlich angenehm überrascht, was maßgeblich daran liegt, dass ich kein gutes Verhältnis zu Root Letter habe. Den einzigen Brief, den der Titel von mir bekäme, wäre eine einstweilige Verfügung. Root Film war ich daher etwas misstrauisch gegenüber eingestellt und ja, mit Blick auf das Mysterium hat es mich nicht überzeugen können. Aber Charaktere, Atmosphäre, Artwork und der Schreibstil sind allesamt ein deutlicher Sprung nach vorne. Eventuell wäre es aber noch empfehlenswert ein paar weitere Fehlerspürhunde zu engagieren, denn deren Beute hat sich gerade in den hinteren Kapiteln etwas stark angehäuft. Insgesamt hoffe ich jetzt tatsächlich darauf, dass es einen weiteren Titel geben wird – ‘Root Radio’ hätte doch wirklich was und klingt ein bisschen wie das Programm der Wahl für Bäumling Groot – und man noch einmal in Shimane auf Mystery-Schnüffeltour geschickt wird. Ich möchte schlicht nach den hier schon zu sehenden Fortschritten sehen, was sie noch aus ihren Ideen herauskitzeln können. Da ist das MAXimum doch sicherlich noch nicht erreicht, eh? Eh?
© PQube