The Dark Pictures Anthology: Man of Medan

Mit dem PS4-exklusiven Until Dawn landete Super Massive Games 2015 einen Überraschungshit. Ein interaktiver Horrorfilm, bei dem mancher Protagonist sterben kann – oder eben auch nicht. Entscheidungen bestimmen maßgeblich den Verlauf der Geschichte und die Dichte an Ver- und Abzweigungen der Story ermöglicht einen hohen Wiederspielwert. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Geschichte fortgesetzt werden würde. Zur Enttäuschung vieler Fans wurde kein zweiter Teil angekündigt, dafür allerdings eine dreiteilige Horror-Anthologie. Unter der der Dachmarke The Dark Pictures Anthology werden mehrere Episoden mit jeweils unterschiedlichen Charakteren und Settings ab 2019 veröffentlicht. Den Anfang macht die Gruselerfahrung auf offener See, Man of Medan, welche ebenfalls für Xbox One und PC erscheint. Allerdings fällt der Startschuss enorm holprig aus …

   

Conrad und seine Schwester Julia chartern gemeinsam mit Julias Freund Alex und dessen Bruder Brad ein Boot, um per anschließendem Tauchgang ein abgestürztes Flugzeug aus dem zweiten Weltkrieg zu erkunden. Mit an Bord ist die taffe Kapitänin Fliss, welche sich mit der euphorischen Gruppe schwer tut. Nicht lange, da tauchen Piraten auf und nehmen die Gruppe als Geisel. Als ein Sturm aufzieht, bleibt nur die Rettung auf ein unbemanntes und aus dem Nichts auftauchendes Geisterschiff …

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Originaltitel Man of Medan
Jahr 2019
Plattform PlayStation 4, Xbox One, PC
Genre Horror
Entwickler Supermassive Games
Publisher Bandai Namco Entertainment
Spieler 1 – 5
USK

Anders als in Until Dawn erstreckt sich die Spielzeit nicht über eine Nacht, sondern tatsächlich nur über vier bis fünf Stunden. Die The Dark Picture Anthology wird nämlich im Niedrigpreis-Segment (30 Euro) angeboten und verspricht kurzweilige Unterhaltung in regelmäßigen Abständen. Da der Nachfolger Little Hope bereits 2020 mit neuer Geschichte aufwartet, ist der zeitliche Abstand also umso geringer. Until Dawn-Spieler werden sich sofort in das Spiel einfinden und auch Neulinge tun sich leicht. Das Gameplay ist denkbar simpel: Die einzelnen Spielabschnitte wechseln zwischen den fünf Figuren hin und her, mit denen das Schiff erkundet wird. Dabei stehen allerlei Entscheidungen an. Manche ohne Handlungsrelevanz, andere beeinflussen den weiteren Spielverlauf. Deren Konsequenzen gehen soweit, dass nicht nur das eigene Leben, sondern auch das anderer Charaktere am seidenen Faden hängt. Es ist völlig offen, wie viele der Charaktere das Ende erreichen werden. Über das Los der Figuren bestimmen Schnelligkeit in Quicktime-Events sowie die Wahl der getroffenen Antworten. Die Motivation ist also groß, das Spiel gleich mehrfach durchzuspielen, um alle Szenen und Spielabschnitte sowie natürlich auch alle Todesarten zu erleben. Hier sei allerdings gesagt, dass zahlreiche Todesszenen nicht auf einzelne Charaktere zugeschnitten sind, sondern jede Figur ereilen können.

Neue Modi

Zwei neue Modi hat der Entwickler eingebaut. Der Koop-Modus erlaubt es zwei Spielern, die dicht erzählte Geschichte zeitgleich online zu erleben. Das kann manchmal ermüdend sein, wenn ein Spieler auf die Entscheidung des anderen Spielers warten muss. Spaßiger ist da der Kino-Modus, bei dem sich bis zu fünf Freunde auf der Couch versammeln lassen. Diese Möglichkeit ist zwar in der Praxis auch in Until Dawn gegeben, wird nun aber um die Möglichkeit erweitert, Figuren einzelnen Spielern zuzuordnen, sodass das Spiel jedes Mal darauf hinweist, an wen der Controller als nächstes weitergereicht werden muss. Dank deutscher Synchronisation lässt sich das Spiel also in der Tat wie die Extended Version eines Films genießen.

Der Kurator stellt sich vor

Eine weitere Parallele zu Until Dawn sind die Wechsel in das Büro des Kurators. Dieser ersetzt den Psychiater des geistigen Vorgängers und ist gleichzeitig Gastgeber der Anthologie. In der Menüführung wird bereits erklärt, dass jede Geschichte der The Dark Picture Anthology einem der Bücher seiner Bibliothek entspringt. Die titelgebende Gemeinsamkeit liegt darin, dass die Ingame-Gemälde als Hinweisgeber dienen, die es richtig zu interpretieren gilt. So kann mancher Tod verhindert werden. Darüber hinaus kommentiert er den Verlauf der Geschichte (etwa das Ableben einzelner Personen) und murmelt kryptische Hinweise. Ein nett gemeinter roter Faden, der allerdings verzichtbar wäre. Mehr Geschichte wird in all den auffindbaren Tagebüchern und Notizen vermittelt, welche spürbaren Tiefgang in das Drumherum bringen.

Wie schlagen sich Geschichte und Figuren?

Womit der Titel punktet, ist die Geschichte. Zwar werden aufmerksamke Spieler bereits früh durchschauen, was die Ursache für all die Umstände ist, doch davon einmal abgesehen funktioniert der Handlungsaufbau im Großen und Ganzen. Richtig ärgerlich wird es allerdings bei den Charakteren. Jeder davon lässt sich auf genau einen Stereotypen herunterbrechen: Der großkotzige Conrad, die naive Julia, die dauerwütende Fliss, der unscheinbare Alex und der streberhafte Brad. Die Gruppe besteht aus Unsympathen, die wenig Anlass geben, um mit ihrem Schicksal mitzufiebern. In Until Dawn ist die Ausgangslage keine andere, doch dort wachsen die meisten Figuren drehbuchbedingt wenigstens über sich hinaus. Man of Medan gibt sein Bestes, um die Figuren auf eine unnatürliche Weise unsympathisch wirken zu lassen. Dadurch wirken sie, als hätten sie am Ende eine Entwicklung erfahren, die eigentlich gar nicht gegeben ist. Immerhin passiert das einfach nur, weil dumme Sprüche reduziert werden. Auch kritisch ist das Storytelling: Innerhalb der Erzählung ergeben sich Leerlaufphasen, was angesichts der kurzen Laufzeit umso fataler ist. Die Schiffsgänge ähneln einander, sodass die Lokalitäten wenig Abwechslung bieten. Ähnlich unrund gestaltet sich dabei das je nach Verlauf abrupt ausfallende Ende. Insgesamt bleibt der Eindruck, dass die Hintergrundgeschichte wohldurchdacht ist, für Gameplay-Elemente und Figuren jedoch keine Zeit mehr blieb.

Technisches K.O.

Visuell war Until Dawn seiner Zeit voraus. Die Animationen von Mimik und Gestik der Figuren beeindruckt und die schauspielerischen Vorbilder lassen sich einwandfrei zuordnen. Einzig die dauerglänzenden Augen wirkten seinerzeit noch wenig realistisch. Diesen Umstand korrigiert Man of Medan zwar, wirkt darüber hinaus jedoch technisch unausgereift. Das Spiel ruckelt an allen Ecken und Enden, bleibt immer wieder hängen und springt gelegentlich sogar. Zu spät ladende Texturen verstärken den Eindruck einer zu früh veröffentlichten Fassung. Weiterhin sorgt die schwerfällige Steuerung für Unmut, die wenig Spaß dabei bereitet, die Figuren durch die engen Schiffsgänge zu manovrieren. Der Sound kann mit düsteren Klängen, gut abgemischten Effekten sowie hoher Dynamik überzeugen und trägt einen wesentlichen Teil zur Atmosphäre bei.

Fazit

Man of Medan ist eine äußerst schwierige Angelegenheit. Technisch säuft der Titel ab und ist erschreckend gering weiterentwickelt. Dass die Ruckler und Freezes häufig das Spielgeschehen negativ beeinträchtigen, fällt da umso schwerer ins Gewicht. Atmosphärisch glänzt der Titel und bildet ein gelungenes Kontrastprogramm zu der zugeschneiten Lodge aus Until Dawn. Fans werden auch diesen Teil lieben (lernen) und immer wieder durchspielen. Es liegt auf der Hand, dass diese Kurzgeschichte nicht an den Vorgänger heranreicht und lediglich für zwischendurch programmiert wurde. Das kann man einerseits bedauern, andererseits begrüßen, da somit kürzere Wartezeiten bis zum nächsten Teil der Anthologie entstehen. Für den nächsten Teil wünsche ich mir weniger stereotype Figuren und mehr Sympathieträger, mit denen man sich auch wirklich identifizieren kann.

Zweite Meinung

Zugegebenermaßen kann man sagen, dass sich bei mir nach dem großen Spaß, den ich bereits mit Until Dawn hatte, eine gewisse Erwartungshaltung eingestellt hat. Und da haben wir auch schon das Hauptproblem des Ganzen: wer viel erwartet, wird oft enttäuscht. Im Gesamten betrachtet ist Man of Medan ganz nett, denn es ist nichts so richtig schlecht, aber reißt einen auch nicht vom Hocker. Die Figuren sind mir persönlich etwas zu farblos und charakterschwach. Ich hätte mir gewünscht, viel mehr über sie zu erfahren, um mich besser in sie hineinversetzen zu können. Auch die nur geringe Anzahl an spielbaren Charakteren ist recht ernüchternd. Der eigentliche Ort des Geschehens, das verlassene Militärschiff bietet viel Potenzial für schaurig-düstere und todeslüsterne Ereignisse. Leider wirkt vieles eher wie ein Einheitsbrei. Gefühlt sind 80% der Todesmöglichkeiten ein und dieselbe und es steckt nicht wirklich etwas neues Innovatives dahinter. Die grafisch-technische Ebene ist der Teil, der mich am meisten enttäuscht. Die Charaktere wirken sehr plastisch und Emotionen wie Angst und Furcht sind leider nur mäßig gut dargestellt. Das wohl mit Abstand Nervigste am ganzen Spiel sind allerdings die sehr häufig auftretenden Lags in den einzelnen Spielsequenzen. Mit dem einen oder anderen Ruckler kann man im Normalfall leben, aber in dieser Häufigkeit rauben sie einem den Spielspaß. Obgleich man allein spielen oder die gruselige Atmosphäre in netter Gesellschaft genießen möchte, für ein oder zwei unterhaltsame Abende kann man das Spiel bedenkenlos empfehlen. Ich hoffe persönlich sehr, dass der Nachfolger im nächsten Jahr um einiges besser in Szene gesetzt wird.

© Bandai Namco

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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