Little Nightmares II

Vier Jahre nach dem Erscheinen des von Horror-Fans geliebten Games Little Nightmares, lassen die schwedischen Tarsier Studios erneut eine Wagenladung kleiner Alpträume auf die Spielewelt los. Wie auch schon im Vorgänger geht es in Little Nightmares II darum, sich als kleines Kind in einer viel zu großen Welt gegen noch viel größere Gefahren zu behaupten, für die man hoffnungslos schlecht ausgerüstet ist. Tarsier Studios gönnen uns also wieder einmal eine Runde tödliches Versteckspiel, das in seiner etwa sechsstündigen Spielzeit ein paar aufregende Momente bietet. Allerdings gibt es auch maue Rätsel und so manchen Steuerungsfrust. Little Nightmares II ist ein Gruselspiel, dessen Stärke eindeutig in seinem ästhetischen Reiz liegt.

   

Neuer Teil, neuer Protagonist: Der kleine Mono erwacht mitten im Wald und macht sich auf, den Ausgang zu finden. Dabei muss er Bärenfallen ausweichen und an von Fliegen umschwärmten Leichensäcken vorbei bis er schließlich in der Hütte des grotesk vermummten Jägers auf eine gefangene Gleichgesinnte trifft: Six, die Heroine aus dem Vorgängerspiel. Mono befreit sie. Gemeinsam versuchen sie den Fängen des Jägers zu entkommen und die ferne Stadt zu erreichen … in der nur noch mehr Monstrositäten auf sie warten.

Händchen halten mit Six

Originaltitel Little Nightmares II
Jahr 2021
Plattform Microsoft Windows, Nintendo Switch, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series
Genre Puzzle, Jump’n’Run
Entwickler Tarsier Studios
Publisher Bandai Namco Entertainment
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 11. Februar 2021

Klein sind in Little Nightmares nicht die Alpträume, sondern man selbst. Wie bereits Six im Vorgänger Little Nightmares und das Runaway Kid in dem DLC Secrets of the Maw bewegt sich auch Mono durch eine wortlose Welt, die scheinbar für Riesen gemacht ist. Little Nightmares II ist ein 2,5D-Sidescroller, heißt also, wir können neben der üblichen Von-links-nach-Rechts-Bewegung auch begrenzt in die Tiefe laufen. Anfangs bewegen wir uns noch ganz alleine durch den grimm’schen Gruselwald, doch bald schon gabeln wir Six, die Heroine aus dem Vorgängerspiel, auf. Six selbst ist dieses Mal nicht spielbar sondern wird zur Koop-Partnerin, die uns beim Lösen von Rätseln hilft und allgemein Hinweise gibt. In einer Welt der Alpträume ist Six die einzige Form von Vertrautheit, die uns begegnet, ausgedrückt dadurch, dass wir ihr Händchen halten können (Balsam in Corona-Zeiten, huh?). Doch freilich wäre Little Nightmares nicht Little Nightmares, wenn nicht auch mit Six irgendetwas nicht stimmen würde. Denn im Verlauf der Geschichte wird sie immer abgebrühter und zeigt brutale Verhaltensweisen, die sich zwar nicht gegen Mono richten, ihn aber trotzdem erschrecken. Trotz dieser verheißungsvollen Diskrepanz, wird die Beziehung der beiden überraschend schwach behandelt. Das macht aus Mono und Six eher eine Zweckgemeinschaft denn Freunde, was auch dem Finale einiges von seiner Wirkungskraft nimmt.

Auf der Flucht vor den Bossen

Schon 2017 war Little Nightmares ein visuell dufte designter Alptraum. Die vier Jahre, die seitdem ins Land gezogen sind, hat Tarsier Studios dazu genutzt, die Präsentation noch ein bisschen dufter zu gestalten. Die Entwickler spielen vermehrt mit den Kameraperspektiven, durch die die entstellten, vage an Erwachsene erinnernden Monster stets wie ein visueller Paukenschlag plötzlich im Bild erscheinen. Gerne werden die Bosse auch in schönster Tiefenunschärfe gehalten. Oder aber es gibt eine beunruhigende Geräuschkulisse, die anschwillt, je näher wir dem neuen Boss kommen. Die Sounds klingen verstörend mechanisch – irgendwas treibt der Gegner also dort und unser Kopf läuft Amok bei der Vorstellung darüber, was das sein könnte. Das Prinzip, dass sich die Bosse mit uns durch das Level bewegen, wurde im Übrigen beibehalten. Das Spiel hat ein recht gutes Gespür dafür, wann sich der Terror eines Bosses erschöpft hat, so dass es den nächsten ins Rennen schickt und die Spieler so bei Laune hält. Selten wird die eigentlich furchterregende Kreatur zu einem Nervbolzen, den man endlich abhaken will, doch meistens stimmt das Gleichgewicht. Allerdings fallen bei den Bossen die manchmal ruckeligen Animationen auf, bei denen man sich fragt, ob das Absicht ist (da ruckelige, unkontrollierte Bewegungen den Schreckfaktor erhöhen können) oder eben nicht.

Locations: neu. Ästhetik: vertraut.

Auch was die Präsentation der Locations anbetrifft, hat Little Nightmares II ein paar neue Moves dazugelernt. In manchen Abschnitten fährt die Kamera nun heraus und präsentiert eine vom Franchise ungewohnte Weite, die wallpaper-würdig ist. Sonst aber ist vieles beim Alten geblieben. Wir bewegen uns wie gewohnt durch dunkle Kulissen, in denen Haken, Leichen und Säcke von den Decken hängen und Spielzeug in dubioses Licht getaucht ist, um Kinder anzulocken. Es gibt neue Szenerien, wie eine verregnete Stadt, eine gruselige Schule oder ein von Mannequins besetztes Krankenhaus (wobei hier natürlich diverse Klischees bedient werden), doch fühlt sich alles doch sehr vertraut und ähnlich an. Die Little Nightmares-Serie bekennt sich zu ihrem gefundenen und beanspruchten Ästhetikstil, der auf Dauer Gefahr laufen könnte, lahm zu werden. Doch dank des geschickten Level-Design und der relativ kurzen Laufzeit von sechs Stunden ist das meistens nicht der Fall. Liegt aber auch daran, dass die Bosse unbestreitbar die Stars des Games sind und sämtliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Rätsel: mau. Steuerung: durchwachsen. Story: nuja.

Wie beim Vorgänger ist die Präsentation also ‘wow’, die Umgebungs-Rätsel aber eher mau, mit vielleicht gerade mal zwei härteren Nüssen. Die größte Herausforderung sind tatsächlich die Fluchtpassagen, da sie (der Spannung wegen) immer haarscharf zu unseren Gunsten ausgehen. Was aber auch bedeutet, dass der kleinste Hänger den Tod bedeutet – und Hänger sind bei der frickeligen und schwerfälligen 2,5D-Steuerung gar nicht mal so selten. Frust kann auch im »Mannequin-Kapitel« aufkommen, in dem man wenig intuitiv versuchen muss, den Lichtkegel seiner Taschenlampe gescheit zu lenken. Genau so frickelig verhält es sich, wenn man sich mit der einzigen Gegnerklasse des Games anlegt: Da will der spät einsetzende Schwung mit dem Hammer gut berechnet sein, sonst erwartet einen der Permadeath. Was die Geschichte betrifft, so hüllt die sich wie auch schon beim Vorgänger in elegante Uneindeutigkeit. Es gibt bereits jetzt unzählige Fan-Theorien, die sich an etlichen Details aufhängen und Verweise zu den Comics und DLCs ziehen. Wer verstehen will, was hier passiert, muss einen eisernen Willen zum Interpretieren vorweisen können – wobei noch nicht einmal dann gesagt ist, ob man zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommt.

Fazit

Tarsier Studios beweist einmal mehr seine Kompetenz in Sachen Leveldesign, Atmosphäre und Schauwerten. Little Nightmares II ist genau so schön trostlos und unheimlich wie der Vorgänger. Weil es sich aber so vertraut und ähnlich anfühlt, bleibt der große Impact aus. Das mag auch daran liegen, dass man mehr aus der Beziehung zwischen Mono und Six hätte heraus holen können. Der größte Reiz des Games geht tatsächlich von der Ästhetik und den neuen Ideen für obskure Monster aus. Storymäßig kann mich Little Nightmares II allerdings nicht abholen und lädt mich auch nicht zum Eintauchen ein. Ich hab mir zwar die DCLs und die Comics gegeben, insgesamt bleiben das Universum sowie seine Bewohner aber blass. (Tatsächlich habe ich sogar das Gefühl, dass die Entwickler all diese Details und potentiellen Querverbindungen ohne einen wirklichen Plan einbauen und Gottvertrauen darauf haben, dass die treue und angefixte Fan-Gemeinde schon etwas Gescheites daraus basteln wird.) Als kurzweiliger Grusel-Shot mit tollen Schauwerten kann man Little Nightmares II jedoch bedenkenlos empfehlen. Mit ihrer Idee, die Alpträume, die das Gehirn nächtens in den eigenen Schlaf erbricht, in ein Game umzuwandeln, hat die Serie durchaus das Zeug zum modernen Horror-Klassiker.

© Bandai Namco Entertainment


Veröffentlichung: 11. Februar 2021

Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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