BioShock 2

BioShock 2 ist eine Fortsetzung, nach der keiner so wirklich verlangt hat, denn Rapture war eine Stadt, deren Geschichte sich beendet anfühlte. Dass die Fortsetzung im Jahre 2010 dann schließlich doch kam, hatte wohl vor allem markttechnische Gründe, immerhin wäre es ein finanzielles Versäumnis gewesen, BioShock als den gehypten Meilenstein der Spielhistorie einfach ruhen zu lassen. Als Träger für ihre neue Geschichte wählten die Entwickler von 2K Marin den Big Daddy, jenen hoch aufragenden Titanen, der jedes BioShock-Cover ziert und jeden Trailer dominiert und stets der Eckpfeiler unter den Unterwasserbewohnern von Rapture war (und immer noch ist). In BioShock 2 schlüpfen wir nun in die Stiefel eines solchen – und zwar in die von Subject Delta, einem der ersten Big Daddys – und erleben aus erster Hand, wie es ist, sich als biomechanisches Wesen durch ein gescheitertes Utopia zu schlagen.

Zehn Jahre nach dem Subject Delta zum Selbstmord gezwungen wurde, erwacht dieser am Grunde der Unterwasserstadt Rapture auf wundersame Weise wieder zum Leben. Umgeben von verrückten Splicern und Wasserrohrbrüchen macht er sich auf die Suche nach Eleanor, seiner Little Sister, die die letzten zehn Jahre offenbar überlebt hat. Doch Sofia Lamb, Eleanors leibliche Mutter, stellt sich Delta in den Weg. Ihre Vision ist es, alle Überlebenden von Rapture zu einer großen entarteten Familie zusammenzuführen und ihre Tochter Eleanor als Galionsfigur an die Spitze zu stellen. Delta muss also Lamb besiegen, Eleanor retten und aus Rapture flüchten, bevor die Stadt endgültig den Bach runter geht.

Silent Rapture Duty

Originaltitel BioShock 2
Jahr 2010
Plattform Windows, Xbox 360, PlayStation 3, Nintendo Switch, Playstation 4, Mac OS X
Genre Ego-Shooter
Entwickler 2K Marin
Publisher 2K Games
Spieler 1
USK
Veröffentlichung: 9. Februar 2010

Zuallererst: BioShock 2 ist ein Sequel, das während seiner Entstehung ohne seinen originalen Schöpfer auskommen musste. Der Urvater von BioShock und der Stadt Rapture, Ken Levine, saß nicht mit ihm Boot. Stattdessen beförderte man für BioShock 2 den Leveldesigner des Vorgängers Thomas Jordan zum Creative Director. Jordans ursprüngliche Idee war es gewesen, die Spieler als ausgewachsene Little Sister nach Rapture zurückkehren zu lassen, damit sie in ihrer alten Heimat quasi Silent Hill-mäßig ein Trauma nach dem nächsten aufdecken kann. Die Marketing-Abteilung aber wollte eher ein großes Shooter-Franchise etablieren, ähnlich Call of Duty. Und so blieb der Schuster bei seinen Shooter-Leisten, mit dem Unterschied, dass wir diesmal einen Prototypen der Big Daddys steuern.

Ein bisschen Direct-to-DVD

Zunächst fühlt sich das Dasein als Big Daddy nicht groß anders als sonst an, da sich spieltechnisch nur wenig verändert. Während wir mit Links Plasmide verschießen können, bleibt die rechte Hand unserem stetig wachsenden Waffen-Arsenal vorbehalten. Die größte Neuheit ist hierbei der Bohrer, mit dem man stürmische Melee-Attacken vollführen und Gedärme wie Spaghetti aufrollen kann. So richtig »Big Daddy-mäßig« wird es im Grunde nur dann, wenn wir eine unserer unterwegs adoptierten Little Sisters absetzen, damit sie aus Leichen »ADAM« extrahieren kann, eine Drogensubstanz, die in Rapture noch mehr wert ist als Gold. Dann nämlich kommen die Splicer aus allen Ecken gekrochen und nötigen uns in einen »Hold the Line«-Modus, in dem wir eine bestimmte Zeit lang unsere Little Sister – die Base – vor allen feindlichen Attacken verteidigen müssen. Die Splicer-Typen sind, vom der neuen Tank-Klasse namens »Brute« abgesehen, alle wohlbekannt und auch die Big Daddys erscheinen vor allem in ihren vertrauten Formen wie »Rosie« oder »Bouncer«. Zwar gibt es auch hier eine neue Klasse, den »Rumbler«, doch wirkt dieser im Vergleich ziemlich hölzern und deswegen lieblos animiert. In dem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass sich die Grafik von BioShock 2 höchstens runderneuert, nicht aber bahnbrechend anfühlt. Zwar war es nie eine Frage der Grafik, denn Rapture sieht immer einzigartig und schön aus, doch spielt das trotzdem in das Gefühl mit hinein, dass BioShock 2 hier und da eher wie eine Direct-to-DVD-Fortsetzung wirkt.

Lamb, das Lore-Loch

Umso mehr Mühe haben sich die Entwickler bei den »Big Sisters« gegeben, die in BioShock 2 quasi als Boss-Gegner fungieren: Kreischende Sirenen in leicht gepanzerten Anzügen, die immer schwer zu knacken sind und vor deren Erscheinen man eine ähnliche Phobie entwickelt wie vor dem unausweichlichen Kampf gegen einen Big Daddy in BioShock. Die Big Sisters, die nichts anderes als ausgewachsene Little Sisters sind, kann man wohl als Überbleibsel von Jordans ursprünglicher Game-Vision betrachten und fügen sich gut in die Lore von BioShock ein. Schwieriger wird’s da schon bei der Antagonistin Sofia Lamb, von der wir überraschend erfahren, dass sie schon immer dem Elite-Kader von Rapture angehört haben soll – allerdings nie aufgetaucht ist. Ihre Abwesenheit in BioShock wird zwar erklärt, allerdings auf eine Weise, bei der klar ist, was die Entwickler insgeheim denken: »Passt mal auf, Leute: Lamb hat damals einfach noch nicht existiert, okay? Kommt klar damit!« Wer wissen möchte, was Lamb zur Zeit von BioShock getrieben hat, der kann auch (auf eigene Gefahr) in den Roman BioShock: Rapture reinschmökern.

Raptures neue Schokoladenseiten

Dass BioShock 2 dann aber doch eine Erfahrung wert ist, liegt vor allem an der Perspektivverschiebung. Zum ersten Mal erleben wir die weniger prunkvollen Teile von Rapture. Wo sich BioShock vor allem auf die Eliten von Rapture konzentriert, wandelt BioShock 2 an Orten wie Pauper’s Drop und Siren Alley und mischt sich damit unter den armen Pöbel. Wir sehen, wo Ryan Systemkritiker und Querschläger unterbrachte (Persephone) und wir sehen, wie Rapture entstanden ist und Kinder gegen die »Parasiten von oben« aufgewiegelt wurden (in Ryan Amusements Parks). Auch die Philosophie des Bösewichts ist eine neue: Sofia Lamb feiert eine Form von altruistischem Kollektivismus, der zwar im Vergleich zu Ryans gut ausgearbeiteten Objektivismus aus BioShock eher blass wirkt, ihm aber in seiner Entartung in nichts nachsteht.

Stichwort: Elternschaft

Ideologien sind in BioShock-Spielen stets eine tragende Säule – ebenso wie Elternschaft (mehr dazu im Feature). Denn BioShock 2 ist vor allem eine Geschichte über Vater und Tochter, dargestellt durch Delta und Eleanor. Das Vater-Tochter-Ding ist ein wiederkehrendes Thema im BioShock-Franchise, ob nun in Form von Jacks Rettung (oder Ausbeutung) der Little Sisters in BioShock ist, der Odyssee von Booker und Elizabeth in BioShock Infinite oder des verkorksten Bandes zwischen Songbird und Elizabeth. In BioShock 2 werden diese Archetypen Vater/Tochter das erste Mal zu richtigen Charakteren. Der Stil, mit dem an das Thema herangegangen wird, ist aber ein anderer, auch, da BioShock-Schöpfer Ken Levine bekannterweise nicht beteiligt war. Ein Stil mehr aus dem Bauch heraus; er fühlt sich wärmer an und die Figuren scheinen zugänglicher. In BioShock und BioShock Infinite wirken die Charaktere auch abseits ihrer hochtrabenden Reden wie Verkörperungen ganz bestimmter Ideale. In BioShock 2 aber wissen die Figuren, wann es an der Zeit ist ihre Philosophie-Textbücher beiseite zu legen und menschlich zu reagieren. BioShock 2 ist also quasi der leise Optimismus in einem ansonsten eher zynischen Franchise. In Dystopien zählen Gesten der Güte umso mehr, und das gilt auch für Subject Delta und Eleanor. Das Ende der Geschichte von BioShock 2 und das Schicksal von Eleanor hängen allein von der väterlichen Güte der Spieler ab.

Fazit

BioShock 2 treibt zwar nichts voran, aber es rundet Rapture ab. Das Game zeigt uns in gewohnt dichter Atmosphäre neue Facetten von Rapture, gibt Antworten auf Fragen, die wir uns nie gestellt haben, wirft einen umfassenden Blick auf die tragische Beziehung zwischen Big Daddys und Little Sisters (mein persönlicher Hauptkaufgrund) und schließt mit dem DLC Minerva’s Den schließlich auch Tenenbaums Handlunsgbogen ab. Braucht es all das? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die weise Eleanor sagte einst: »Raptures Traum ist ausgeträumt.« Ich für meinen Teil halte es aber eher so: Besteht die Chance, nach Rapture zurückzukehren, dann greife ich zu.

© 2K Games


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Totman Gehend

Totman ist Musiker, zockt in der Freizeit bevorzugt Indie-Games, Taktik-Shooter oder ganz was anderes und sammelt schöne Bücher. Größtes Laster: Red Bull. Lieblingsplatz im Netz: der 24/7 Music-Stream von Cryo Chamber auf YouTube.

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