The Witness

Wo fühlt sich der Mensch am sichersten? Zuhause. Wo möchte man einfach nachts in Ruhe schlafen können? Zuhause. Wo möchte man auf keinen Fall Zeuge eines Mordes und dabei beobachtet werden? Ganz richtig. In seinem Erstwerk The Witness fährt der südkoreanische Regisseur Jo Kyu-jang massive Geschütze auf, um seine Zuschauer auf die Folter zu spannen. Ein einziger nervlicher Drahtseilakt wird für den Geschäftsmann, Ehemann und Vater Sang-hoon aufgebaut, der eines Nachts von seinem Balkon aus Ungeheuerliches mitbekommt und den Fehler macht, dem Killer in die Augen zu blicken. Nicht nur für ihn, vor allem für die Zuschauer entbrennt ein nervenzerfetzender Paranoia-Thriller. Busch Media Group veröffentlichte den Film am 13. Mai 2022.

 

Grade von einem Umtrunk mit seinen Kollegen nach Hause gekommen, wird der Familienvater Sang-hoon (Lee Sung-min) Zeuge eines Mordes. Auf dem Innenhof erwischt er einen Killer dabei, wie dieser mittels Hammer eine Frau ins Jenseits befördert. Dass Sang-hoons Frau in diesem Moment das Licht einschaltet um etwas zu trinken, wird zu seinem Verhängnis. Denn der Killer hat genau mitbekommen, dass er beobachtet wurde und nun weiß er auch die jeweilige Wohnung zu orten. Als der Wohnkomplex am nächsten Tag voller Polizisten ist, schweigt Sang-hoon zunächst, denn die Angst um seine Familie ist zu groß. Fortan schleicht der Killer in und um das Gebäude herum. Denn die Mordserie geht weiter …

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Originaltitel Mok-gyeok-ja
Jahr 2018
Land Südkorea
Genre Psycho-Thriller
Regisseur Kyu-Jang Cho
Cast Sang-hoon: Lee Sung-min
Jae-yeob: Kim Sang-ho
Soo-jin: Jin Kyung
Tae-ho: Kwak Si-yang
Laufzeit 111 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 13. Mai 2022

The Witness beruht auf dem sogenannten “Genovese”-Syndrom (auch: “Bystander Effect”). Dieses bezieht sich auf einen Vorfall, der sich in sich in den 60ern in den USA zutrug. Die 28-jährige Kitty Genovese wurde vor ihrem Wohnkomplex ermordet. Obwohl 38 (!) Zeugen dies sahen oder hörten, besaß keiner von ihnen den Schneid, die Polizei zu alarmieren oder erste Hilfe zu leisten. Nach diesem Muster verhält sich auch der Protagonist von The Witness. Obwohl ihm sein moralisches Dilemma bewusst ist, hat er zwei Gründe für sein Stillschweigen gefunden. Nachvollziehbar: Er möchte seine Familie beschützen. Für Europäer weniger nachvollziehbar: Die Eigentümerschaft untersagt jegliche Kooperation der Bewohner mit der Polizei und droht mit einer Anpassung der Immobilienpreise. Schließlich gewinnen Wohnungen nicht an Attraktivität, wenn man sie mit einem Mord in Verbindung bringt.

Nervendynamit

Die 111 Minuten Laufzeit vergehen wie im Flug. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Handlung keine Pausen macht. The Witness ist sozusagen die Definition eines Psycho-Thrillers: Fortlaufend passiert etwas und das Drehbuch weiß den Zuschauer mit einem Sack voller Twists bei der Stange zu halten. Gut für den Zuschauer, ab einem gewissen Punkt Gift für die Glaubhaftigkeit. Schließlich häufen sich die Zufälle irgendwann und viele Dinge funktionieren nur deshalb, weil sich die Charaktere gewollt so verhalten, dass der nächste Schlüsselmoment auch zustande kommt. Der Teufel beherrscht hierbei bereits den Plot: Unser Killer lässt sich genüsslich Zeit beim Töten der jungen Frau. Trotz ihrer Schreie kennt er keine Eile. Wohlwissend, dass er von einem Dutzend Fenster umringt ist. Auch als er entdeckt wird, macht er keinerlei Anstalten schnell zu verschwinden und sein Verhalten in späteren Szenen grenzt an Dummheit, doch er kommt damit durch. Auf der anderen Seite funktioniert das Konstrukt so gut, da Sang-hoon eine Figur ist, welche genau jene Eigenschaften mitbringt, die der Story in die Karten spielen. Er ist paranoid (was für einige Jumpscares sorgt), teilt sich zu wenig mit (Missverständnisse sind gesichert) und starrt zu gerne Löcher in die Luft (selbst wenn der Killer hinter seiner Familie steht). Sang-hoon schürt einigen Frust beim Zuschauer, indem er sich einfach dümmlich verhält. Immer nachvollziehbar erklärt, aber eben entgegen jeder Logik.

Unscheinbare Killer haben es drauf

Unterschätzt werden dürfen die Actionszenen nicht. Hier passiert fortlaufend etwas: Verfolgungsszenen, Autounfälle und äußerst blutige Momente. Dem Regisseur kann man also kaum vorwerfen, er würde nicht für genügend Dynamik sorgen. Die Inszenierung ist sauber und die beklemmende Stimmung packend eingefangen. Das macht es leicht, mit voller Konzentration dabei zu sein. Sowohl Protagonist als auch Antagonist sind unauffällige Typen von nebenan, was sich angenehm im Dunstkreis überzeichneter Actionhelden hervortut. Nur der Polizist Jae-yeop (Sang-ho Kim) erfüllt das Klischeebild der Superspürnase. Man ahnt es bereits: Er wird die Handlung ausbremsen. Zum Glück geschieht dies vergleichsweise spät, auch wenn die Handlung bis dahin einige Nebenbaustellen in Form von Nebenfiguren eröffnet, die sich erschreckend flach verhalten.

Fazit

The Witness ist ein herausragend inszeniertes Erstwerk. Filme, bei denen man wirklich mitfiebern kann und bei denen man immer wieder den Atem anhält, gibt es viel zu selten. Erfreulicherweise ist dies einer jener Titel, denen das gelingt. Eine wichtige Voraussetzung gibt es dafür: Der Zuschauer muss sich auf den konstruierten Plot einlassen. Er muss akzeptieren, dass die Hauptfigur Schwächen besitzt, die der Handlung in die Karten spielen und sich Figuren höchst unglaubwürdig verhalten, nur um Spannung und Dynamik zu wahren. Ist man dazu gewillt, erhält man einen packenden Psycho-Thriller, der zu den besten Koreas gezählt werden darf.

© Busch Media Group


Veröffentlichung: 13. Mai 2022

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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