The Witch. Revenge

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 ist leider ein modernes Kapitel Geschichte, an dem wir alle aus der Ferne teilnahmen. Wie das mit dem Weltgeschehen ist, werden historische Ereignisse früher oder später medial verarbeitet. Dass dies passiert, während der Konflikt noch immer seinen Lauf nimmt, kommt selten vor. Doch darum geht es in The Witch. Revenge von Regisseur Andrii Kolesnyk gar nicht. Er verarbeitet die zeitpolitische Geschichte, um mit geballter Wut eine Rache-Story zu inszenieren, die er mitten im Jetzt und Heute platziert – und damit selbstverständlich ein politisches Statement setzt. Den emotionalen Plot bettet er ins Horror-Genre und greift dabei auf eine Figur der ukrainischen Folklore zurück: die Hexe von Konotop. Wir haben den ungewöhnlichen Film auf dem Obscura Filmfest 2024 gesehen. 2025 soll er eine weltweite Veröffentlichung erhalten.

   

Ukraine im Jahr 2022: Russische Soldaten marschieren in das Land ein. In der Stadt Konotop lebt die schöne Olena (Tetiana Malkova, Rezept zum Glücklichsein – Kochen auf Ukrainisch), welche eine Jahrhunderte alte Hexe ist. Ihre Identität hält sie geheim und führt eine glückliche Beziehung mit dem Sterblichen Andriy (Taras Tsymbaliuk, Black Raven). Als das Paar auf der Flucht im Auto von russischen Soldaten angehalten wird, wird Anriy ermordet. Sie planen auch Olena zu töten, wollen die junge Frau jedoch zuvor noch vergewaltigen. Olena kann gerade so entkommen und flieht ins Haus ihrer Tante Evdokiya (Olena Khokhlatkina, I Work at the Cemetery). Sie beschließt, dass es an der Zeit ist, ihre Macht zurückzugewinnen und will auf dem Weg dorthin jeden einzelnen Soldaten töten, der einen Fuß in die Ukraine setzt.

Die Wurzeln der Hexe von Konotop

Originaltitel The Witch. Revenge
Jahr 2024
Land Ukraine
Genre Horror, Kriegsfilm
Regie Andrii Kolesnyk
Cast Olena: Tetiana Malkova
Andrii: Taras Tsymbaliuk
Yevdokiia: Olena Khokhlatkina
Bandos: Ivan Sharan
Rovnyi: Pavlo Vyshniakov
Laufzeit 100 Minuten
FSK Keine Angabe
Titel im Programm des Obscura Filmfest 2024
Zunächst einmal die Fakten: The Witch. Revenge basiert ganz lose auf dem Roman Die Hexe von Konotop, der 1837 von dem ukrainischen Schrifststeller Hryhorij Kwitka-Osnowjanenko veröffentlicht wurde. Darin geht es um die Hexe Olena, allerdings anders als im Film nicht um einen Krieg, sondern die Jagd auf Hexen. Konotop als Stadt und die Hexe Olena sind die einzigen Gemeinsamkeiten soweit. Insofern handelt es sich bei The Witch. Revenge um eine sehr zeitgenössische Neuinterpretation, die sich auf die jüngste ukrainische Geschichte stürzt. Das ist nicht das einzige Stück Literatur: Dem Film widerum ist der begleitende Roman Konotop Witch (2024) von Victoria Tsybulska entsprungen, der wie seine Vorlage bislang in keiner deutschen Übersetzung vorliegt. Kurzum: The Witch. Revenge ist ein Original aus der Feder von Drehbuchautor Yaroslav Wojcyszek, der vor allem für seine Arbeit an Kinderfilmen wie Mavka – Hüterin des Waldes bekannt ist. In der ukrainischen Folklore jedoch ist die Hexe Olena eine bekannte Figur. Damit aber nicht genug: Wie das Branchenmagazin Variety berichtet, entwickelt das ukrainische Produktionsunternehmen Film.UA eine Reihe von Horrorfilmen, die alle im selben Erzähluniversum angesiedelt sind. Die Rede ist von Filmen, die Lokalfolklore mit Rituale, Zauberei und Mystik vermischen werden. Dafür bildet The Witch. Revenge den Auftakt.

Emotionale Triebfeder

Soweit zur Faktenlage. The Witch. Revenge verarbeitet in der filmischen Neuinterpretation den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das ist nicht nur ein sehr aktueller, sondern vor allem emotionaler Stoff. Den politischen Kontext möchten wir an der Stelle nicht zu tief anrühren. Bemerkenswert ist jedoch dass der Film aus der Ukraine selbst stammt und während des Kriegs gedreht wurde. Man kann sich also ausmalen, welche Bedeutung und Emotionen hier die antreibende Kraft darstellen, denn gewissermaßen handelt es sich um ein Zeitdokument. Bevor die inhaltlichen Ereignisse ihren Lauf nehmen, bleibt ein wenig Zeit für eine Exposition. Zunächst lernen wir Olena in einem harmonischen Umfeld kennen: Sie und ihr Freund Andrii führen eine augenscheinlich gesunde und erfüllende Beziehung, die Bulldogge Ozzy bereichert den gemeinsamen Alltag. Doch es dauert nicht lange, bis die Idylle durch die barbarischen Invasoren zerstört wird. Dies sind eindrückliche Bilder, insbesondere wenn man sich den Kontext vor Augen führt. Man kommt nicht umhin, sich vorzustellen, ob die Realität am Tag des Einmarsches genauso aussah.

Down by Numbers-Gorefest

Über Olena selbst erfahren wir vergleichsweise wenig, obwohl sie die titelgebende Protagonistin ist. Wir wissen um ihr anfängliches Glück, ihre Existenz als Hexe, die schon viele Menschen sterben sah, und wir fühlen auch ihren Schmerz. Viel Zeit bleibt nicht, um noch mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren und mangels Dialogpartnern auf ihrer Seite bleibt da nicht viel Raum für eine Entwicklung. Das ist schade, um eine Figur von solch ikonischer Bedeutung. Für die Handlung selbst fällt das nicht gravierend ins Gewicht, da Olenas Mission ein klares Ziel hat und wir ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken auf ihrer Seite stehen. Schon alleine deswegen, weil es auf der anderen Seite keine Sympathieträger gibt. Ihre Gegner sind in Sachen Widerlichkeit kaum zu beschreiben und sprechen auf menschenverachtende Weise in vulgärer Sprache, was dazu führt, dass wir ihnen einen qualvollen Tod wünschen. Man könnte The Witch. Revenge dahingehend zweckmäßig und ausbeuterisch nennen, je nachdem, wie man dazu steht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Im Grunde aber ist dies bei jeder Rachegeschichte der Fall. Filme wie I Spit On Your Grave machen dies genauso, nur sind die Schmierfinken hierin keine Soldaten und ihre Taten nicht mit deren Gräuel zu vergleichen. Zu Gute halten muss man The Witch. Revenge, dass Olena nicht einfach ein Blutbad anzettelt. Ihre Magie ist es, die den relevanten Unterschied macht. Als Zauberin entfacht sie gefährliche Illusionen und tödliche Visionen, in die sie ihre Widersacher rennen lässt. Dabei lässt das Drehbuch eine Menge Kreativität walten (Stichwort Tausendfüßler) und hat schmerzhafte Ideen auf dem Zettel. Die Produktionswerte können sich nicht nur dabei, sondern grundsätzlich sehen lassen: Der Film sieht klasse aus, bringt starke handgemachte Effekte mit sich. Vor allem Gorehounds kommen auf ihre Kosten. Olena geht mit den Angreifern alles andere als zimperlich um und so wird einer nach dem anderen eliminiert. Linear und konsequent. Darin liegt wohl auch der größte Kritikpunkt: Der Film zieht seinen Unterhaltungswert wenig aus der Spannung, sondern aus dem erfüllenden Gefühl der Vergeltung. Es fühlt sich nach dem Erwachen ihrer Kräfte zu keinem Zeitpunkt so an, als wäre Olena irgendwann einmal im Nachteil. Das Kräfteverhältnis ist äußerst unausgeglichen, auch wenn aus politischem Blickwinkel natürlich nachvollziehbar ist, dass russische Soldaten nicht als unbezwingbare Macht dargestellt werden sollen. Nur etwas mehr Herausforderung für die Hexe hätte der Spannung gut getan.

Destruktive Botschaft?

Auch wenn es so anmutet mag: The Witch. Revenge ist kein zerstörerischer Film. Die Produzenten des Films sagen über ihr Werk, dass es die starke Botschaft vermitteln will, dass man trotz der Sehnsucht nach Vergeltung der Versuchung widerstehen muss, in die Dunkelheit hinabzusteigen und stattdessen danach streben solle, auf der Seite des Lichts zu bleiben. Vielleicht wird das am Ende zu überdeutlich, welches mit seiner Metapher vergleichsweise kitschig daherkommt. Es ist schwer, Olena auch nur irgendeinen Vorwurf zu machen: Ihre Motive sind nachvollziehbar, die Emotionen glaubhaft.
An der Stelle bedarf es auch einer ausdrücklichen Warnung: Dass das kriegerische Treiben nicht irgendwo im Off stattfindet, ist konsequent. Denn Vergewaltigungen und Mord innerhalb der Bevölkerung werden nicht vorenthalten und verstärken das Gefühl der Ohnmacht.

Fazit

Die Grenzen zwischen Exploitationfilm und Propaganda sind ebenso schmal wie brisant. The Witch. Revenge bringt ordentlich Zündstoff mit sich, der viele Menschen auf dem falschen Fuß erwischen kann. Es wird Personen geben, die die Produktion als ausbeuterisch oder Kriegspropaganda entlarven wollen. Oder als ukrainischen Versuch, mittels überstilisiertem Blutbad Dampf abzulassen. Versucht man die Hülle des historischen Kontexts mal ein wenig bei Seite zu lassen, haben wir es mit einem gelungenen Revenge-Film zu tun, der an den richtigen Stellen ein authentisches Gefühl vermittelt, sonst aber seinen Folklore-Zauber walten lässt. Auch wenn die Welt von The Witch. Revenge ein düsterer und eisiger Ort ist, ist die Mischung aus harter Realität und schwarzer Magie äußerst reizvoll und es bleibt spannend, was die Produzenten noch aus dem Erzähluniversum herausholen werden.

© Film UA.Group

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
älteste
neuste beste Bewertung
Inline Feedbacks
View all comments