The 355
Jason Bourne, Mission: Impossible, James Bond: Die Liste der erfolgreichen Agentenfilm-Reihen mit ordentlich Action ist lang. Meist steht bei ihnen jedoch eine Einzelperson im Fokus. Seit einigen Jahren ist diese auch nicht mehr zwangsläufig männlich. Der Action-Thriller The 355 des Regisseurs Simon Kinberg (X-Men: Dark Phoenix) stellt nun auch das Prinzip des Einzelgängers auf den Kopf und schickt in seinem Agentenfilm mehrere Damen verschiedener Länder in den Auftrag der Geheimdienste. Der Spionagefilm rund um eine Gruppe internationaler Agentinnen startete im Januar 2022 in den deutschen Kinos. Seit dem 25. Februar desselben Jahres war er bereits über Sky für das Heimkino verfügbar, ab dem 8. April 2022 können sich Fans nun auch die Disc-Version ins Regal stellen.
Eine Technologie, die alles auf der Welt hacken und lahmlegen könnte, gerät in die falschen Hände. Die CIA-Agentin Mason “Mace” Brown (Jessica Chastain, ES Kapitel 2) versucht mit Unterstützung ihrer alten Freundin Khadija (Lupita Nyong’o, 12 Years a Slave), einer Computerspezialistin des MI6, diese gefährliche Waffe zurückzubekommen und so die Welt zu retten. Auf ihrem Weg wird jedoch die kolumbianische Psychologin Graciela (Penélope Cruz, Mord im Orient-Express) in die Mission mitreingezogen und auch die deutsche Sprengstoffexpertin Marie (Diane Kruger, Das Vermächtnis der Tempelritter) des BND kommt ihnen in die Quere. Können sich die Frauen zusammenraufen und verhindern, dass die Büchse der Pandora geöffnet wird?
Die weibliche Ensemble-Antwort auf James Bond
Originaltitel | The 355 |
Jahr | 2022 |
Land | USA |
Genre | Thriller, Action |
Regie | Simon Kinberg |
Cast | Mason “Mace” Brown: Jessica Chastain Khadija: Lupita Nyong’o Graciela: Penélope Cruz Marie: Diane Kruger Lin Mi Sheng: Fan Bingbing Nick: Sebastian Stan Luis: Édgar Ramirez |
Laufzeit | 123 Minuten |
FSK | |
Veröffentlichung: 8. April 2022 |
Die Handlung von The 355 erfindet nicht gerade das Rad neu: Eine unfassbar mächtige Waffe, die die Welt, wie wir sie kennen, zerstören könnte, taucht auf und nur unsere Agentinnen können die Welt retten. So weit, so gut. Allerdings gibt es einen großen Unterschied, denn der Film präsentiert einen diversen Cast aus Angehörigen ganz verschiedener Länder. Zudem ist es nicht so, als würden die Geheimdienste in den Himmel gelobt werden, eher im Gegenteil. Stattdessen wird Kritik an den Methoden des Geheimdienstes und den Mächtigen geübt. Ein interessanter Aspekt, aber da hört es dann auch schon auf. Der Rest der Handlung ist voll von Klischees und der große Twist ist alles, aber sicher nicht überraschend. Das wäre zu verschmerzen wenn dafür die Action wirklich stimmen würde. Aber während es zwar zahlreiche cool inszenierte Verfolgungsjagden, Faustkämpfe und Schießereien gibt, schaffen es diese nicht, das Niveau ähnlicher Vertreter wie Atomic Blonde zu erreichen. Das ist an der Stelle aber auch ein Meckern auf hohem Niveau, denn die Action macht trotzdem Spaß und bietet Schauwerte. Die Handlung gestaltet sich zwar nicht innovativ, weiß aber dennoch zu unterhalten. Auch die verschiedenen Gadgets sind erwartungsgemäß cool und bieten Abwechslung. Letzten Endes ist The 355 damit ein wenig die weibliche Ensemble-Antwort auf James Bond.
Was hält diese Frauen zusammen?
Ein weiteres Problem offenbart sich dann im Ensemble selbst. Grundsätzlich handelt es sich um interessante Figuren, die allesamt ein einzigartiges Profil aufweisen: Mace ist eine einzelgängerische Agentin, Marie eine von ihrer Vergangenheit gezeichnete und von Misstrauen zerfressene Draufgängerin, Khadija die besonnene und überraschend bürgerliche Hackerin und Graciela die einfache Psychologin mit Familie in der kolumbianischen Heimat. Sie alle üben unterschiedliche Berufe aus, sind eine erfahrene Agentin oder Zivilistin, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war. Das ist eine spannende Konstellation und bedeutend interessanter als fünf skrupellose Agentinnen ins Rampenlicht zu rücken. Aber es gelingt nicht, hierbei in die Tiefe zu gehen. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn da nicht noch die Fünfte im Bunde wäre: Die Chinesin Lin Mi Sheng (Fan Bingbing, Shaolin), die erst sehr spät eingeführt wird und in ihren wenigen Momenten zwar cool ist, aber trotzdem in der Gruppe gnadenlos untergeht. Gerade über sie erfährt man nahezu nichts und ihre Screentime fällt schlicht zu gering aus. Und: Natürlich werden die Frauen vor allem durch eine gemeinsame Bedrohung zusammengehalten, aber am Ende präsentieren sie sich plötzlich als eingeschweißte Gruppe. Das wirkt nicht organisch, sondern eher etwas plötzlich. Immerhin sind die fünf Protagonistinnen allesamt cool und verleihen dem Film eine genauso ansprechende Atmosphäre.
Eine echte Top-Besetzung
Der Cast kann sich sehen lassen, denn die fünf Damen sind allesamt nicht nur namentlich gut besetzt worden. Sie lassen auch im Schauspiel keine Wünsche offen und man nimmt ihnen ihre Rollen jederzeit ab. Auch anhand der Actionszenen ist zu erkennen, dass alle Darstellerinnen ein Training für diesen Film absolvierten. Diese Glaubwürdigkeit ist nicht selbstverständlich, gerade weil einige Dialoge recht gezwungen wirken. Neben den fünf Frauen ist mit Sebastian Stan (The Falcon and the Winter Soldier) als Nick auch noch eine männliche Figur vertreten, die aber wie eine klischeebehaftete Randnotiz wirkt. Das liegt aber nicht am Schauspieler, sondern schlicht an der Rolle. Die Musik von The 355 präsentiert sich als unscheinbar, nur wenige Tracks wollen so richtig zünden. Das ist gerade bei den actionreichen Sequenzen schade. Dafür wirkt der Film sehr schick und gerade die verschiedenen Kulissen, die auf der ganzen Welt angesiedelt sind, wissen absolut zu überzeugen. Spannend ist auch der Titel des Films selbst: Der Code 355 ist nämlich die Bezeichnung für einen weiblichen Spion, eine sogenannte “Frau ohne Namen”. Das ist durchaus eine kluge und interessante Bezeichnung, die an einer Stelle auch im Film aufgegriffen und mit mehr Hintergrund ausgeschmückt wird.
Fazit
The 355 ist ein netter Agentenfilm, der sich aber an einigen Stellen zu stark an gängigen Klischees bedient. Die Action weiß zu unterhalten und gerade die Hauptdarstellerinnen leisten sehr gute Arbeit, aber am Ende kratzt die Produktion zu sehr an der Oberfläche. Ein großes Problem ist aber leider die fünfköpfige Gruppe selbst, die zwar grundsätzlich cool angedacht ist, aber Figuren wie Lin Mi Sheng schlicht zu wenig Screentime gönnt. Auch dadurch scheitert es ein wenig daran, nachzuvollziehen, was genau diese Frauen am Ende zu mehr als einem Zweckbündnis macht. Persönlich hätte ich mir ebenfalls eine etwas spannendere Handlung und vor allem bessere Wendungen gewünscht. Trotzdem: Für Fans actionreicher Agentenfilme ist The 355 nette Unterhaltung mit fünf coolen Frauen in der Hauptrolle. Allerdings sollte man besser weniger als mehr erwarten.
© LEONINE
Veröffentlichung: 8. April 2022