Shape of Water – Das Flüstern des Wassers
Die Beziehung zwischen Mensch und Nichtmensch ist ein häufig anzutreffendes Motiv, dessen Interpretation immer vom menschlichen Part abhängt. Wird dieser Part von kleinen Jungen ausgefüllt, dann gestaltet sich die Beziehung als Freundschaft (Elliot, der Drache, E.T., Mein Freund, der Wasserdrache). Bei Männern endet es oft triebhaft und/oder tödlich (Splice, Beowulf). Und bei Frauen wird’s meistens Liebe (Die Schöne und das Biest, The Ancient Magus’ Bride, Edward mit den Scherenhänden). Guillermo del Toros neuster Film Shape of Water – Das Flüstern des Wassers fällt in die letzte Kategorie, duckt sich aber weg unter der zähmenden Hand des Zeitgeistes, der aus diesen Filmen so melodramatische Twilight-Dinger macht. Stattdessen zeigt del Toro, dass es auch ohne milktoasting geht. Mit leisen Horror-Elementen und einem gewissen Erotik-Faktor erschafft er einen bizarren und faszinierenden Film.
Amerika in den 1960ern: Die stumme Elisa Esposito (Sally Hawkins) lebt in ihrer kleinen Wohnung über einem Kino in Baltimore. Ihr Alltag ist unaufgeregt, ihr Leben Routine. Tagsüber vertreibt sie sich die Zeit mit ihrem alternden Nachbarn Giles (Richard Jenkins), nächtens arbeitet sie zusammen mit ihrer Kollegin Zelda (Octavia Spencer) als Putzfrau in einem Hochsicherheitslabor der US-Regierung. Eines Tages erhalten die Wissenschaftler ein neues Subjekt, eingesperrt in einem Wassertank, das den Amerikaner dabei helfen soll, den Wettlauf ins All zu gewinnen. Nachdem das Wesen (Doug Jones, wer auch sonst) Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon) attackiert und verletzt hat, sollen die zwei Putzfrauen die Schweinerei wieder sauber machen. Dabei trifft Elisa das erste Mal auf das Wesen – halb Mensch, halb Amphibie, und ebenso ohne Sprache wie sie selbst. Heimlich beginnt sie immer mehr Zeit mit dem Wesen zu verbringen und einen Plan zu entwickeln, es vor der geplanten Vivisektion zu bewahren.
Ein Film – verschiedene Gewänder
Shape of Water ist ein Film, bei dem man zunächst gar nicht weiß, in welche Richtung er schlussendlich gehen wird – bei dem man auch zunächst nicht weiß, welche Stimmung die vorherrschende ist. Es beginnt mit einer Kamera-Rundfahrt unter Wasser, während der eine Stimme aus dem Off dazu anhebt, ein Märchen zu erzählen. Assoziationen an del Toros Fantasy-Parabel Pans Labyrinth werden geweckt, während Gamer sich nach Rapture aus BioShock versetzt fühlen dürften. Die nächsten 15 Minuten erleben wir den Alltag der stummen Putzfrau Elisa. Aufstehen, Eier aufsetzen, Bad einlassen und masturbieren, dem künstlerisch begabten Nachbarn Giles das Frühstück vorbeibringen. Die Konstellation „seltsame Frau und malender Nachbar“, das Jugendstil-Ambiente der Wohnung, die Farbgebung, der dazu aufgelegte Walzer des Komponisten Alexandre Desplat (Birth, Harry Potter und die Heiligtümer des Todes), und überhaupt die ganze liebevolle Inszenierung: das alles fühlt sich stark nach Die Fabelhafte Welt der Amelie an.
Eine völlig anderes Feeling kommt indessen in der Forschungseinrichtung auf. Vom Rest der Welt abgekanzelt, wirkt es hier sowohl steril als auch schmuddelig. Elisa und ihre resolute Kollegin Zelda versuchen die Arbeit auf Abstand zu halten, werden aber ständig mit Urin an der Decke der Herrentoiletten und mit Blutlachen und abgetrennten Fingern konfrontiert. Hier fällt ein starker Kontrast zwischen Dialog-Komik (Zelda ist der Brüller) und der Umgebung auf. Das Gespräch über die Urinier-Methoden der Männer ist zum Schießen (zumindest in der OmU-Fassung), wird aber unterbrochen vom Auftritt Stricklands, der einen Schlagstock in der verwundeten Hand hält. Eine seltsame Mixtur aus Witz und Ernst.
Liebe ist ein schweres Geschäft
Originaltitel | Shape of Water |
Jahr | 2017 |
Land | USA |
Genre | Drama, Fantasy |
Regisseur | Guillermo del Toro |
Cast | Elisa Esposito: Sally Hawkins Giles: Richard Jenkins Richard Strickland: Michael Shannon Zelda Delilah Fuller: Octavia Spencer Amphibienmensch: Doug Jones Dr. Robert Hoffstetler: Michael Stuhlbarg Fleming: David Hewlett General Hoyt: Nick Searcy |
Laufzeit | 123 Minuten |
FSK |
Der Film strotzt vor fantastischer und sexueller Bilder. Der gewalttätige Strickland, der beim Sex mit seiner Ehefrau absolute Stille von ihr verlangt (wohl auch, da er eine Schwäche für die stumme Elisa hat). Der schwule Nachbar Giles, der ein Auge auf einen Restaurant-Manager geworfen hat und dort ständig ekligen Green-Pie bestellt, so dass der Kühlschrank schon überquillt. Elisas Putzkollegin Zelda, die sich über die emotionale Distanz zu ihrem Ehemann beklagt. Alle sind sie unglücklich und keiner weiß, warum eigentlich. Es ist auffällig, dass all diejenigen, die sprechen können, Kommunikationsprobleme haben, Elisa und der Amphibienmann sich als zwei nonverbale Figuren indessen wunderbar verstehen. Trotz der zwischenmenschlichen Probleme fühlt sich der Film derbe positiv an. Del Toro selbst behauptet, es sei sein optimistischster Film überhaupt.
A little bit of fishman in my life, a little bit of fishman is all I need
Del Toro ist jemand, der ganz besonders auf die visuelle Ausgestaltung achtet. Und so gibt auch die Farbgebung Aufschluss über die Figuren. Stricklands Vorstadthaus ist so hell erleuchtet und plastisch, dass es schon beklemmend ist. Elisas Wohnung ist in ozeanischem Grün gehalten, was ihren Draht zum Wasser verdeutlicht. Sobald der Amphibienmann in ihr Leben tritt, beginnt sie sich für die Farbe Rot in Form von Schuhen und Lippenstift zu interessieren: die Farbe der Liebe. Der Amphibienmann ändert Elisas Leben und gibt ihr das Gefühl, endlich Anschluss gefunden zu haben.
Einen ähnlichen Effekt hat der Amphibienmann auch auf den Nachbarn Giles. Er ist Werbekünstler, der mit seinem überholten Norman Rockwell-Stil auf’s Abstellgleis verfrachtet wurde. Giles scheint es leichter als allen anderen zu fallen, sich mit dem Amphibienmann zu identifizieren. Er stellt den Vergleich an, dass keiner von ihnen beiden einen angemessenen Platz in der Gesellschaft hat. Der Amphibienmann schenkt Giles nicht nur einen neuen Haaransatz, sondern bringt ihm auch eine neue künstlerische Perspektive, die ihn Norman Rockwell vergessen lässt.
Minderheiten-Kabinett
Shape of Water spielt in der ultra-konservative Gesellschaft der amerikanischen 60er, geprägt vom Kalten Krieg und den Ausläufern des McCarthyismus. Eine Zeit der Unruhen, vor allem für solche, die das falsche Geschlecht oder die falsche Rasse haben. Oder einfach nur anders sind. Die Personifikation dieser Geisteshaltung ist Strickland. Verheiratet, zwei Kinder, biederes Haus, schmucker Cadillac, Hautfarbe: weiß. Er ist der machtgeile Superschurke, der Hardcore-Snob, Rassist und Sexist, der den Elektro-Schlagstock zu seinen liebsten Accessoires zählt. Jemand, der drüben in Übersee mit Trump einen äußerst realistischen Doppelgänger hat. Ein Fantasy-Film also mit aktuellem Bezug und Sozialkritik. Passend zu del Toros Aussage, er mache keine Fantasy-Filme nur für den Eskapismus.
Del Toro lässt auch keinen Zweifel daran erkennen, dass er sich gegen diese faschistoide Geisteshaltung stellt. Bei ihm sind es vier, ja sogar fünf Minderheiten, die sich zusammen schließen und auflehnen: Elisa als Quasi-Behinderte, der schwule Giles, die schwarze Zelda, der russische Wissenschaftler und schließlich der Amphibienmann als Vertreter einer völlig fremden Spezies. Auf der einen Seite werden also überzogene Klischees eingesetzt und verhohnepipelt (Spione und Super-Arier), auf der anderen Seite haben wir das Team Diversity.
Fazit
Der Plot als ein Vertreter des Rettet-das-Monster-Motiv birgt keine sonderlichen Überraschungen. Aber das ist auch nicht weiter schlimm, denn dieses Motiv bildet nur einen marginalen Teil des Films. Shape of Water ist ein Mix aus vielem. Es ist Märchen-, Fantasy- und Spionagefilm, Progressiv-Romanze, Komödie, Drama und BioShock. Es ist eine Demontage des weißen Mannes und eine Hommage an die goldene Ära des Kinos. Etliche Szenen überraschen, die Dialoge sind offen und glaubwürdig, die Figuren herzlich, die Inszenierung absolut liebevoll. Wenn es romantisch wird, ist es berührend und erinnerungswürdig und leicht grotesk. Wenn es brutal wird, ist es ebenfalls grotesk (Gott sei Dank aber wird es nicht so unansehnlich wie die Flaschenboden-Szene in Pans Labyrinth, die ich bis heute jedes Mal überspringe). Wo andere Filmemacher zurück schrecken vor der Darstellung bestimmter Themen (Masturbation, Interracial-Liebelei, Homosexualität, Brutalität) marschiert del Toro einfach voran und verblüfft. Er ist ein Alchemist, der aus verschiedensten Zutaten etwas absolut Rundes geschaffen hat.