I See You
Je mehr ein Film auf seinen Twists beruht, desto schwerer wird es, diesen zu vermarkten, ohne dem Zuschauer das Wichtigste vorwegzunehmen. Ein solcher Film ist I See You von Adam Randall (Level Up). Ein doppelbödiger Mystery-Thriller, über den jedes Wort und jeder Vergleich im Grunde schon zuviel ist, denn wenn mancher Film nur dank Plottwist funktioniert, haben wir es hier mit einem Plottwister zu tun. Schlichtweg nichts (!) ist so, wie es wirklich scheint, und wenn der Zuschauer zu Beginn noch in eine bestimmte Richtung denkt, wird alles erst recht ganz anders kommen – versprochen! Die verschachtelte Erzählweise des Drehbuchautors Devon Graye ergibt erst aus mehreren Perspektiven einen schlüssigen Kontext, der einem die Schuhe auszieht. Ein Titel, wie er besser nicht zum Fantasy Filmfest feiern könnte, wo er im September 2019 seine Deutschlandpremiere feierte.
Greg (Jon Tenney, Legion) ist ein Polizist, der aktuell in einem Fall spurlos verschwundener Kinder ermittelt. In seinem Privatleben geht es ähnlich turbulent zu. Seitdem seine Frau Jackie (Helen Hunt, Oscar für Besser geht’s nicht) ihn betrogen hat, zerbricht die Familie allmählich. Auch Sohn Connor (Judah Lewis, Demolition) gibt Jackie die Schuld an seinem Elend. Als wäre das nicht genug an negativer Energie im Hause der Harpers, gehen auch merkwürdige Dinge vor sich. Knisternde Holzdielen, sich plötzlich verschließende Türen und Vater Greg nässt sich nachts plötzlich ein. Was ist hier los?
Sog durch Zuschauererwartungen
Originaltitel | I See You |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Thriller |
Regisseur | Adam Randall |
Cast | Jackie Harper: Helen Hunt Greg Harper: Jon Tenney Connor Harper: Judah Lewis Alec: Owen Teague Mindy: Libe Barer Spitzky: Gregory Alan Williams |
Laufzeit | 96 Minuten |
Seit dem 27. März 2020 im Handel erhältlich |
Bis der Zuschauer erst einmal versteht, wohin der Film erst einmal möchte, vergeht eine halbe Stunde. In dieser Zeit erleben wie klassische Haunted House-Tropes: Im Haus verschwindende Gegenstände, unheimliche Geräusche nachts und vom Dach krachende Ziegelsteine. Man lebt gefährlich im Hause Harper. Was sich zunächst von selbst erzählt, wird später dem Zuschauer aufgetragen. Denn sobald alle Akteure auf dem Plan stehen, muss selbst zusammengepuzzelt werden, wohin die Reise geht. Das sorgfältig durchdachte Drehbuch und die gewiefte Regie sorgen dafür, dass wichtige Elemente ausgespart und später wieder eingefügt werden. Kontext ist hier der Schlüsselbegriff.
Spannung garantiert, Figuren zweitrangig
Obwohl gar nicht genau definiert werden kann, wer die Hauptfigur ist, ist es vor allem Helen Hunt, die erst einmal viel Emotion in die Geschichte bringt. Sie hat ihren Mann betrogen und trägt nun die Konsequenzen dafür, indem sie mit Gregs Enttäuschung und Connors Wut umgehen muss, um die Familie zusammenzuhalten. Sonst hat ihre Figur bis auf Weiteres nicht viel anderes zu tun. Ohnehin hinterlassen den stärksten Eindruck die Jungschauspieler. Doch so richtig kann keine Figur wirklich überzeugen, dafür bleibt angesichts den fortlaufenden Ereignissen gar keine Zeit. Der Fokus liegt deutlich auf deren Abfolge und so werden die Charaktere wie Schachfiguren von A nach B geschoben, um einen weiteren Hebel in Bewegung zu setzen. Das Gesamtspiel geht dadurch auf, doch einen bleibenden Eindruck kann niemand so recht hinterlassen.
Fazit
I See You flirtet mit zahlreichen Genres und verändert immer wieder die Bedingungen der Protagonisten. Auf ein Genre lässt sich hier nichts herunterbrechen und viele englischsprachige Seiten nennen den Film schlichtweg “Puzzle Movie”, was den Nagel auf den Kopf trifft. Einer jener Filme, die dich in den Sitz (oder die Couch) drücken, weil man sie unbedingt verstehen möchte. Die Genialität liegt im Drehbuch und nur die vernachlässigten Charaktere erweisen sich als Minuspunkt, da diese unbedingt zusätzliche Zeit benötigt hätten, um mehr über ihre Motivation zu erfahren.