Memory ‒ Über die Entstehung von Alien
Als Drehbuchautor Dan O’Bannon (Dark Star – Finsterer Stern) in den späten 70ern, nach einem gescheiterten Filmprojekt mittellos und auf den Sofas von Freunden kampierend, ein Treatment mit dem Titel “Memory” schreibt, ahnt noch niemand, dass daraus einmal Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt werden wird. Der Schweizer Regisseur Alexandre O. Philippe (The People vs. George Lucas) widmete diesem Klassiker einen 90-minütigen Dokumentarfilm, der 2019 auf dem Sundance Festival Premiere feierte. Auch in seinen anderen Filmen über Filme hat Philippe gezeigt, dass er ganz tief in ein Thema eintauchen kann, ob es nun um Zombiefilme, Psycho oder Der Exorzist geht. Alien-Fans können sich auf den 3. September 2021 freuen, denn da erscheint Memory ‒ Über die Entstehung von Alien via Video on Demand.
Memory ‒ Über die Entstehung von Alien zeichnet das Werden eines Kultfilms nach. Von der heimlichen Comic-Lektüre des kleinen Dan O’Bannon, über die Faszination, die H.P. Lovecraft auf ihn ausübt bis zu seiner Zusammenarbeit mit einem anderen Lovecraft-Fan, dem surrealistischen Künstler HR Giger. Zeitzeugen schildern den mühevollen Weg vom 30-Seiten-Skript bis zur Hollywood-Produktion mit Millionenbudget. Memory widmet sich aber auch im Detail einigen Szenen des Films, wie etwa der Anfangssequenz und der ikonischen Chestburster-Szene. In Interviews berichten Mitwirkende über die Dreharbeiten und Filmwissenschaftler sorgen für den kulturgeschichtlichen Kontext und stellen unterschiedlichste Deutungsansätze in den Raum.
Star des Films: der Drehbuchautor
Originaltitel | Memory: The Origins of Alien |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Dokumentation |
Regie | Alexandre O. Philippe |
Laufzeit | 90 Minuten |
Veröffentlichung: 3. September 2021 (VOD), 12. November (Blu-ray / DVD) |
Denkt man an Alien, fällt einem als erstes der Name Ridley Scott (Blade Runner) ein. Klar, das ist der Regisseur. Oder Sigourney Weaver (My Salinger Year), Hauptdarstellerin. Memory ‒ Über die Entstehung von Alien packt das Thema von einer ganz anderen Seite an: Im Mittelpunkt steht Dan O’Bannon, der Autor des Drehbuchs. Denn der hat aus der Genre-Idee “Böser Außerirdischer bedroht Astronauten” das Konzept entwickelt, das Alien zu etwas ganz Besonderem macht. Da geht der Film ganz klassisch biographisch vor. Kindheit, Jugend, erste Lese- und Kino-Erlebnisse, Filmhochschule, Dark Star und der Wasserball-Außerirdische, quasi Alien in Lustig. Erzählt durch Interviews mit Ehefrau und Weggefährten. Überraschend ist die Fülle an Material, die der Film zusammenträgt. All die Filme, Bücher und Bilder, die zu O’Bannons Vision beigetragen haben könnten. Und ob seine Erkrankung an Morbus Crohn, einer unheilbaren Darmkrankheit, etwas mit dem Konzept eines Wesens, das sich im menschlichen Körper einnistet, zu tun haben könnte?
Roger Cormans Starbeast?!
Diesen Film gibt es nicht. Es hätte ihn geben können, wenn Roger Corman (Das Pendel des Todes) sich entschieden hätte, aus Dan O’Bannons Weltraummonster-Idee einen Low Budget-Film zu machen. Er entschied sich dagegen. Fast wünscht man sich, diesen nie gedrehten Film auch mal sehen zu können. Aber dann hätte man wohl auf Ridley Scotts Alien verzichten müssen. Memory ‒ Über die Entstehung von Alien nimmt sein Publikum mit in jene unglamouröse Phase des Filmemachens, wo Drehbücher verschickt, Verhandlungen geführt und Budgets ausgehandelt werden. Dröge im Vergleich zu Berichterstattung vom Set mit Stars, Kameras und Kulissen? Überhaupt nicht. Auf unspektakuläre Weise richtig spannend, denn die Doku macht klar, dass in dieser Phase die Weichen für das spätere Projekt gestellt werden.
Entgegen lächelt mir der Duft von Menschenblut
Schlauberger mit klassischem Bildungshintergrund werden die grauhaarigen Frauen mit den Metallzähnchen, so spitz wie die des Alien, die in der Eingangssequenz von Memory ‒ Über die Entstehung von Alien diesen Satz in die Kamera zischen, erkannt haben. Es sind die Furien der antiken Mythologie, Rachegöttinnen, die Orestes, den Muttermörder jagen. Die haben, so jedenfalls der Film, irgendwie mit Alien zu tun. So wie die Figuren auf den Gemälden des britischen Malers Francis Bacon, mit ihren deformierten, schreienden Mündern. Alexandre O. Philippe holt ganz weit aus, wenn er seinen Lieblingsfilm in einen kulturellen Kontext einbetten will. Hat Alien vielleicht nicht auch mit der Schuld des Patriarchats zu tun? Oder mit der Lage der Arbeiterklasse? Oder der Krise der amerikanischen Familie? Nicht alles, was Experten da wortreich erläutern, überzeugt. Manches wirkt recht weit hergeholt. Aber der Ansatz, einen Film aus so vielen verschieden Winkeln zu interpretieren, ist ein intellektuelles Zuckerl für Leute, die ihr Lieblingsthema gern akademisch angehen.
Fazit
Manche Fans kaufen sich DVDs oder Blu-Rays vor allem wegen der Specials. Wie ist der Film entstanden, was haben sich die Macher dabei gedacht? Memory ‒ Über die Entstehung von Alien ist ein Film, der solche Menschen glücklich macht. Und all die Fans, die nicht müde werden, ihren Lieblingsfilm von allen Seiten zu betrachten und immer wieder neue Aspekte entdecken. Nach 90 Minuten wünscht man sich fast, eine Miniserie vor sich zu haben und nun, da man so viel über die Chestburster-Szene erfahren hat, in der nächsten Folge den Rest des Films erklärt zu bekommen. Etwa die symbolische Bedeutung von Jones, dem Kater. Oder wie Ripley erst als Mann angelegt war und dann zur Rolle für Sigourney Weaver wurde. Alexandre O. Philippe könnte mit Sicherheit weitere interessante 90 Minuten darüber machen.
© Atlas Film
Veröffentlichung: 12. November 2021