Marianne

September und Oktober sind die wichtigsten Monate innerhalb des Horrorjahres. Unzählige Veröffentlichungen erscheinen in jenen Monaten und Schuld daran trägt nur die jährlich steigende Popularität Halloweens. Auch Netflix lässt sich nicht lumpen und hat mit Marianne wieder eine Serie in petto, die qualitativ ganz oben mitspielt. Die französische Produktion hatte wohl keiner auf dem Schirm, doch seit ihrem Erscheinen am 13. September 2019 vergrößerte sich der Fankreis binnen weniger Tage und vor allem Horrorfans schätzen die Serie für ihre unheilvolle Atmosphäre. Ein echtes Vorzeigeprojekt und Nachschub für Netflix-Abonnenten, welche die Wartezeit auf eine Fortführung von Spuk in Hill House überbrücken wollen.

 

Emma Larsimon (Victoire Du Bois) zählt zu den beliebtesten Autorinnen der Stunde. Mit ihren Horror-Romanen konnte sie sich eine breite Leserschaft aufbauen und Menschen stehen Schlange für ein Autogramm. Für Emma ist es an der Zeit, sich weiterzuentwickeln und deshalb steht auch der Beschluss, neue Genres erobern zu wollen. Bei einer Lesung kommt es zu einem Zwischenfall, bei der eine alte Bekannte Emma heftige Vorwürfe macht. Sie beschuldigt Emma, dass ihre Mutter von einer Figur aus Emmas Romanen der terrorisiert werde. Die Rede ist von der Hexe Marianne. Gerade als Emma dies alles als Blödsinn abtun möchte, zeigt ihr die Bekannte grausame Verletzungen, welche ihr die Hexe hinzugefügt haben soll. Schließlich entscheidet die Autorin sich, in ihre alte Heimat, das Städchen Elden, aufzubrechen. Doch schon bald muss sie feststellen, dass ihre Romanfigur ein Eigenleben entwickelt hat …

Die besondere Verbindung eines Autors zur eigenen Romanfigur

Originaltitel Marianne
Jahr 2019
Land Frankreich
Episoden 8
Genre Horror
Cast Emma Larsimon: Victoire Du Bois
Camille: Lucie Boujenah
Aurore: Tiphaine Daviot
Seby: Ralph Amoussou
Madame Daugeron: Mireille Herbstmeyer

Stephen King nutzte schon mehr als einmal das Motiv des Autors, dessen Leben durch ein Buch verändert wird. In Marianne ist es Emma, die sich mit der Hexe eine besonders gruselige Figur ausgedacht hat. Denn Marianne ist nicht einfach eine Hexe, die ein bisschen böse Zaubereien ausspricht und auf einem Besen reitet. Marianne ist ein Scheusal, welches den Körper eines jeden Menschen übernehmen kann. Das macht sie besonders grausam, denn ist erst einmal der Körper eines einem nahestenden Menschen in Besitz, werden die eigenen Schwächen gezielt gegen einen ausgespielt. Marianne selbst besitzt dagegen nur einen Schwachpunkt: Sie kann nicht lügen und deswegen auch ihren Namen nicht verweigern. Ohnehin ist unklar, wo sie ist und was sie weiß. Viel zu viele Rätsel und Geheimnisse gibt die Hexe auf, obwohl bereits zu Beginn vieles über sie bekannt ist.

Sympathie durch Schwächen

So faszinierend die Antagonistin auch ist, funktioniert eine solche Serie nur, wenn der gute Counterpart mit einer ähnlichen Stärke ausgerüstet ist. Bei Emma ist dies ohne Frage ihre Persönlichkeit. Einerseits trinkt sie auch mal einen über den Durst, ist auf einem Höhenflug und besitzt auch egoistische Tendenzen, andererseits tritt sie selbstbewusst und smart auf. Emma ist eine Figur mit Ecken und Kanten und es fällt sehr leicht, Sympathien für sie aufzubauen. Dann zeigt sie aber auch wieder moralisch nicht einwandfreie Züge. Etwa, wenn sie ungehemmt an ihren Ex-Freund Séby (Ralph Amoussou) herumbaggert, der längst vergeben ist und bald Vater wird. Solche Ambitionen nimmt man Emma niemals krumm, da sie durch ihr Verhalten in Summe sehr menschlich wirkt. Victoire Du Bois punktet mit ihrem coolen Auftreten und man nimmt ihr sofort ab, weshalb sie als Autorin eine solche Wirkung auf ihre Leser ausübt. An dem Beispiel ihrer Figur zeigt sich, wie gut ausgearbeitet der Kreis der wichtigsten Figuren ist. Serienschöpfer Samuel Bodin legt großen Wert darauf, nicht einfach nur eine Geschichte zu erzählen, sondern auch bemerkenswerte Charaktere zu entwerfen. Dazu gehört auch Emmas Assistentin Camille (Lucie Boujenah), der Emma zu Beginn noch Aufstiegschancen verspricht, doch darüber hinaus entwickelt sich auch eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen.

Weiterschreiben!

Bis zur Hälfte der Serie, also Episode 4, baut die Geschichte kontinuierlich Spannung auf. Marianne bleibt lange eine Unbekannte, da sie jede Form annehmen kann und man auch nie weiß, ob sie nicht bereits in der Haut einer nahestehenden Person ist. Besonders in den zumeist nächtlichen Gruselszenen ist die Hexe eine Meisterin darin, ihr Opfer zu terrorisieren und auf falsche Fährten zu locken. Ihrem Spiel zuzusehen, macht besonders großen Spaß, da nie ganz klar ist, die der nächste Schritt aussieht. Es ist aufgrund der Raffinesse hinter der Figur nur folgerichtig, die Serie “Marianne” und nicht “Emma” zu nennen. Ab der fünften Folge lassen Tempo und Spannung allmählich ab, was vor allem damit zusammenhängt, dass die Jagd nach der Hexe und deren Forderungen an Emma, den Roman fortzuführen, zu häufig wiederholt werden. Insbesondere die Frage, weshalb Emma nicht einfach weiterschreibt, wenn sie weiß, was auf dem Spiel steht, schwebt die ganze Zeit über dem Geschehen.

Marianne gruselt auf allen Ebenen

Die Basisanforderung an eine Horrorserie: Sie soll gruseln. Diese Fähigkeit beherrscht Marianne. Spannungstechnisch orientiert die Serie sich an den Titel des The Conjuring-Universums vertrauten Elementen. Dazu gehören falsche Fährten, die gerne mit Jump-Scares verbunden werden. Erfreulicherweise nicht im Übermaß und zumeist treffend gesetzt. Viel stärker als die Erschreck-Effekte ist es die Atmosphäre, welche die Serie von Folge 1 bis 8 trägt. Dazu gehört auch die pessimistische Grundstimmung von Elden. Der stürmische und von Wolken verhangene Ort mitten in der Bretagne bringt ein überschaubares Kleinstadt-Setting mit. Auf anderer Ebene sorgt die Maske für fiese und rauhe Momente. Mireille Herbstmeyer steht stellvertretend für das gute Handwerk, denn sie verkörpert das teuflische Spiel der Hexe wie es kaum eine andere könnte: In ihre Augen herrscht Leben, ihr Blick ist wahnsinnig. Dazu ein übertriebenes Lächeln mit fiesen Zähnen. Ein unbehagliches Auftreten, das Schauer über den Rücken zu jagen weiß. Subtilität wird bewusst immer wieder aufgebrochen und plakative Szenen schocken, weil man es gar nicht mehr gewohnt ist, Serienschöpfern diesen Mut zuzusprechen ohne dass es gleich in absurde Brutalität geht. Erwähnenswert ist an der Stelle auch die Dominanz des Scores, der an den musikalischen Einsatz in John Carpenters Werken erinnert.

Fazit

Marianne ist keine Serie für zarte Gemüte. Die Produktion darf sich als der Horror-Import 2019 schlechthin bezeichnen. Keine TV-Serie lehrt einem auf so kurzweilige Weise das Gruseln wie die Geschichte um Emma und die Hexe. Auch wenn der Titel seine Highlights fast alle in der ersten Hälfte versammelt, fällt es nur schwer, mitten in der Geschichte abzubrechen. So intensiv ist das Duell zwischen der coolen Protagonistin und der hinterhältigen Gegenspielerin. Die ideale Serie für ein Horror-Bingewatching.

© Netflix

Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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Aki
Aki
Redakteur
7. Oktober 2019 12:37

Netflix wollte mir den Titel sehr oft schon andrehen, weil es wohl in mein Raster fällt. Der Artikel hat mich jetzt doch neugierig gemacht und ich werde der Serie mal eine Chance geben.