Jojo Rabbit

Die Hitlerjugend ist ein Kinderhort und Hitler ein Kindermotivator, ein Rolemodel für junge Menschen, die zu ihm aufschauen. Da ist es nur verständlich, dass man sich die Nähe so sehr wünscht, dass Hitler einem als imaginärer Freund mit Rat und Tat zur Seite steht. Sei es durch den zweiten Weltkrieg, bei dem es nur einen Sieger geben kann, Deutschland. Zitat Hitler oder gar noch schlimmer: ein „Pubärtier“ mitten im Granatenhagel. Mittendrin: sympathische Nazis mit einem Herz aus Gold und die Frage aller Fragen: darf man eigentlich lachen und diese liebhaben? Fragen, die der sechsfache Oscar-Anwärter Jojo Rabbit von Taika Waititi (Thor: Tag der Entscheidung) aufwirft.

      

Die letzten Monate des zweiten Weltkrieges brechen an – doch im kleinen verschlafenen Städtchen Falkenheim geht alles seiner geordneten Wege. Die Jugend himmelt Hitler (Taika Waititi, 5 Zimmer Küche Sarg) und die Partei an, jeder möchte an der Front sein Leben geben und da alle Männer bereits da sind, muss die Jugend endlich auch ihren Beitrag leisten. Darauf werden Johannes Betz (Roman Griffin Davis) – Jojo – und die Kameraden militärisch von Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell, Iron Man 2) gedrillt. Ein Unfall verhindert jedoch Jojos glorreiche Triumpheinfahrt als vollwertiger Soldat. Somit muss er sich einem anderen, viel schlimmeren und hässlicheren Feind in den eigenen Reihen stellen. Einer 15-jährigen Jüdin auf dem elterlichen Dachboden. Was die Mutter (Scarlett Johansson, Ghost in the Shell) wohl dazu sagt?

Darf man endlich über Hitler und Nazis lachen oder stört es jemanden?

Originaltitel Jojo Rabbit
Jahr 2019
Land USA
Genre Satire, Kriegsfilm
Regie Taika Waititi
Cast Jojo Betzler: Roman Griffin Davis
Rosie Betzler: Scarlett Johansson
Adolf Hitler: Taika Waititi
Fräulein Rahm: Rebel Wilson
Hauptmann Klenzendorf: Sam Rockwell
Elsa Korr: Thomasin McKenzie
Finkel: Alfie Allen
Hauptmann Deertz: Stephen Merchant
Laufzeit 108 Minuten
FSK
Veröffentlichung: 4. Juni 2020

2012 hatte Waititi bereits das auf dem Roman Caging Skies (2004) basierende Drehbuch zu Jojo Rabbit fertig geschrieben. Waititi hatte bereits damals ein unglaubliches Gespür für Cast, Location und Humor auf mehrere Ebenen. Wenigen ist der großartige Film 5 Zimmer Küche Sarg bekannt. Diesen hatte er 2012 mit einem niedrigen Budget gedreht und nebenbei, als er sich um Vampire mit asozialer Gruppendynamik kümmerte, die Idee, das Drehbuch zu einer Komödie mit Hitler als imaginären Buddy zu verfassen.

Apropos Gruppendynamik. Der Film ist bunt, quietschbunt und überhaupt – alle Figuren scheinen ihre Rollen und liebevollen Marotten zu besitzen. Jeder hat ein kleines Päckchen zu tragen, mal mehr mal weniger groß oder kraftvoll. Waititi begreift es spielerisch und überspitzt die Hysterie sowie den Hype um Hitler in Szene zu setzen. Jojo himmelt ihn als Poster Boy an. Er sieht in Hitler nicht nur den Erlöser und Deutschlands Heiland, sondern vielmehr eine Vaterfigur, die ihm in Momenten der Einsamkeit und Unsicherheit (wie sie jedem Mädchen oder Jungen wiederfahren) mit Rat und Tat zur Seite steht. Die Dialoge zwischen Jojo und dem Führer sind so absurd geführt, dass man mit diesem inbrünstigen Nazi aus Überzeugung mitfühlt. Wohingegen die Dialoge mit seiner Mutter einem die Tränen in die Augen treiben. Wie liebevoll streng Rosie mit ihrem Sohn umspringt und Vater, Mutter und Freund zugleich spielt, um ihrem kleinen Spross zu zeigen: die Welt mag im Moment schwarz-weiß-rot sein, aber sie bietet so viel mehr – und versucht ihm Unschuld und Naivität in seinen kindlichen Jahren zuzugestehen. So wundert es nicht, dass Scarlett Johansson für einen Oscar nominiert ist. Die Rolle Rosie Betz ist schnell durchschaut – wobei durchschaut hier nicht im Negativen aufzufassen ist. Rosie Betz spielt die Mutter des kleinen, inbrünstigen Nazifanatikers – und ist doch die Frau des Revoluzzers, der gegen die Partei kämpft, aber in jeder Sekunde des Films ist sie eines: Mutter, eine bezaubernde Mutter.

Die Absurdität der Ideologie entfaltet sich immer erst im Kontext 

Jojo findet sich nach seinem nicht so ganz gelungenen paramilitärischen Drill zu Hause wieder und auf dem Dachboden, im Zimmer, hinter der Wand ein jüdisches Mädchen. Es kommt ihm monströs vor. Groß, hager, ungewaschen, garstig. Dünne Finger und eine langsame gespenstische Erscheinung, die Jojo jagt – und ihm die Messer klaut! Der Zuschauer erlebt, wie ein 10-jähriges Kind den personifizierten Feind wahrnimmt. Eben genau so – garstig, dünn, gespenstisch. Dass Dinge nicht so sind, wie Sie auf den ersten Blick erscheinen, daran mögen wir uns als Kinder erinnern – nein. Die Monster sind real und wollen nur uns. Plötzlich übernimmt Hitler die ultimative Rolle. Die des Gewissens. Was macht man jetzt? Wie reagieren? Als Nazi ist es ganz klar – doch Jojo hat schon Vater und Schwester verloren. Seine Mutter verraten? Keine Option, Hitler. Jaja, stimmt schon. Weil? Genau – Juden haben ihren Verstand vernebelt. Mama ist unfehlbar. Hatte sie ihrem Sohn doch Löwenmut abverlangt und dem Feind das Tigerauge zu zeigen. Mama kann es nicht sein. Darum setzt Jojo alles daran, mehr über dieses Geschöpf, Elsa, zu erfahren.

Der Feind ist gefangen, also verhöre den Gefangenen

Die große Stärke von Jojo Rabbit sind die kindlich naiven, aber vor Neugier strotzenden Dialoge zwischen Johannes und Elsa. Elsa erzählt ihm kuriose Geschichten. Angebliche Anekdoten aus dem Leben der Juden – die er verschlingt, um ein Buch zu schreiben. Doch Jojo ist nicht umsonst „Hasenfuß“ getauft worden. Er bringt vieles nicht über sein Herz. Unter anderem den Verlobten Elsas in imaginären Briefen zu töten. Es macht die Gefangene traurig und so muss er wohl oder übel Hitler und seiner Mutter eine(r) Frage stellen: Woran merkt man, dass man verliebt ist?

Die Magengrube des Zuschauers als der zentrale Platz von Falkenheim

Waititi hat ein unglaubliches Händchen dafür Hitler, Nazideutschland und die Ideologie vorzuführen. Sei es eben Jojo Hasenfuß, Yorki – der pummelige Freund Jojos, den es scheinbar null interessiert, dass sein bester Freund mit einer Jüdin verkehrt. Immerhin – hätte eine Russin sein können. Eben solche herzliche Lacher die auf so vielen Ebenen funktionieren, streut Waititi immer und immer wieder ein. Sogar der antisemitische und offensichtlich schwule Hauptmann Klenzendorf ist im Endeffekt nur ein missverstandener Mensch. Alles ist bunt, regenbogenfarben-bunt. Dennoch versteht der Regisseur, der Thor eine gelungene Exkursion im Comedy-Genre spendierte (und den einen oder anderen Fan damit auf die Palme brachte) neben der Komik auch das Tragische in Szene zu setzen. Jojo wird sich im Laufe der Geschichte mehrmals an Scheidepunkten und Plätzen wiederfinden, die er in der ersten Hälfte besuchte. Zweimal wird Jojo auf Gehenkte treffen, und der Schock wird beim zweiten Mal größer als beim ersten sein. Jojo verliert das, was der Krieg nämlich fordert: alles. Vater, Schwester, nun seine Mutter. Deutschland wird überrannt. Nazis getötet und nur dank Klenzendorf überlebt Jojo, der als Jude beschimpft wird. Was bleibt noch? Nichts, denn sogar Elsa ist jetzt frei und weg. Das bricht Jojo am meisten das Herz und er lügt Elsa kurz an, indem er ihr sagt: Wir, ich mein, die Nazis haben gewonnen.

Fazit

Der Film endet wie er anfängt. Überdreht, albern, lustig. Charmant und süß. So würde ich den Film nicht bezeichnen, jedoch wird hier und da zu sehr mit Zucker und Süßstoff hantiert, dass man sich selbst fragt, ob die Nazithematik zu versöhnlich endet. Dass es viele Unternehmungen gibt, den Nationalsozialismus aufs Korn zu nehmen, sei es Frühling für Hitler, Der große Diktator, Mein Führer oder den meisten in jüngster Erinnerung: Das Leben ist schön von Bengini. Waititi hat für mich den Finger tiefer in die Wunde gelegt, als die anderen Filme zusammen. Für den Zuschauer mag die indoktrinierte Ideologie und vor allem forsche Propaganda heute befremdlich wirken und er wird hoffentlich auch weiterhin hinterfragen, wie man damit so eine Hysterie und Gefolgschaft entfachen und begeistern konnte. Die Erzählweise, der Werdegang Elsas und die Erlebnisse von Jojo harmonisieren großartig und werden durch kleine gespickte Nebenhandlungen weniger Charaktere erweitert. Somit spielt sich ein Großteil im Kopf des Zuschauers ab, der sich dabei ertappt fühlt, wie seine eigene erste unschuldige Erfahrung mit einem lieben Menschen war. Waititi entlarvt die Nazis als Menschen, nicht als Monster. Er hat in allen eine Karikatur abgezeichnet. Bis auf den Charakter Rosie Betz. Diesen, so hat Waititi verraten, hat er selbst auch in Anlehnung an seine eigene Mutter geschaffen. „Eine starke, liebevolle Frau“. Dies ist ihm in meinen Augen hervorragend gelungen. Scarlett Johansson trägt die schweren, wie auch leichten Momente des Filmes und verkörpert als Rosie Betz viele Rollen und Facetten des Krieges sowie Persönlichkeiten, die diesen durchleben. Jojo Rabbit ist keine Komödie, die man mit Freunden leichter Kost anschaut. Aber ein hervorragender Film, der einen zum Lachen und Weinen rühren kann.


Seit dem 4. Juni 2020 im Handel erhältlich:

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