Doctor Sleeps Erwachen

Was wurde eigentlich aus dem kleinen Jungen aus Shining? Diese Frage stellte sich Stephen King (Der Outsider) 2009 und ging der Sache nach, ehe 2013 der Roman Doctor Sleep erschien. Dass jemand dieses Buch jedoch verfilmen würde, ist für viele noch immer eine Überraschung. Das Horror-Meisterwerk Shining, welches Stanley Kubrick 1980 mit Jack Nicholson als Jack Torrance auf die Kinoleinwand brachte, unterscheidet sich nämlich sehr von Kings Buchvorlage. Stephen King gibt sogar öffentlich zu, die Verfilmung zu hassen. Müsste sich eine Fortsetzung daher mehr nach der Buchvorlage richten oder doch als direkte Fortsetzung von Kubriks Vision laufen? Regisseur und Autor Mike Flanagan, der seine erste Kino-Erfahrung mit der Verfilmung von Das Spiel machte, entschied sich für einen Mittelweg. Am 21. November 2019 war es dann soweit und Doctor Sleeps Erwachen rollte in die deutschen Kinos, unglücklicherweise mit einem unlogischen Titelzusatz.

       

Mit knapper Not sind Wendy Torrance (Alex Essoe, States) und ihr Sohn Danny (Roger Dale Floyd, Kronos) dem durchgedrehten Jack entkommen. Nie wieder wollen sie einen Fuß in das gefährliche Overlock Hotel setzen, das für ihr Leiden verantwortlich ist. Viele Jahre später verfiel der erwachsene Danny (Ewan McGregor, Christopher Robin) genau wie sein Vater dem Alkohol, denn es sind die Geister von damals, die ihn nie völlig losließen. Auf der Flucht vor seinen schrecklichen Erinnerungen verschlägt es den stark Abhängigen in den kleinen Ort Frazier. Dort lernt er den verständnisvollen Billy Freeman (Cliff Curtis, Meg) kennen, der ebenfalls einiges im Leben durchmachen musste. Dank ihm schafft es Danny zu einem Treffen der anonymen Alkoholiker. Seine besonderer Gabe, das Shining, hilft ihm dabei, einen Job im hiesigen Hospiz zu bekommen, wo er sterbenden Leuten bei ihrer letzten Reise hilft. Die anderen Patienten nennen ihn daraufhin nach kurzer Zeit “Doctor Sleep”, und während Danny sein Leben versucht in den Griff zu bekommen, reist der „Wahre Knoten“ durch Amerika. Eine Gruppe nicht normaler Leute, die sich vom Shining der Kinder ernährt, um so unsterblich zu bleiben. Angeführt von Rose the Hat (Rebecca Ferguson, Mission: Impossible – Fallout) entführen sie unschuldige Kinder. Die junge Abra (Kyliegh Curran, I Can I Will I Did) besitzt gewaltige Kräfte, die es ihr ermöglichen, die Taten des Wahren Knoten zu beobachten. Das Mädchen schwört daraufhin Gerechtigkeit für das, was den anderen Kindern angetan wurde.

Vorhang auf für bekannte Akteure

Originaltitel Doctor Sleep
Jahr 2019
Land USA
Genre Horror, Fantasy, Drama
Regisseur Mike Flanagan
Cast Danny Torrance: Ewan McGregor
Rose the Hat: Rebecca Ferguson
Abra Stone: Kyliegh Curran
Dick Hallorann: Carl Lumbly
Crow Daddy: Zahn McClarnon
Billy Freeman: Cliff Curtis
Dr. John Dalton: Bruce Greenwood
Snakebite Andi: Emily Alyn Lind
Laufzeit 153 Minuten
FSK
Seit dem 9. April 2020 im Handel erhältlich

Da Stanley Kubriks Shining ein anderes Ende besitzt, stellte sich vorab die Frage, wie Mike Flanagan als Drehbuchautor den Kniff hinbekommen würde, einen passenden Übergang einzuleiten. Seine Antwort: Ein erneuter Aufenthalt im beunruhigenden Overlook-Hotel und ein junger Danny, der mit den Geistern kämpft, die ihn von dort verfolgen. Wir fühlen uns daher wieder direkt in die Handlung von damals zurückversetzt, was auch daran liegt, dass der tote Dick Hallorann (Carl Lumbly, A Cure for Wellness) als Mentor in Doctor Sleeps Erwachen mitspielt. Im weiteren Verlauf der Handlung straffte Flanagan die Buchvorlage ordentlich zusammen, sodass ein äußerst zügig erzählter Horrortrip entsteht. Dabei springt zu Beginn die Handlung immer wieder geschickt zwischen Danny und dem Wahren Knoten hin und her. So erleben wir, wie Danny seinen Weg zurück ins Leben findet und dabei einen traurigen, aber guten Job im Hospiz macht. Gerade diese Szenen sind emotional intensiv eingefangen, ohne zu kitschig zu wirken. Auf der anderen Seite findet Rose ein neues Mitglied für ihre Gruppe, wodurch wir mehr über sie und ihre Art erfahren, was faszinierend und abstoßend zugleich auf Zuschauer*innen wirkt.

Einmal zurück ins gruseligste Hotel der Filmgeschichte

Neben Dannys und Roses Gruppe lernen wir noch die aufgeweckte Abra kennen, die eine telepathische Verbindung zu Danny aufbaut und immer wieder Nachrichten auf dessen tafelähnlicher Wand im Zimmer hinterlässt. Sind alle Figuren weit genug vorgestellt, verdichtet sich die eigentliche Handlung durch die grausame Ermordung des Baseballjungen Bradley Trevor (Jacob Tremblay, Good Boys). Denn ab diesem Moment entdeckt Rose die mächtige Abra und beginnt mit ihrer vampirähnlichen Gruppe, Jagd nach ihr zu machen. Schließlich konnten sie mit ihrer Macht für eine ganze Weile am Leben bleiben. Nachvollziehbar präsentiert das Drehbuch, wie sich das Netz um Abra enger zieht und Danny involviert wird, der daraufhin eine Entscheidung treffen muss. Die nachfolgenden Konfrontationen sind schnell, aber gelungen, sogar gespickt mit ein, zwei überraschenden Wendungen. Wie jedoch der Trailer schon verrät, führt uns die Handlung zum schlimmsten Ort zurück: das Overlook-Hotel. Dort liefern sich die Parteien ein würdiges Finale, bei dem Flanagan das ursprüngliche Finale von Kings Shining-Roman sogar nachholt. Nur dass es nicht Jack ist, der das Hotel in die Luft jagt, sondern Danny.

Kreative Konfrontationen

Die eigentliche Jagd in Doctor Sleeps Erwachen beschränkt sich nicht nur auf die Gesetze der Physik, sondern auch auf das Übernatürliche. Tatsächlich besitzen auch die Mitglieder des Wahren Knotens einige ernst zu nehmende Fähigkeiten. So kann die junge, hübsche Snakebite Andi (Emily Alyn Lind, Replicas) anderen Leuten ihren Willen aufdrängen und Rose ist in der Lage, ihre Seele auszusenden, um ihre Opfer aufzuspüren. Die Jagd nach Abra gestaltet sich daher nicht nur aus Herumfahren, sondern auch aus Ausflügen, bei dem sich das kreative Team hinter dem Film einiges einfallen ließ. Drehende Gebäude, fliegende Menschen und unendliche Labyrinthwege — hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Während diese Szenen optisch sehr gelungen sind, überstrahlt die Detailverliebtheit in Bezug auf das Overlook-Hotel alles andere. Hier wurde wirklich alles soweit möglichst detailgetreu nachgebaut, um Betrachter*innen zurück in die Verfilmung von Shining zu locken. Nur das Hotel von außen beeindruckt weniger und erweckt den Eindruck einer Produktion aus den 80er Jahren.

Starke Besetzung

Mit Publikumsliebling Ewan McGregor entschied sich Mike Flanagan für eine passende Besetzung des erwachsenen Danny alias Doc, wie ihn seine Mutter immer gerne nennt. Der geborene Schotte schafft es, die vielen Facetten darzustellen, ohne dabei zu übertreiben. Ob nun Danny abgewrackt unter einer Brücke erwacht oder später immer wieder mit dem Alkohol kämpft. Gerade im späteren Verlauf der Handlung kommt es zu einer Konfrontation von Vater und Sohn, bei der sich die unterschiedlichen Emotionen perfekt in seinem Gesicht widerspiegeln. Die Show stiehlt ihm jedoch die junge Darstellerin Kyliegh Curran als begabte Abra. Lächelt sie über das ganze Gesicht und schaut dabei fast direkt in die Kamera, können Zuschauer*innen regelrecht ihre Freude spüren. Doch auch wenn sie Angst oder Panik fühlt, hier zeigt sich eine Darstellerin, von der wir hoffentlich viel in Zukunft noch sehen werden.

Das Böse hat ein Gesicht

Etwas ungewöhnlich wirkt die Darstellung auf Seiten der Bösewichte. Während in vielen Horrorgeschichten die Spannung durch das Unbekannte verkörpert wird, zeigt sich der „Wahre Knoten“ gleich in der Auftaktszenerie und das in ziemlich normaler Form. Leute, die deine Nachbarn sein könnten oder dir auf dem Campingplatz (da sie mit Wohnmobilen unterwegs sind) Toilettenpapier leihen würden. Doch gerade diese Darstellung ist trügerisch, denn wenn diese Leute einen armen Jungen zu Tode foltern, um das Shining in Form von Nebel (alias Steam) einzusaugen, zeigt sich eine andere, Gänsehaut verursachende Seite. Allen voran Rebecca Ferguson als charismatische, aber autoritäre Anführerin verkörpert perfide diese beiden unterschiedlichen Seiten. Ungewöhnlich ist das starke soziale Verhalten in der Gruppe, das so sehr menschlich wirkt, dass wir fast schon Sympathien aufbauen. Im Gegensatz zu gängigen Gegenspielern oder Monstern in Horrorgeschichten bekommt die Geschichte dadurch eine ganz andere Note verliehen.

Spagat zwischen Filmfortsetzung und Buchumsetzung

Doch erreicht Flanagan am Ende sein Ziel, sowohl Film- als auch Buchkenner freudig aus dem Kino zu entlassen? Die Antwort lautet klar: nein. Zu Beginn startet der Film noch sehr dicht an seiner Vorlage, nimmt die Geschichte dann jedoch gerade im späteren Verlauf eine Abzweigung, um dann ein komplett anderes Finale zu liefern. Bis dahin strich der Drehbuchautor eine komplette kreative Nebenhandlung (Schlagwort Windpocken), die dem Buch eine besondere Note verleiht, und wirft leider auch viele Figuren aus der Handlung. Großmutter Momo stellt vor allem einen herben Verlust dar. Sie dient nicht nur dazu, zu erklären, woher Abra ihren starken Willen hat, sondern schleicht sich auch sofort ins Herz. Ebenso schrieb Flanagan Dr. John Daltons (Bruce Greenwood, Das Spiel) Rolle auf ein Minimum herunter. Dadurch fehlt dem ausgeglichenen Männertrio, welches Abra hilft, ein wichtiger Bestandteil. Allen voran wird aber das Finale den Lesern aufs Gemüt schlagen. Selbst Stephen King äußerte wenig Begeisterung über die Änderung, denn in seinem Buch überlebt Danny das Abenteuer, um dann sogar mit der Gewissheit leben zu können, dass sein Dad ihn liebt. Schließlich taucht dieser plötzlich als Geist auf und hilft ihm.

Ka ist ein Rad

Stephen King baut in seinen Büchern jede Menge Anspielungen auf seine eigenen Werke ein. Darauf achtete Flanagan schon bei dem Film Das Spiel, nur gingen diese bei der deutschen Übersetzung unglücklicherweise verloren. Mehr Glück haben wir bei Doctor Sleeps Erwachen. Gleich vier Easter Eggs finden sich alleine rund um Kings Lebenswerk Der Dunkle Turm-Reihe. Ob nun Rolands Spruch „Ka ist ein Rad“ oder die beiden Firmennamen LeMerk und Tet Transit, hier war jemand mit ausführlichem Wissen am Werk. Vor allem aber die schicksalhafte 19 spielt wieder eine Rolle, denn es ist die Nummer, die der Baseballjunge auf seinem Trikot stehen hat. Doch nicht nur solche Anspielungen sind zu finden: Danny Lloyd, der in Shining den gleichnamigen Jungen spielt, hat hier einen kleinen Cameoauftritt.

Fazit

Ich habe Doctor Sleep sehr gerne gelesen. Daher war ich doch recht skeptisch, ob eine Verfilmung gelingen würde, da Kubriks Shining schon viele Abwandlungen beinhaltet. Unglücklicherweise sollten sich meine Vorahnungen bestätigen, dass Doctor Sleeps Erwachen eher eine Filmfortsetzung mit zahlreichen Änderungen darstellt. Darunter fallen leider einige Dinge, die ich gerne sehen wollte, wie etwa den Nebenplot, der den Wahren Knoten umfasst, oder die taffe Großmutter Momo. Dicht gefolgt von einer größeren Rolle von John Dalton, der das wohlgefällige Männertrio vervollständigt. Richtig bitter stößt mir das neue Finale auf. Die Rückkehr zum Overlook auf der einen, Dannys Tod auf der anderen Seite. Ich mag das Ende im Buch, wo er sich mit seinem Vater versöhnt und endlich seinen Seelenfrieden findet. Versuche ich hingegen, mein Buchwissen komplett auszublenden, finde ich die Fortsetzung nicht schlecht. Die Handlung wirkt kompakt, was bei der Spielfilmlänge fast nicht vorstellbar ist, überzeugt mit einigen packenden Showdowns und optisch gibt es etliche ausgefeilte Ideen. Allen voran die Schauspieler holen sehr viel aus ihren Rolle heraus. Rebecca Ferguson passt als charismatische Anführerin Rose. Ihre zierliche Figur und ihr freundliches Lächeln sorgen für einen perfiden Schleier, der ihr wahres Ich verbirgt. Die Duelle auf geistiger Ebene mit der liebenswerten Abra sind daher wirklich gelungen. Ewan McGregor sehe ich gerne in Filmen und auch er verkörpert Danny so, wie ich ihn mir immer vorstellte. Vielleicht können andere daher meinen Zwiespalt gegenüber Doctor Sleeps Erwachen daher verstehen. Insgesamt langweilte ich mich aber nicht und muss sogar sagen, dass die Zeit wie im Flug verging, weswegen ich doch eine recht hohe Bewertung wähle.

© Warner Bros. 

Aki

Aki verdient ihre Brötchen als Concierge in einem großen Wissenstempel. Nie verlässt sie das Haus ohne Mütze, Kamera oder Lesestoff. Bei ihren Streifzügen durch die komplette Medienlandschaft ziehen sie besonders historische Geschichten an. Den Titel Sherlock Holmes verdiente sie sich in ihrem Freundeskreis, da keine Storywendung vor ihr sicher ist. Dem Zyklus des Dunklen Turms ist sie verfallen. So sehr, dass sie nicht nur seit Jahren jeden winzig kleinen Fetzen zusammensammelt. Nein, sie hat auch das Ziel, alles von Stephen King zu lesen.

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