Darlin’
Es gibt Filme, die nach ihrem Ende Appetit auf mehr machen, sodass es geradezu weh tut, wenn die Geschichte nicht fortgeführt wird. Selbstverständlich ist häufig auch das Gegenteil der Fall, wenn Sequels schlechter Titel auf den Markt gespült werden, ohne dass jemals jemand danach gefragt hätte. Ein ganz besonderer Fall sind aber Produktionen, die in sich rund und abgeschlossen sind. Und plötzlich taucht da Jahre später eine Fortsetzung auf, bei der man sich überhaupt nicht vorstellen kann, was es da denn noch zu erzählen gäbe. Ein solcher Fall ist Darlin’, die direkte Fortsetzung des 2011er Films The Woman (welcher streng betrachtet ebenfalls eine Fortsetzung von Beutegier darstellt, hier wird also eine Trilogie angestrebt). In diesem zerstörte der 2018 verstorbene Regisseur Jack Ketchum einst mit satirischem Unterton das Bild der amerikanischen Vorzeigefamilie. Die Fortsetzung behält diesen Ton bei, entpuppt sich inhaltlich aber als völlig überflüssige Fortführung.
Die Teenagerin Darlin’ (Lauryn Canny, Amber) wird, nachdem sie von einem Auto angefahren wurde, in ein Krankenhaus eingeliefert. Sie ist völlig verdreckt und verhält sich wie ein Tier. Sprechen kann sie nicht und bei Annäherung schlägt sie um sich. Da niemand weiß, wohin mit dem Wildfang, wird die Jugendliche ins nächste katholische Mädchenheim abgeschoben. Der verantwortliche Bischof (Bryan Batt, Mad Men) sieht in der Zähmung des Mädchens allerlei Chancen und will ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft aus ihr formen. Doch da hat er die Rechnung ohne die ebenfalls wilde Mutter (Polyanna McIntosh, The Walking Dead) gemacht. Diese ist nämlich bereits auf der Suche nach ihrem entlaufenen Sprössling …
Der (heilige) Schein trügt
Originaltitel | Darlin’ |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Coming of Age, Horror |
Regisseur | Polyanna McIntosh |
Cast | Darlin’: Lauryn Canny Die Frau: Pollyanna McIntosh Tony: Cooper Andrews Der Bischoff: Bryan Batt Mona: Eugenie Bondurant |
Laufzeit | 100 Minuten |
Es ist naheliegend, dass Polyanna McIntosh für ihr Regiedebüt die Fortsetzung jenes Films in Angriff nahm, der ihr als Schauspielerin viele Lorbeeren einbrachte. Um das abzurunden, stammt auch das Drehbuch von ihr und sie schlüpft zudem erneut in ihre Rolle als namenslose Frau. Zwar spielt sie hier nur die zweite Geige, kann ihren zuvor etablierten Charakter allerdings minimal weiterentwickeln. Denn die Rolle einer Mutter bringt nun mal per Definition noch ein paar weitere Facetten mit sich, welche man allerdings nicht zwingend benötigt hätte. Nachdem in The Woman eine typische Vorzeigefamilie dekonstruiert wurde, kriegt dieses Mal die Kirche einen drauf. Bischöfe und Nonnen als Gutmenschen? Pah, von wegen! Wo Zucht und Ordnung zur Tagesroutine gehören, kann nur rebelliert werden. Dabei wird die bewährte Formel wiederholt: Während der Wildfang häufig unerwartet menschliche Züge aufweist (mit denen man als Zuschauer eben doch schneller sympathisiert), sind die augenscheinlich kein Wässerchen trübenden Glaubensmitglieder alles andere als vertrauenswürdig. Fraglich ist nur (wieder), ob das alleine die Gewalt rechtfertigt, mit der hier vorgegangen wird, doch das ist Geschmackssache. Letztlich ist es auch immer ein einfacher Grund, religiösen Wahn als Treiber für irre Handlungen vorzuschieben (vgl. St. Agatha).
Weibliche Energie, ganz in der Tradition der Reihe
Während The Woman ein Plädoyer der unterdrückten Frau ist, die einmal durch die Hölle muss, um ihrem Schicksal zu entrinnen, bringt auch der Nachfolger starke Frauenfiguren hervor. Denn die aufgebrachte Mutter findet Unterschlupf bei einer obdachlosen Frauenclique (angeführt von Eugenie Bondurant als Mona), die mit ihr eines gemeinsam hat: Beide Parteien wissen wie es ist, von der Gesellschaft verstoßen zu leben. Hinzu gesellt sich das starke Band zwischen Mutter und Tochter. Denn dessen Stärke entspringt der natürlichen Liebe einer Mutter, egal wie viel (oder wenig) Mensch in ihr steckt. Die Sternstunden gehören allerdings Lauryn Canny, der es gelingt, die langsame Verwandlung ihrer Figur vom Wildling zur gottesgläubigen jungen Frau auf eine gelungene Weise zu vermitteln. Das liegt auch daran, dass blutige Szenen pointierter gesetzt werden als in The Woman und es Canny gelingt, die Körpersprache ihrer Mutterfigur zu adaptieren.
Holpriges Debüt
Auffällig an McIntoshs Debüt sind vor allem kleinere Anfängerfehler, die sich eingeschlichen haben. Etwa wenn eine der obdachlosen Frauen in einer Einstellung den Arm ausstreckt und eine von einer Tüte ummantelte Flasche in der Hand hält, in der nächsten Einstellung aber die Tüte an einer anderen Stelle hängt und die Flasche an einer anderen Stelle gepackt wird, obwohl sich der Arm nicht bewegt hat. Auch das Drehbuch hinterlässt einen wenig ausgereiften Eindruck. Die Geschichte wechselt zwischen A-Plot (Darlin’) und B-Plot (Darlin’s Mutter) hin und her, fügt beide mittels Flashbacks zusammen und zaubert einige unerwartete Unterstützer aus dem Nichts hervor. Dazu gehören nicht nur die obdachlosen Frauen, sondern auch der kirchenkritische Tony (Cooper Andrews, The Walking Dead), dem aufgrund seiner Homosexualität eine Adoption verweigert wurde. All diese Momente mögen für sich stehend funktionieren, jedoch gelingt es McIntosh nicht, sie zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
Fazit
Unterm Strich bleibt Darlin’ eine Coming-of-Age-Gesellschaftssatire, die weder einen wichtigen Genrebeitrag leistet, noch die ursprüngliche Geschichte im Besonderen fortsetzt. Letztlich ist der Ausgang der Geschichte bekannt und die einzig interessante Frage ist, wie blutig wohl die Befreiungsaktion Darlin’s aus den Händen der Gottesgläubigen wird. Als ernstzunehmende Kirchenkritik fehlt es an Biss und differenzierter Betrachtung und so bleibt eben nur noch der Female Energy-Stempel, der immerhin mehr als ausreichend bedient wird. Dass wenigstens das funktioniert, ist dem satirischen Unterton zu verdanken. Empfehlenswert ist der Drittling ausschließlich Fans der Vorgänger und jenen, die den (irgendwie vorhandenen) Knuffigkeitsfaktor der unbeholfenen, aber stets entschlossenen Frau zu schätzen wissen.
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