Crawl
Manchen Tieren möchte man einfach nicht in freier Wildbahn begegnen – und schon gar nicht in den eigenen vier Wänden. In Crawl lässt Regisseur Alexandre Aja (High Tension) die Alligatoren los. Ganz anders als in seinem 2010er Trash-Horror Piranha 3D geht es in Crawl geradezu todernst zu: Der Film kommt ganz ohne Selbstironie aus und überrascht mit einer dichten Inszenierung. Dennoch handelt es sich um keinen reinrassigen Horror-Titel, sondern um einen waschechten Genre-Mix: Katastrophenfilm trifft auf Tierhorror.
Als der Hurrikan Wendy mit all seiner Gewalt auf die Westküste Floridas zusteuert, befindet sich Dave (Barry Pepper, Lone Ranger) in einem alten Familienanwesen, das er zum Verkauf fertigmachen möchte. Als seine Tochter Haley (Kaya Scodelario, The Maze Runner-Trilogie) ihn nach zahllosen unbeantworteten Anrufen nicht erreichen kann, bricht sie zu dem Anwesen auf und findet Dave bewusstlos im Keller des Hauses wieder. Doch kaum sind Vater und Tochter vereint, bricht die Katastrophe über beide ein, denn das aufsteigende Wasser beginnt den Keller zu überflüten und bringt einige ausschwärmende Reptilien mit sich …
Die zerstörerische Kraft eines Hurrikans
Originaltitel | Crawl |
Jahr | 2019 |
Land | USA |
Genre | Thriller, Horror |
Regisseur | Alexandre Aja |
Cast | Haley: Kaya Scodelario Dave: Barry Pepper Beth: Morfydd Clark Wayne: Ross Anderson Pete: Jose Palma |
Laufzeit | 87 Minuten |
FSK |
Mit High Tension verewigte Alexandre Aja sich in den Köpfen der Horrorgemeinde und sorgte auch mit seiner 2006er Produktion The Hills Have Eyes – Hügel der blutigen Augen für Aufsehen. Danach war erst einmal Schluss für ihn mit höheren Budgets und so produzierte er unter anderem den Independent-Streifen Horns mit Daniel Radcliffe. Mit Sam Raimi (Evil Dead) als Produzent an der Seite ging es auch auf der Budgetleiter wieder nach oben: Bei Produktionskosten von 13,5 Millionen US-Dollar konnte der Film schließlich mehr als das Sechsfache erwirtschaften und zählt damit zu den rentabelsten Filmen des Horrorjahres 2019. Zumindest aus Sicht des Casts und der Schauplätze nachvollziehbar: Alles bleibt ziemlich minimalistisch und überschaubar. Zwei Hauptfiguren, eine Hand voll Nebendarsteller, ein paar geschlossene Räume und viel Wasser. Das sind die Bestandteile der Dreharbeiten. Die Special FX beschränken sich auf die Alligatoren, denn gedreht wurde überwiegend in echtem Wasser und echtem Schlamm, was dem Flair insgesamt zu Gute kommt.
Vorsicht, bissig!
Aja gilt als Meister der Spannung und stellt auch in Crawl unter Beweis, dass er es versteht, den Zuschauer unter Spannung zu setzen. Dafür benötigt er nicht mehr als ein paar scheinbar ausweglose Situationen und ein überschaubares Maß an Jumpscares. Ehe er seine hungrigen Alligatoren loslässt, bleibt aber Zeit, um die Figuren Haley und Dave zu charakterisieren. Eine auseinandergelebte Familie stellt sicherlich nicht den Höhepunkt an Innovation dar, andererseits muss man sich im Horror-Genre bekanntermaßen mit jeder Annäherung, dem eigenen Personal etwas Tiefe zu verleihen, zufriedengeben. So wird das alte Familienanwesen schließlich Sinnbild der Familiengeschichte, aus der es sich freizubuddeln gilt. Zum Glück verschwendet Aja keine Zeit mit Andeutungen: Während manch anderer Regisseur die Tiere erst einmal nur andeuten oder gar die Kameraperspektive aus Sicht der Tiere einstellen würde, dauert es nicht lange, bis der erste Reißer durch die Wand kracht.
Verschmerzbare Logikschwächen
Mit zunehmendem Wasserspiegel macht sich auch die durch die Enge der Räume und überall herumschwimmenden Alligatoren entstehende Klaustrophobie breit. Ein sicherer Platz bietet sich einfach nirgendwo und dann müssen Dave und Haley auch noch irgendwie dafür sorgen, von den Fluten nicht getrennt zu werden. Das Herzstück des Films bilden die Alligatoren. Diese werden als flinke und mächtige Wesen dargestellt, deren Killerinstinkt durchaus nicht davor Halt macht, auch bei Hauptfiguren erbarmungslos zuzuschnappen. Das Verhalten der Reptilien ist nicht immer nachvollziehbar, was auch für den Einsatz deren Kräfte gilt. Mit der Logik nimmt es Crawl nicht ganz so eng, aber übel nehmen kann man dies der Produktion nicht.
Hintergrundgeschichte mit Luft nach oben
Kaya Scodelario und Barry Pepper holen das meiste aus ihren Figuren heraus und vor allem Scodelario glänzt mit ihrer Physis. Kein Wunder, wird ihre Figur auch als Leistungsschwimmerin eingeführt (wie der Zufall es so möchte), zudem entwickelt Haley einen beispiellosen Ehrgeiz, um aus der Flut zu gelangen. Keine Charaktere, über die man sich sonderlich ärgert oder denen man Schlechtes wünscht. Trotzdem will das Familienspiel der Drehbuchautoren Michael und Shawn Rasmussen nicht so recht zünden. Dass der Streifen Haley in den ersten Minuten als Schwimmtalent etabliert, spielt natürlich in ihrem Kampf ums Überleben eine wichtige Rolle. Auch diese Entwicklung sieht man lange vorher kommen.
Fazit
Crawl kennt keine Pause und bietet ab dem ersten Alligatorkontakt nonstop Action ohne Verschnaufpause. Die beiden Hauptfiguren werden mit einer doppelten Portion Glück ausgestattet, denn die ausweglosen Situationen und die eigentlich starken Verletzungen sorgen in der Handlung für weniger Beeinträchtigung, als die Realität es wohl täte. Das Fernbleiben lästigen Humors kommt der Atmosphäre des Films zu Gute. Aja lässt sich nicht dazu verleiten, die niedrig hängen Früchte zu pflücken, sondern bugsiert seinen Film von Anfang bis Ende voller Ernst durch.
© Paramount