Coco – Lebendiger als das Leben!

Bereits bevor Coco – Lebendiger als das Leben! in den Kinos anlief, war die Aufregung groß. Das lag weniger an dem Film selbst, als vielmehr an dessen Vorfilm Die Eiskönigin: Olaf taut auf, der nicht nur mit einer Laufzeit von 20 Minuten auftrumpft, sondern auch eine Moral aufzuweisen scheint, welche im völligen Widerspruch zum Hauptfilm wahrgenommen werden könnte. Ob dieser moralische Widerspruch nun wirklich besteht oder nicht, soll hier nicht geklärt werden. Fakt ist: Der neue Disney-Pixar-Titel hat sich sowohl aus finanzieller aber insbesondere auch inhaltlicher Perspektive für den Konzern gelohnt. Zum einen ist der Tod das übergeordnete Thema, zum anderen ist der Film auch kulturell aufgeladen. Der Anlass der Geschichte ist ein mexikanischer Feiertag: der “Tag der Toten”.

   

Miguel ist 12 Jahre alt und lebt in Mexiko. Seit sein Urgroßvater einst Frau und Kind verlassen hat, um seine Musikerkarriere auf Spur zu bekommen, ist musikalische Betätigung jeder Art in der Familie verpönt. Ausgerechnet hierfür brennt Miguels Herz, denn er verspürt eine besondere Beziehung zu Musik. Ginge es nach seinen Eltern und der strengen Großmutter Abuelita, würde Miguel der Familientradition folgen und einen Weg als Schuhmacher einschlagen. Miguel sträubt sich innerlich davor und schaut lieber heimlich die alten Filme des toten Superstars Ernesto de la Cruz und lässt sich von dessen Hits dazu inspirieren, selbst Gitarre zu üben. Heimlich will er an einem Talentwettbewerb teilnehmen und durch eine Abfolge unglücklicher Ereignisse landet Miguel zusammen mit dem streunenden Hund Dante im Reich der Toten. Damit er wieder zurückkehren kann, ist der Segen eines verstorbenen Familienmitglieds notwendig. Die Krux: Seine verstorbene Uroma Imelda will die Vertragsbedingungen ändern und gewährt ihm die Rückkehr nur unter der Voraussetzung, dass Miguel der Musik abschwört. Miguel will das nicht akzeptieren und macht sich auf die Suche nach seinem verstorbenen Idol…

Disney geht einen weiteren Schritt in Richtung Diversität

Zwischen dem 31. Oktober bis zum 2. November wird in Mexiko Dia de los muertos (der Tag der Toten) gefeiert. Ein Fest, welches die innige Verbundenheit mit den Verstorbenen zum Ausdruck bringt und von UNESCO auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde. Während Allerheiligen in Deutschland vor allem als Feiertag wahrgenommen wird, fällt dem Totenfest in Mexiko eine ganz andere Bedeutung zu, welche ganz in der Tradition Disneys steht: Die Unverwundbarkeit familiärer Bindungen und das weit über das Leben hinaus. Dafür sind die Animationskünstler von Pixar unter der Regie von Lee Unkrich (Toy Story 3) tief in die mexikanische Kultur abgetaucht und haben sich im Vorfeld durch Reisen und Gespräche intensiv mit Land und Menschen auseinandergesetzt. Auch war für die Bewahrung des authentischen Flairs wichtig, nur auf Sprecher mit mexikanischem Hintergrund zurückzugreifen, womit der Unterhaltungskonzern einen weiteren Schritt in die Diversität wagt.

Tradition vs. Individualität – das alte Spiel

Originaltitel Coco
Jahr 2017
Land USA
Genre Abenteuer, Drama, Comedy
Regisseur Lee Unkrich, Adrian Molina
Cast Miguel: Anthony Gonzalez / Pablo Ribet-Buse
Ernesto de la Cruz: Benjamin Bratt / Heino Ferch
Héctor: Gael García Bernal / Karlo Hackenberger
Mamá Coco: Ana Ofelia Murguía / Luise Lunow
Abuelita: Renée Victor / Ulrike Lau
Papá: Jaime Camil / Patrick Winczewski
Mamá : Sofía Espinosa / Dina Kürten
Laufzeit 105 Minuten
FSK

Die Prämisse der Geschichte ist allerdings wesentlich formelhafter ausgefallen. Der Konflikt Tradition vs. die Erfüllung eigener Träume ist märchenhafter Stoff, der bereits in vielen Filmen Verwendung fand. Miguel bricht mit seiner Familie und deren Tradition, um auf eigenen Beinen zu stehen. Das ist die Grundvoraussetzung, die an sich nicht weiter vertieft wird. Denn Miguel ist als Hauptfigur trotz aller Zuneigung, die man seiner inneren Revolution entgegenbringt, ein natürlicher Sympathieträger ohne weitere Persönlichkeitszüge. Seine Einstellung als Ausgangslage reicht aus, um seine Geschichte zu erzählen. Sein späterer Begleiter Hector kommt dagegen leider zu kurz, obwohl er eine komplexere Hintergrundgeschichte mitbringt als Miguel. Somit rückt nur noch Superstar Ernesto in den Spotlight, welcher jedoch in grobe Strukturen gepresst wird, um die Geschichte funktionieren zu lassen. Dadurch bringt Coco – Lebendiger als das Leben! zwar sympathische, aber vergleichsweise flachere Figuren hervor als beispielsweise Die Eiskönigin oder auch Alles steht Kopf.

Viel Fingerspitzengefühl

Die Zeit, die für Charakterzeichnung wegfällt, wurde dafür umso sinnvoller in die Ausstattung gesteckt. Der heimliche Star des Films ist die eindrucksvolle Umgebung, die das schwere Thema des Todes in warmen, nahezu poetischen Farben und feinster Verspieltheit auffängt. Der Tod wird hier als etwas Melancholisches beschrieben, das als großes, übergeordnetes Thema wesentlich prägnanter ausfällt als die schon oft gesehene Coming-of-Age-Routine Miguels. Die in der Gegenwart angesiedelten Probleme verkommen zur Kleinigkeit, wenn das große Ganze um die Familie betrachtet wird. Sicherlich ist das auch eine von vielen moralischen Botschaften des Films und doch bieten die tiefen Falten von Oma Coco mehr Emotionen und echtes Drama als Miguels Musikerkonflikt. Störend fällt das nicht ins Gewicht, weil dafür an anderer Stelle viel Fingerspitzengefühl zum Einsatz kommt. Mit seiner FSK0 ermöglicht Coco – Lebendiger als das Leben! jedem Zuschauer Zugang zu einer Geschichte über Leben und Tod. Hierfür wurde mit einer in leuchtenden Farben gehaltenen Brücke zwischen den beiden Welten ein Sinnbild gefunden, das den Schwebezustand zwischen Leben und Tod zu einem Animationswunderwerk macht, welches die schwierige Thematik nicht unnötig ins Kitschige zerrt. Dafür sorgen auch die sonst eher geerdeten Farbtöne, die durch die vielen Lichter ein wohliges Gefühl erzeugen. Damit der Mexiko-Ausflug möglichst stilecht ausfällt, wurde ein stimmungsvolles Setting entwickelt, welches nicht nur typisch mexikanische Architektur, sondern auch Lebensart, Kostüme und entsprechendes Essen berücksichtigt. Für die musikalische Authentizität sorgt Oben-Oscarpreisträger Michael Giacchino, der einen Soundtracker voller Marimba-, Guitarrón- und Gitarrenstücke entwarf, welche das Flair maßgeblich mitprägen. Ohnehin darf ein Film, der Musik als Herzenswunsch einer Hauptfigur trägt, nicht musikarm ausfallen. Deshalb gibt es auch zahlreiche Gesangsstücke, wenngleich ein chartverdächtiger Hit à la “Let it go” nicht dabei ist.

Coco – Lebendiger als das Leben! präsentiert sich als nachdenkliches, aber zugängliches Abenteuer, welches stilistisch bis ins Detail ausgearbeitet ist. Hierbei handelt es sich um eine der emotionalsten Disney-Geschichten, die jeden, der sich einmal mit dem Thema Verlust auseinandergesetzt hat, in irgendeiner Weise erreichen wird. Dass der abenteuerliche Part nicht ganz so aufregend ausfällt und auch die Figuren nicht aus der Masse hervorstechen, ist angesichts der liebevollen Inszenierung mehr als verziehen. Auf emotionaler Ebene ist Coco – Lebendiger als Leben! ganz großes Kino und hat es in meiner Gunst geschafft, Die Eiskönigin als liebsten Disneyfilm abzulösen.

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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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