Charlie Says
Der Mord an Hollywood-Ikone Sharon Tate ist 2019 wieder in aller Munde. Ein 50. Jahrestag ist immer ein Anlass, um unvergessene Geschichten neu aufleben zu lassen, Artikel zu füllen und natürlich auch Filme zu drehen. Mit The Haunting of Sharon Tate und vor allem Quentin Tarantinos Once Upon A Time In Hollywood drängen Produktionen auf den Markt, welche die schillernden Facetten der längst zur Popkultur zählenden Manson Family rund um Charlie Manson auf ihre Weise darlegen. Die mit der Verfilmung von American Psycho berühmt gewordene Mary Harron hat ebenfalls einen Beitrag zu diesem Thema parat: Ihr feministischer Gegenentwurf Charlie Says wird aus der Perspektive der Manson-Anhängerin Leslie Van Houten erzählt und rückt den einst charismatischen Sektenführer in ein kritisches Licht.
Leslie Van Houten (Hannah Murray, Goldy aus Game of Thrones), Patricia Krenwinkel (Sosie Bacon, Scream) und Susan Atkins (Marianne Rendón, Gemini) sitzen im Gefängnis. Alle drei sind Mitglieder der Mansion Family und wurden jüngst durch die Abschaffung der Todesstrafe in Kalifornien begnadigt. Sie alle fühlten sich einst ungeliebt und nicht in der Gesellschaft angekommen, bis sie dem Charme von Charles Manson (Matt Smith, Doctor Who) verfielen. Angesprochen durch dessen Revolution gegen die Gesellschaft Hollywoods und der Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse machte er verblendete Mörderinnen aus ihnen. Was verleitet junge Frauen, sich in eine solche Abhängigkeit zu begeben?
Zwischen Idealisierung und Zweifeln
Originaltitel | Charlie Says |
Jahr | 2018 |
Land | USA |
Genre | Crime, Drama |
Regisseur | Mary Harron |
Cast | Leslie Van Houten: Hannah Murray Mary Brunner: Suki Waterhouse Sharon Tate: Grace Van Dien Charles Manson: Matt Smith Karlene Faith: Merritt Wever Virginia Carlson: Annabeth Gish Tex Watson: Chace Crawford Patricia Krenwinkel: Sosie Bacon |
Laufzeit | 104 Minuten |
FSK |
Für eine mediale Ausschlachtung sind Serienkiller in der Regel während ihrer Taten spannend. Anschließend stellt man die Frage nach der Vergangenheit und wie es dazu kommen konnte. Was danach geschieht, endet meist mit der Gerichtsverhandlung und einer finalen Urteilsverkündung. Das Buch The Long Prison Journey of Leslie Van Houten: Life Beyond the Cult von Karlene Faith befasst sich mit dem Leben der Leslie van Houten, vor allem während der Zeit ihres Gefängnisaufenthalts. Die damals 20-Jährige sitzt seitdem für ihre Morde ein. Charlie Says beleuchtet ihren Werdegang vom Teenager zur Beteiligten an einer ganzen Mordserie. Diese furchtbaren Taten sind nicht nur den Zweifeln des Mädchens an sich und ihrer Umwelt geschuldet, sondern auch ganz entscheidend der Manipulationen durch Charles Manson. Dieser ist zunächst nur ein attraktiver Gitarrenguru. Doch mit der Zeit entpuppt er sich als Rassist und Fanatiker. Diese beiden Bilder auseinander zu dividieren ist kein Leichtes und den Mädchen gelingt dies letztendlich nicht.
Fragmentierte Erzählweise
Die Handlung von Charlie Says findet non-linear statt. In Flashbacks wird Leslies Vergangenheit aufgearbeitet. Das geschieht durch Gespräche mit einer Gefängnispsychologin (Merrit Wever), in denen feministische Literatur zum Einsatz kommt, um die Ideologie von Charles zu hinterfragen. Anders als in anderen biografischen Filmen wie etwa Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile bleibt die Regisseurin nicht sachlich-nüchtern, sondern inszeniert einen Schmähfilm. Charles Manson wird als das Monster dargestellt, als welches er im Nachhinein von der Welt gesehen wird. Menschen- und frauenverachtend, gewaltandrohend und radikal. Die romantische Verklärtheit findet ein rasches Ende, und auch die süßlichen Lieder verstummen irgendwann und werden gegen tristen Gefängnisalltag getauscht. Einen wirklichen Ausweg aus der Hippie-Kommune gibt es nur ein einziges Mal im gesamten Film, und angesichts der Realität ist auch bekannt, dass dieser nicht genommen wird. Die historischen Begebenheiten spielen nur am Rande eine Rolle: Sharon Tate wird erst spät auf einem Fernseher und in einer kurzen Mordszene gezeigt, ebenso ihre Nachbarn, die La Biancas. Diese Szenen sind kurz gehalten und reizen den Gewaltgrat nicht aus. Drehbuchautorin Guinevere Turner verschließt nicht die Augen vor den Tatsachen, will sich aber nicht länger als nötig mit Morden aufhalten.
Bitte keine Sympathien aufbauen
Hannah Murray hat die Rolle des verunsicherten Mädchens bereits in Game of Thrones gepachtet und spielt diese Karte auch in Charlie Says glaubhaft aus. Ihre beiden Freundinnen Patricia und Susan werden weit weniger präsent verkörpert, sodass schließlich nur Matt Smith einen Gegenpol bietet. Sein Charles Manson erfüllt alle Anforderungen, die man an die Rolle eines charismatischen Führers haben kann, der die Frauen glaubhaft um den Finger wickelt, um sie zu instrumentalisieren. Murray bekommt zwar genügend Szenen zugesprochen, um sich von ihrer sensiblen Seite zu zeigen. Darüber hinaus verhindert das Drehbuch jegliches Sympathisieren mit irgendeiner der Figuren. Angesichts der Hintergründe eine nachvollziehbare Entscheidung, filmisch fällt es umso schwerer, einen Bezug herzustellen. Damit fällt Charlie Says distanziert und auf eine gewisse Weise auch unpersönlich aus. Mit betäubender Wirkung: Autorin und Regisseurin gehen den Bedürfnissen ihrer Hauptfigur nicht nach und lassen den Zuschauer mit einem unausgegorenen Gefühl zurück.
Fazit
Charlie Says rückt mal nicht Charles Manson oder Sharon Tate in den Mittelpunkt, sondern Charles Anhänger. Eine willkommene Abwechslung innerhalb Hollywoods dunkelsten Kapitels. Es dauert seine Zeit bis der Film ins Rollen kommt und selbst dann geht es eher gemächlich zu. Die vielen Fragmente, aus denen sich die Geschichte zusammensetzt, lassen sich ohne Mühen zusammensetzen und ergeben ein großes Ganzes, das eher im Coming-of-Age-Genre anzusiedeln ist. Biografie hin oder her: Leslies Verletzbarkeit, erste sexuelle Annäherungen, Euphorie und schließlich Verblendung entsprechen einer stufenweise Erzählung. Im Zuge der vielen Verfilmungen der Manson Family wird nichts hinzugefügt, was nicht bereits bekannt ist, nur die Perspektive ist eine andere. Insofern stellt der Film für alle mit morbider Faszination eine kleine Bereicherung dar, ist als Coming-of-Age-Drama aber viel zu träge und unpersönlich erzählt.
© Koch Films