Peter Grant (Band 8): Ein weißer Schwan in Tabernacle Street

Peters letztes Roman-Abenteuer sorgte nicht nur dafür, dass unser Lieblings-Bobby suspendiert wurde, sondern trug auch mit sich, dass er einen langjährigen Fall ad acta legen konnte. Daher war die Frage groß, was die lesende Gemeinschaft nach Die Glocke von Whitechapel erwarten würde. Am 23. Oktober 2020 folgte Ben Aaronovitchs Antwort in dem nunmehr achten magischen Ausflug nach London: Ein weißer Schwan in der Tabernacle Street. Diesmal muss sich unser Zauberlehrling mit seinem nicht nur technischsten, sondern auch seinem nerdigsten Fall befassen. Dafür darf er sich als Undercover-Agent in ein hochmodernes Cyber-Unternehmen einschleusen und herausfinden, ob der Erschaffer einer künstlichen Intelligenz auch hinter dem magischen Diebstahl steckt. Während Peter damit alle Hände voll zu tun hat, darf sich sein Autor darüber freuen, dass der achte Streich sofort in die Spiegel-Bestsellerliste einstieg. Doch die bibliophile deutsche Leserschaft ist wenig begeistert über die Formatänderung.

Trotz seiner Suspendierung hat Zauberlehrling Peter Grant keine Langeweile. Schließlich erwarten er und seine Freundin Beverley Brook Zwillinge, doch anstatt seine Zeit mit dem Einmassieren der Füße seiner Liebsten zu verbringen, darf Peter der Spur eines Diebstahls nachgehen. Ein Notenbuch für eine elektrische Orgel wurde auf magische Weise entwendet und dieses stammt von Ada Lovelace höchstpersönlich. Als wenn dieser Teil ihn nicht schon in die Welt der ersten Computer entführt, dann darf sich Londons Zauberer ab seinem Besuch bei der Serious Cybernetics Corporation (SCC) mit den kleinen Wundermaschinen befassen. Sein Ziel: Silicon Valley-Star Terrence Skinner. Der hat nicht nur Dreck am Stecken, was das Wandern großer Geldsummen angeht. Wie es scheint, geht auch hier auf magische Weise etwas vor. Da Peter an diesen jedoch nicht so einfach herankommt, schleust ihn die Polizei als Undercover-Agent in die Firma ein. Wie ein Anhalter in eine andere Galaxie …

Technik …

Originaltitel False Value
Ursprungsland Großbritannien
Jahr 2020
Typ Roman
Band 8 / ?
Genre Urban Fantasy, Krimi
Autor Ben Aaronovitch
Verlag dtv
Veröffentlichung: 23. Oktober 2020

Ein wenig fies startet Ein weißer Schwan in der Tabernacle Street, denn Peter führt ein Bewerbungsgespräch bei Tyrel Johnsen, dem Sicherheitschef von SCC. Dabei klingt es so, als würde unser Held seine Bobby-Laufbahn endgültig an den Nagel hängen. Da kann einem das Herz schon einmal in die Hose rutschen! Doch schnell kommt die Entwarnung, dass Peter seinen Job zu sehr liebt und diesen diesmal nur auf einem anderen Wege tut. Dabei wird es vor allem extrem technisch. Der Autor entführt uns nicht nur auf die interessanten historischen Fußstapfen der ersten Computer und dessen Vorreiter, sondern auch auf die aktuellen technischen Möglichkeiten und Ziele. Dabei überzeugt vor allem, dass Aaronovitch intensiv recherchiert hat, denn nicht nur die geschichtlichen Eckdaten sind fundiert, sondern auch was zum Beispiel ein 3D-Drucker aktuell bewerkstelligen kann.

… trifft Magie

In diese technische Welt fließen die magischen Begebenheiten zusätzlich ein. Denn die Spur des gestohlenen Notenbuchs führt uns schnell auf die Fersen eines anderen ausländischen Praktizierenden und damit in die Welt der New Yorker-Magier: Den Librarians (gewollte Serienanspielung!). Stephen Higgins stellt dabei ein abwechslungsreiches Gegenstück zu Peter dar. So ist sein Zauberlevel auf dem unseres Helden, doch da er nicht der Polizei und nicht einmal dem englischen Königreich angehört, stellt er sich die Welt noch einmal anders vor. Es ist interessant, von seinen Erfahrungen zu hören. Ein Ausgleich dafür, dass sonst alle anderen magischen Wesen in diesem Band keine große Rolle spielen. Nicht einmal die Flüsse sind diesmal sehr aktiv, von Beverleys Flussreinigungs-Party einmal abgesehen. Allgemein spielt die Magie eher eine untergeordnete Rolle, was schade ist.

Ist Peter nicht Zauberlehrling?

Natürlich gibt es eine Handvoll magischer Duelle oder zumindest ein Einsatz irgendeines Zaubers. Doch irgendwann stellt sich der Lesende zurecht die Frage, ob der Autor auf die Lehrlingslaufbahn noch eingeht? Unglücklicherweise bleiben da die Wünsche in Ein weißer Schwan in der Tabernacle Street unerfüllt und auch sonst ist im Bereich der Magie weniger los. Gerade ein Aufeinandertreffen von Chef und Zauberlehrer Thomas Nightingale mit einer anderen hohen Praktizierenden hätte phänomenal werden können, bleibt dann am Ende nur auf dem Niveau: Ganz nett. Von dem eher unspektakulär schnell beendeten Finale einmal abgesehen, wären überall ein paar Seiten mehr wünschenswert. Denn auch Peter selbst durchläuft keine sonderliche Wandlung in dem Band. Dabei kommen einige interessante Gespräche zustande, gerade das Thema Heiraten oder Beverleys Machtmissbrauch, wie ihn unser Held immer wieder bemerkt, allerdings gibt es bei beiden keine endgültige Entscheidung.

Das sieht im Regal nicht so toll aus!

Ganz schön groß! Das dürfte für einige wohl die erste Einschätzung des achten Bandes sein. Ein weißer Schwan in der Tabernacle Street ist nämlich kein süßes, kleines Taschenbuch mehr, sondern stockte in die Liga der Paperbacks auf. Die schicke vordere Karte bildet leider das einzige wirkliche Highlight dieser Änderung, denn schon am neuen, leicht geänderten Cover-Design scheiden sich die Geister. Doch eher ärgerlich ist die Platzverschwendung. Trotz mehr Papierfläche steht auf den Seiten nicht mehr Text, Schriftgröße ist auch nicht verändert, daher wirken die Seiten recht leer, was angesichts des Preises ein unschönes Gefühl erwecken kann. Vor allem aber, weil langjährige Sammelnde (wie die schreibende Redakteurin) nun vor einem nicht mehr perfekten Bild im Buchregal stehen. Es bleibt zu hoffen, dass der Verlag später eine weitere Auflage im gewohnten Format herausbringt.

Fazit

Im Grunde gibt die Symbolik des Schwans im Titel schon einen passenden Hinweis auf den Inhalt des achten Bandes der Peter-Grant-Reihe. Denn ist Skinner wirklich der böse Bube oder doch nur ein Unschuldiger? Genau dem muss unser Held in einem aufwendigen Fall nachkommen, ohne seinen neuen Kollegen emotional zu nahezukommen. Diebstahl, Geldwäsche, ein Attentat und ein Fall in Amerika ‒ hier bietet die Geschichte auf Ermittlerebene wirklich viel. Trotzdem gibt es andere Schwachstellen, die dem Lesevergnügen doch Einhalt gebieten. Denn so entwickelt sich Peter auf all den Seiten nicht wirklich weiter, trotz der veränderten Familienlage und den dazugehörigen Themen, wie eine Hochzeit. Mit dem New-Yorker-Magierbund bekommen wir eine neue Facette der zaubernden Welt. Jedoch ist es schade, dass weder die Flüsse noch sonstige Wesen eine sehr große Rolle spielen. Was besonders ärgerlich ist, dass man sich die Comic-Reihe nicht entgehen lassen darf, um bei dem Roman noch wirklich alles verstehen zu können. Insgesamt wartet Ein weißer Schwan in der Tabernacle Street mit einem wirklich spannenden Fall auf, jedoch alle anderen Elemente, die die Reihe so lesenswert machen, vernachlässigte der Autor.

© dtv


Veröffentlichung: 23. Oktober 2020

Aki

Aki verdient ihre Brötchen als Concierge in einem großen Wissenstempel. Nie verlässt sie das Haus ohne Mütze, Kamera oder Lesestoff. Bei ihren Streifzügen durch die komplette Medienlandschaft ziehen sie besonders historische Geschichten an. Den Titel Sherlock Holmes verdiente sie sich in ihrem Freundeskreis, da keine Storywendung vor ihr sicher ist. Dem Zyklus des Dunklen Turms ist sie verfallen. So sehr, dass sie nicht nur seit Jahren jeden winzig kleinen Fetzen zusammensammelt. Nein, sie hat auch das Ziel, alles von Stephen King zu lesen.

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