Fairy Tale
Was passiert, wenn der Meister des Horrors, Stephen King (Billy Summers), ein Märchen schreibt? Endet dieses dann überhaupt mit “… und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage”? Wird hier das Böse mit einem Lächeln siegen oder nur angeschlagen im Dunkeln darauf lauern, erneut zuzuschlagen? Viele Fragen, die der am 14. September 2022 erschienene Roman Fairy Tale hoffentlich beantwortet. Wir gingen der Sache jedenfalls gleich nach und schnappten uns den über 800 Seiten starken Roman, den der Heyne-Verlage mit kryptischen Cover herausbrachte. Darin begleiten wir den Teenager Charlie auf eine abenteuerliche Reise in eine andere Welt, die er auf sich nimmt, um ein anderes Leben zu retten. Passend dazu beginnt unser ausführliches Review nun auch mit diesen Worten: Es war einmal …
… ein 17-jähriger Junge namens Charlie Reade, der seinem einsiedlerischen Nachbarn Howard Bowditch das Leben rettete. Dadurch lud er sich schnell eine große Bürde auf, die so nicht absehbar war. Dabei war Kummer schon oft ein ständiger Begleiter. Seine Mutter starb, als er noch sehr jung war, der Vater verfiel dadurch dem Alkohol und Besserung herrscht erst seit Kurzem. Doch mit seiner guten Tat lernt er zuerst einen interessanten alten Mann und vor allem dessen ältere Hündin Radar kennen. In dieses liebenswerte Tier verliebt sich Charlie sofort. Später erfährt er, dass im Schuppen hinter dem Haus ein Weg in eine andere Welt voller Gefahren und Schönheit führt. Und genau dahin muss der Junge reisen, denn es gibt ein Königreich, das er retten soll.
Ein Abenteuer in drei Akten
Originaltitel | Fairy Tale |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2022 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Fantasy, Drama |
Autor | Stephen King |
Verlag | Heyne |
Veröffentlichung: 14. September 2022 |
Ein Blick auf die Klassiker zeigt: Märchen sind brutal! Hexen, die in Öfen landen, Meerjungfrauen, die zu Schaum werden, und Wölfe, die in Brunnen fallen, sind da nur ein paar Beispiele. Warum sollte sich ein Stephen King diesem Genre also nicht zuwenden? Dabei wird in Fairy Tale schnell klar, dass der Autor ein langsam erzähltes Abenteuer präsentiert. In drei Abschnitten rollt sich die Geschichte auf. Dabei übernimmt vor allem der erste die wichtige Aufgabe, Charlie vorzustellen. Ein Junge, der schon früh viel durchmachte, deswegen sehr selbstständig ist und das Herz am rechten Fleck trägt, aber auch eine dunkle Seite versteckt. Eben ein sehr menschlicher Charakter. Er ist unser Ankerpunkt in einem Abenteuer, das nicht immer überzeugt.
Der beste Freund des Menschen
So wandelt die Geschichte unweigerlich auf den Spuren anderer Märchen und daher verwundert es nicht, dass Charlie ein Held sein muss, der einer wunderschönen Prinzessin das Leben retten sowie einem dunklen Herrscher ans Bein pinkeln muss. Übrigens: ein Job für die Hündin Radar. Die alte Dame spielt überraschenderweise eine sehr wichtige Rolle, denn sie ist krank. Allerdings besteht Hoffnung in Form einer magischen Sonnenuhr und so zögert Charlie nicht, seine Reise anzutreten. Dabei tickt die Uhr und die Geschichte vermag es sehr in ihren Bann zu ziehen. Schließlich schleicht sich auch dieses liebe Tier so in unser Herz, dass wir nicht anders können, als unserem Helden die Daumen zu drücken. King, der selbst eine Hündin besitzt – die berühmte Molly aka The Thing of Evil – kann hier aus dem Nähkästchen plaudern und das schafft er so gut, dass auch Menschen ohne Hund Anteilnahme empfinden.
Willkommen in Empis
Der Name der anderen Welt lautet Empis. Sie entpuppt sich als ein mittelalterliches Ebenbild der unseren, nur eben mit Magie, zwei Monden und einem tödlichen Fluch. Es mangelt nicht an interessanten Gegebenheiten in Fairy Tale. Allerdings nimmt die Geschichte eine Wendung, die ihr den Wind aus den Segeln nimmt und uns in einen zähen Abgrund führt, der mit haufenweise neuen Figuren aufwartet, von denen viele ein dramatisches Schicksal erwarten, das aber oft kaltlässt. Im Gegenzug schafft es die Geschichte jedoch, die Gegenseite so richtig hassenswert zu machen. Allen voran den ekeligen, bösen König muss Charlie aufhalten und genau diese Aufgabe baut sich nervenaufreibend auf. Jedoch schaffen wir es nicht an einigen Klischees und Vorhersehbarkeit vorbei.
Märchenhaft unkreativ
Wer schon in einige Geschichten Kings eintauchte, wird bei Fairy Tale nicht umhinkommen, dass sich das Wort unkreativ im Kopf bildet. Schließlich stoßen wir auf so viele Dinge, die der Meister schon häufig verwendete. So ist allein Charlie in bester Gesellschaft, denn vor ihm reisten schon Jake Chambers (Schwarz) und Jack Sawyer (Der Talisman) in andere Welten und genug Jungen freundeten sich mit älteren Herren an. Gerade Der Talisman fühlt sich wie eine Vorlage für dieses Buch an. Zum Glück gibt es dann aber doch genug Änderungen, sodass wir nicht von einem zweiten Aufguss reden müssen. Die eine oder andere Ähnlichkeit lesen wir hingegen gerne, denn wenn der Satz „Lange Tage und angenehme Nächte“ fällt, bildet sich ein Grinsen im Gesicht. Genauso wie Charlies Vergleich von Radar zu Kings berühmtem Monsterhund aus Cujo.
Fazit
Mit Fairy Tale bewegt sich Stephen King in keine neue Richtung. Viel eher benutzt er erneut viele ihm vertraute Elemente wie das Reisen in andere Welten, bestimmte Formen der Freundschaft und den Kampf eines Helden gegen das Böse, um ein bekanntes Bild zu schaffen. Während die Handlung nicht immer überrascht, das eine oder andere Klischee mitnimmt und sogar einen zähen Abschnitt aufweist, ist es die Figur Charlie, die vieles herausreißt. Ebenso der berührende rote Faden, einem kranken Tier zu helfen. Die Welt Empis weckt Abenteuerlust, denn einem fiesen Herrscher die Show zu vermiesen, das möchten wir doch alle gerne einmal tun. In gewohnt guter sprachlicher Manier leitet King durch diese Welt. So bleibt am Ende ein solides Leseerlebnis, aber kein großer Wurf übrig.
© Heyne
Veröffentlichung: 14. September 2022