Die Insel der Tausend Leuchttürme
Hildegunst von Mythenmetz ist wieder da! Seit Walter Moers sein literarisches Alter Ego, den schriftstellernden Lindwurm, 2011 am Ende des Romans Das Labyrinth der Träumenden Bücher in einem kolossalen Cliffhänger zurückließ, fiebern Fans auf eine Auflösung. Doch der Meister lässt sich Zeit. Zwar bastelt er weiter an seinem Erzähluniversum, dem Kontinent Zamonien, doch in den letzten Jahren kamen nur ein paar kleine, dünne Bändchen, quasi Fussnoten, dazu. Seit dem 6. September 2023 liegt mit Die Insel der tausend Leuchttürme wieder ein prächtig illustrierter 600 Seiten-Wälzer mit Neuigkeiten aus Zamonien in den Buchhandlungen. Doch anstatt den Spannungsbogen aufzunehmen, wo er seit zwölf Jahren in der Luft hängt, schreibt Hildegunst aus dem Urlaub. Seine wortreichen Briefe von der Insel Eydernorn werden von Walter Moers, der hier wieder bescheiden-kokett als nur als Übersetzer und Lektor des zamonischen Literatur-Schwergewichts auftritt, zu einem schrulligen Briefroman zusammenfasst.
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Ausufernde Abschweifungen, eine turmhohe Eitelkeit und ausgeprägte Hypochondrie gehören zum Persönlichkeitsprofil von Hildegunst von Mythenmetz. Und so bucht er wegen seiner lästigen Buchstauballergie einen Kuraufenthalt auf der Insel Eydernorn, bekannt für frische Seeluft und ein Lungensanatorium. Schon die Anreise per Schiff ist dramatisch, doch Hildegunst lebt sich auf pittoresken Insel, die nicht zufällig verblüffende Ähnlichkeit mit einem deutschen Nordsee-Eiland ganz ähnlichen Namens hat, gut ein und schreibt und schreibt und schreibt. Einen Brief nach dem anderen an seinen alten Freund Hachmed ben Kibitzer. Dass er nie eine Antwort erhält, ficht ihn nicht an und so berichtet er Brief um Brief über Land und Leute, Flora und Fauna, über Hummdudel und Küstengnome, Belphegatoren und Strandlöper. Und natürlich über die Leuchttürme der Insel, jeder von ihnen einzigartig und jeder von einem skurrilen Exzentriker bewohnt. Doch die Leuchttürme dienen nicht nur der Sicherheit der Seefahrt. So wie die wogenden Wolken am Himmel von Eydernorn weit mehr sind als ein Wetterphänomen.
Man kann eine Auster nicht mit einer Nudel öffnen
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Originaltitel | Die Insel der Tausend Leuchttürme |
Jahr | 2023 |
Ursprungsland | Deutschland |
Bände | 1 |
Genre | Fantasy |
Autor | Walter Moers |
Verlag | Penguin Verlag München |
Veröffentlichung: 6. September 2023 |
Eine eydernornische Volksweisheit und ein klassischer Moers. Verschroben, absurd, oder einfach nur albern? Jedenfalls eines der vielen kleinen, skurrilen Details, die unsere vertraute Welt in Moers‘ literarisches Universum Zamonien transferiert. In Die Stadt der Träumenden Bücher ging es um den Literaturbetrieb, übersetzt in eine Welt der Haifischmaden, Schrecksen und Natiftoffen. Der leider gefloppte zweite Band Das Labyrinth der Träumenden Bücher erzählt dem Leser alles über das Erblühen einer Filmindustrie in dieser magischen Welt. Was man über den deutschen Wald nur erzählen kann, findet sich in Ensel und Krete. Und nun eine Nordseeinsel, ins Zamonische übersetzt. Also Schietwetter und Fischbrötchen, Möwen und Tourismus-Nepp. Nur größer, phantastischer, wunderlicher. Hildegunst drückt sich vor den Anwendungen im Kurheim, besucht das Inselmuseum und den alten Friedhof, spaziert über die windgepeitschte Insel, gönnt sich einen Abend in einem teuren Fischrestaurant. Was man als Nordseetourist eben so macht. Doch seine ausufernden Schilderungen beleuchten jedes winzige, liebevoll ausgearbeitete Detail einer in sich stimmigen phantastischen Welt. „Das ist ja, wie wenn mein 80-jähriger Opa vom Urlaub erzählt“ schreibt ein unzufriedener Amazon-Kunde. Ja, schon. Aber hat Opa auch den Xylamander kennengelernt, den Schlickschneckerich, die Muschelmaus, die meergrüne Munke? Hat er die Stadt ohne Türen überlebt, von süchtig machenden Orkanbrot genascht, beim Kraaken Fieken gewonnen und am Ende die Welt gerettet? Der beliebte eydernornische Inselsport ist übrigens längst nicht so unanständig, wie man vermuten könnte, eher eine Form von Golf. Aber das ist eben der Unterschied zwischen Norderney und Eydernorn.
Mit der Quoped zu Tefrint de Bong
Liebe Kinder, lasst euch von euren Eltern bloß nicht ein Germanistikstudium ausreden. Selten hat Literaturwissenschaft so üppige Früchte getragen wie bei Walter Moers. Reich gemacht hat sie ihn auch. Wie auch in seinen früheren Werken kommt aus dem Grinsen nicht heraus, wer sich durch die europäischen Klassiker geschmökert hat. Der unbedarfte Leser findet den Namen Tefrint de Bong vielleicht bloß lustig. Der Germanist entdeckt da unschwer Gottfried Benn. Ein ertrunkenes Mädchen und junge Wasserratten sollten ein deutlicher Hinweis sein. Wenn Hildegunst auf einem Schiff namens Quoped durch den Orkan kreuzt, dann ist das schon spannend und atmosphärisch genug. Und der alte Jammerlappen wird nicht einmal seekrank. Gewiefte Leser können sich jedoch auf einige sichere Hausnummern freuen: einen Wal etwa, ein schwimmenden Sarg, einen Harpunier namens, vielleicht … Quegquig? Nicht alles davon löst Moers ein, aber die Leser von Moby Dick haben deutlich mehr Spaß. Das ist zwar so nerdy wie die Seriennummer von Darth Vaders Laserschwert zu kennen, aber da es Hochliteratur-Nerdtum ist, ist es damit quasi geadelt. Und Moers jongliert gekonnt und geistreich mit seinen Zitaten und Anspielungen, dass es nicht zur bloßen Ostereiersuche wie etwa in namhaften Sci-Fi-Franchises verkommt.
Ein Klimakatastrophen-Thriller?
Dieser Begriff geistert tatsächlich durch Moers-Rezensionen, denn Hildegunsts Kuraufenthalt bleibt nicht so beschaulich, wie die ersten paar hundert Seiten vermuten lassen könnten. Dann kippt das Genre von launigen Reisebericht zum waschechen Katastrophenfilm. Und der weltbedrohende Gegner ist ein bösartiges Wetterphänomen. Allerdings verzichtet Moers auf ein zerknirschtes „Daran sind nur wir alle schuld!“ Stattdessen muss Hildegunst Geheimnisse aufdecken, die wahre Funktion der Leuchttürme verstehen und dem Schurken Saures geben, wie es nur ein richtiger Actionheld kann. Und das einem übergewichtigen, hypochondrischen Lindwurm des Geistes, nicht der Tat! Wie in Die Stadt der Träumenden Bücher schlägt sich Hildegunst jedoch recht wacker, wenn er einmal nicht selbstverliebt plaudern kann, sondern rennen, springen, klettern, kämpfen muss. Und wie in anderen Moers-Büchern machen Monsterkampf und Weltuntergangs-Bombast richtig Spaß. Leider gibt es keinen Katastrophenfilm ohne Katastrophe. Wer sich den Kick gönnt, seine gerade liebevoll aufgebaute Welt untergehen zu lassen, der hat einen grandiosen Untergang, aber keine Insel mehr. Ach, menno.
Fazit
Ein bisschen unausgewogen kommt Die Insel der Tausend Leuchttürme schon daher. Der Action-Plot mit Geheimnissen, Explosionen und Weltuntergangsszenarien nimmt erst spät Fahrt auf. Bis dahin ergeht man sich in wunderbar verrückten Details über das Inselleben, was glücklich machen kann, aber keiner geraden Linie zu folgen scheint. Die Hinweise sind zwar da, aber an den Erstleser verschenkt. Dann macht es ziemlich schnell PUFF! und schon sind 600 Seiten vorbei. Wenn das nicht stört und wer von Sprachspielen, Literaturzitaten und ausufernder Detailverliebtheit gar nicht genug kriegen kann, für den ist der Preis für das Hardcover gut angelegt. Und wer jetzt mault, dass das viel zu teuer ist, der kann sich an einem regnerischen Novembernachmittag mal all die großartigen Bleistiftzeichnungen von Hildegunst, äh, Moers zu Gemüte führen. Die schmücken nicht nur den Erzähltext, man findet noch mal mehr davon in einem Anhang über eydernornische Zoologie. Das allein lohnt schon die Investition.
© Penguin Verlag Deutschland