Der kleine Herr Tod
Der Autor: ein ehemaliger Redakteur des Satiremagazins Titanic. Die Illustratorin: eine freischaffende Künstlerin, die mit der Konkurrenz Eulenspiegel zusammen arbeitet. Huiui. Doch wirft man diese beiden in einen Topf, kommt dabei keine Überdosis Satire heraus, sondern – ganz im Gegenteil – die gewichtige, aber trotzdem komische Suche nach dem Sinn von Leben und Tod. In Der kleine Herr Tod erzählt Christian Y. Schmidt die Geschichte eines kleinen Angestellten der Unterwelt, der während seines Burnout-bedingten Urlaubs auf den krebskranken Bengel trifft.
Der kleine Herr Tod ist angestellt bei Hades, Thanatos, Hypnos & Co. Obwohl er seine Diplomarbeit in Sterbologie mit der Bestnote 6,66 abgeschlossen hat, landet er im undankbaren Hühner-Ressort. Das heißt, er ist für das Abholen von Abermillionen Hühnerseelen zuständig, und das tagtäglich. Kein Wunder, dass ihm da irgendwann die Sicherung durchknallt. Der alte Hades schickt ihn also in den Urlaub. Zuerst verschlägt es den Herrn Tod nach Brasilien (wo so ziemlich alles schief geht), danach ins Emsland (denn das kennt er). Dort trifft er im lokalen Burgerschuppen auf den jungen Bengel, einem aus dem Krankenhaus ausgebüxten Krebspatienten. Als die beiden ihre gemeinsame Vorliebe für Death Metal entdecken, entschließen sie sich kurzerhand auf Tour zu gehen – um Bengels altem Musiklehrer eins auszuwischen, aber auch um Herrn Tods eigenen Angstgegner, den Hühnerbaron Zuckmayer, platt zu machen. Und ihre Tour geht noch weiter, bis über den Styx hinaus …
Eine Art RPG-Quest
Originaltitel | Der kleine Herr Tod |
Ursprungsland | Deutschland |
Jahr | 2020 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Tragikomödie, Märchen |
Autor | Christian Y. Schmidt |
Verlag | Rowohlt Berlin |
Die Reise von Bengel und Herrn Tod liest sich wie eine Questreise. Der Tod steckt in einer Konfliktsituation (Burnout) und macht sich auf die Reise, um das zu lösen (nimmt also Urlaub). Unterwegs trifft er auf Weggefährten, die er rekrutiert: den Chihuahua Zottel (als Animal Sidekick) und den Jungen Bengel (als Deuteragonist). Durch die neue Freundschaft zwischen Herrn Tod und Bengel findet jeder ein bisschen mehr zu sich selbst. Beide plagen große Ängste; der eine fürchtet sich vor dem Sterben, der andere wird von dem gesamten Sterbe-Apparat zerdrückt. Das sind also die Boss-Gegner, die es am fernen Horizont zu zerschlagen gilt. Doch bis es soweit ist, muss der kleine Herr Tod natürlich noch die Gefährtenmissionen für Bengel absolvieren (u.a. den Journalisten Schummelius besiegen) und auch seinen eigenen Mini-Boss konfrontieren (Hühnerbaron Zuckmayer). Am Ende steht das Squad in der Unterwelt, am besagten Horizont … na, und was dann passiert bleibt an dieser Stelle natürlich unter Verschluss.
„Gestatten – Hades, Herr der Unterwelt, wie gehts, wie stehts?“
Die Unterwelt ist ein Sammelsurium der unterschiedlichsten Totenkulte. Unter dem Dach einer großen Firma arbeiten alle Todesgötter zusammen. Diese ganze Firmenpolitik und die Funktionsweise des Sterbens und Holens ist ziemlich cool gemacht. Wie werden Menschen eigentlich in ihre „Himmelhöllen“ eingeteilt? Nach Beruf oder Eigenschaft? Schmidt weiß die Antwort. Und er weiß viel viele Wortspiele. Die Unterwelt gibt ihm die Möglichkeit, jede nur denkbare Idee rauszuhauen. Das kann sich auf Seite 1 mit „Sterbologie“ und dem offensichtlichen „Death Metal“ vielleicht noch etwas zu gewollt lesen, wenn’s aber auf Seite 2 weiter geht mit „sanftes Liften“, „Bimsen von Schierlingsbecherei“ und „Blastbeat“ merkt man: Schmidt hat ein ganzes Lager voll von diesen Wortspielchen, die weit über „gewollt“ hinaus gehen. Der scheint sich in dem Thema gesuhlt zu haben, die Unterwelt ist ihm sein Milieu.
Ein Kinderbuch für Erwachsene
Der kleine Herr Tod sei ein „Kinderbuch für Erwachsene“, heißt es, und das stimmt. Man merkt es an der märchentypischen Kurzweiligkeit (Kinderbuch), an der schwelgerischen Nostalgie für die bis in die 80er zurückreichende Death Metal-Historie (Erwachsenenbuch), und an den slangbehafteten, rotzigen Dialogen, die in ihrem Kern trotzdem geradezu literarisch wirken (Erwachsenenbuch im Gewand eines Jugendbuchs). An einer Stelle aber wirkt es so, als wäre Schmidt siedend heiß (und zu spät) eingefallen, dass er wegen Bengel und der damit anvisierten Neben-Zielgruppe nochmal eben ein bisschen mehr freshes Zeug einbauen muss – Popkultur und so. Und so kommt es, dass Schmidt in nur einem Kapitel plötzlich out of nowhere eine Referenz nach der nächsten verbrät: mit “Bergen wie in Halo 3“, “einem Nebel wie in The Fog” und einem Zug mit „Panoramawagen“ wie in Die Tribute von Panem. Das wirkt ziemlich gestaucht, zu „konzentriert“ und damit leicht unnatürlich. Eben „gewollt“. Aber das ist nur eine Kleinigkeit, die einem vielleicht auffallen mag.
Hades‘ Haus- und Hofmalerin
Die Geschichte wird ergänzt durch Bilder der Illustratorin Ulrike Haseloff. Manche von ihnen sind seitengroße Komplettkunstwerke in Vollkolorierung, andere von ihnen cartooneske Skizzen in schwarz-weiß, die zwischen den Zeilen hängen. Beide Arten sind schön anzusehen und zeigen die künstlerische Freiheit, die der Künstlerin gegönnt wurde. Nehmen wir z. B. den kleinen Herrn Tod. Der wird von Schmidt mit „bleichen Knochen“ beschrieben, der auf „knöcherigen Beinen“ rennt, seinen „hohlen Totenschädel schüttelt“ und mit seinem Kiefer „klappert“. Schaut man sich Haseloffs Bilder dazu an, sieht man stattdessen einen kleinen violetten Panda mit Augenringen und einer Frisur, die sich in schwarzen Partikeln aufzulösen scheint. Vielleicht, weil der Illustratorin das Klischee des wandelnden Skeletts zu ewiggestrig war. So ein übernächtigter Panda im Blaumann jedenfalls hat was, zugegeben. Den Nagel auf den Kopf trifft Haseloff aber mit ihrer Darstellung der Homöopathin. Genau so stellt man sich eine Dr. med Petra von und zu Nüsslein-Volhard vor – perfekt.
Fazit
Der Herr Tod ist klein, und seine Geschichte ist es ebenso; klein und fein. Death Metal-Fans werden sich über die Insider freuen und für Thanatophile ist das Buch sowieso ein Fest. Schmidt hat sich ganz viel Mühe gegeben, alles Mögliche in seine Unterwelt mit einfließen zu lassen. Er versöhnt die Totenkulte miteinander, mit ihren unterschiedlichen Vorstellungen, Bräuchen und Personifikationen, und verwebt sie zu einem Ganzen (hinten gibt es sogar ein extra Glossar, damit man auch weiß, welchen Todesgott man da gerade vor seiner Nase hat). Für die Kürze des Buches und den gewollten Märchen-Charakter ist der Aufbau der Unterwelt völlig ausreichend und dufte; die Unterwelt ist Schmidts Metier. Wenn der Herr Tod aber mit der menschlichen Welt agiert, dann wirkt es manchmal … unbeholfen. Simpel. Abgedroschen. Stellenweise wusste ich nichts mit den flammenden Plädoyers gegen Homöopathie und Massentierhaltung (aber für Soja-Bohnen) anzufangen. Also, ok: natürlich weiß ich damit etwas anzufangen und ich sehe die Relevanz dahinter, trotzdem stechen diese Stellen wie pädagogische Meinungsspitzen heraus, die den Kokon der Geschichte irgendwie zerreißen. Aber hey: Ist okay. Ich hatte meinen Spaß mit der Lektüre von Der kleine Herr Tod. Für Death Metal hab ich zwar nichts übrig, aber mit dem Tod kann man mich immer kriegen – gerade im Blaumann.
© Rowohlt Berlin
Seit dem 24. März 2020 im Handel erhältlich: