BioShock: Rapture
„Das Buch zum Game“ hat es als Sparte in der Buch-Branche nicht immer leicht. Entweder sie wird komplett ignoriert oder aber höchstens mit einem stiefmütterlichen Auge betrachtet. Manchmal zu Unrecht, denn es gibt einige wenige herausragende Meisterwerke wie etwa die in den 1990ern erschienene Myst-Trilogie. Doch vieles ist zugegebenermaßen einfach nur Kernschrott. Als Game Director Ken Levine im Jahre 2009 ankündigte, er werde in Zusammenarbeit mit dem Autor John Shirley eine offizielle Vorgeschichte zu seinem Meilenstein BioShock schreiben, durfte man durchaus gespannt sein, denn BioShock selbst basiert auf einer mächtigen literarischen Vorlage: Atlas wirft die Welt ab von Ayn Rand. Viele von BioShocks ethischen, philosophischen und politischen Themen entstammen direkt aus Ayn Rands Klassiker von 1957. Ein undankbar mächtiger Schatten also, unter dem Autor John Shirley seinen Prequel-Roman BioShock: Rapture schreiben musste. Und tatsächlich ist es nicht sonderlich gut ausgegangen.
1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Einschneidende Reformen, das Aufkommen geheimer Regierungsbehörden und Sanktionen gegen die Geschäftswelt rufen Unmut in der Bevölkerung hervor und lassen das Bild des freien Amerikas bröckeln. Der stinkreiche Magnat Andrew Ryan will sich das nicht länger gefallen lassen. Er hat einen Traum: Ein Utopia, in der die Elite frei von den Fesseln der Politik, der Zensur und der Moral agieren kann. Und so errichtet er Rapture, eine schillernde Stadt am Grunde des Ozeans. Doch es dauert nicht lange und das vermeintliche Utopia beginnt von innen zu verfaulen. Die Unterwasserstadt wird zum Alptraum.
Ein Problem der Medienform
Originaltitel | BioShock: Rapture |
Ursprungsland | USA |
Jahr | 2012 |
Typ | Roman |
Bände | 1 |
Genre | Science-Fiction, Retro |
Autor | John Shirley |
Verlag | Panini Verlags GmbH |
Im Handel erhältlich |
BioShock: Rapture ist ein Ensemble-Roman. Die Geschichte der Unterwasserstadt wird aus den Blickwinkeln verschiedener Figuren erzählt, darunter Bill McDonagh, Andrew Ryan, Sofia Lamb, Frank Fontaine und Brigid Tenenbaum. Der Roman ist dabei in drei Parts unterteilt, die jeweils eine Ära von Rapture abdecken. Mal knüpfen die Kapitel zeitlich direkt aneinander an, mal liegen mehrere Monate zwischen ihnen. Insgesamt wird der Zeitraum von 1945 bis 1959 dargestellt. Wir erleben also Raptures Aufbau, Erblühen und Fall. Durch die großen zeitlichen Abstände kann die Geschichte jedoch zerfranst wirken und manchmal werden Handlungsstränge nicht weiter verfolgt oder erst fünf Jahre später wieder halbgar aufgegriffen. Ein weiteres Problem: Der Unterschied zwischen den Medienformen. Als Game schafft es BioShock ganz wunderbar, eine völlig surreale Welt absolut glaubhaft zu verkaufen. In einem Roman aber muss Shirley dem Mysterium nun eine Form geben und die ganzen Dinge, die Rapture entstehen ließen, in Worte fassen. Wir beurteilen das Ganze nun nach neuen Regeln und erkennen die Risse, die sich inhaltlich auftun – denn Shirley ist nicht gut darin, es glaubhaft zu verkaufen.
Das Rapture, das man sich nicht vorstellen kann
Man merkt, dass Shirley und die Korrekturleser nicht immer bei der Sache waren. Es gibt Rechtschreibfehler, Absätze mitten im Satz und manchmal werden auch Namen vertauscht. Bei der Lektüre fällt das stets negativ auf und man hat das Gefühl, lieblos hingeklatschter Ware auf den Leim gegangen zu sein. Shirley selbst schreibt nicht sonderlich schön. Der Satzbau ist simpel und seine Versuche, das mysteriöse Rapture zu umschreiben scheitern häufig an schlechter Durchführung: „ […] schemenhafte Umrisse, deren Formen nur undeutlich zu erkennen waren.“ (S. 91). Das ist doppelt gemoppelt und damit unnötiges Rauschen, um den Text irgendwie aufzublähen. Hat der Autor eine Metapher gefunden, die ihm gefällt, verwendet er sie auch gerne mal inflationär. Ansonsten sind Shirleys Sätze reine Arbeitstiere. Ihm scheint vor allem daran gelegen, die Handlung voranzubringen. Mit Weltbeschreibungen oder feinsinniger Introspektion hält er sich dagegen nur ungern auf. Unter dieser Aneinanderreihung uninspirierter Sätze leidet dann vor allem der Eskapismus – man kann sich weder gut nach Rapture träumen noch sich in dessen Bewohner hineinversetzen bzw. man will es nicht.
Komplex im Game, einfallslos im Buch
Die Figuren sind gewissermaßen einseitig. Nehmen wir als Beispiel Andrew Ryan: Er ist eine perfekte Abbildung des Magnaten wie wir ihn aus den Games kennen. Auf Papier aber wirkt seine Rolle ab einem gewissen Punkt eindimensional. Anders als im Game haben wir im Buch keine Optik, die uns sein Mienenspiel vermittelt und auch keine Tonausgabe, die uns die Nuancen seiner Stimme verrät. Darüber hinaus erleben wir Ryan im Roman in wesentlich konzentrierterer Form. Deswegen brauchen die Leser mehr als sonst eine gute Introspektion – das Innenleben der Figur muss mehr hergeben. Das tut es bei Ryan aber nicht – und auch bei keiner anderen Figur. Eine gute Charakterisierung, bei der die Figuren eine gewisse Komplexität erkennen lassen, findet lediglich dann statt, wenn Shirley den Wortlaut der Audiotagebücher aus den Games wiedergibt – und das ist dann nicht einmal sein eigener Verdienst. Gegen Ende des Buches nimmt die Frequenz der Audiologs zu. Man könnte fast meinen, Shirley gehe der Saft aus.
Little Sister und Big Daddy machen sich rar
Shirley bemüht sich, die Elemente aus dem Spiel sinnvoll in seine Geschichte einzubinden. Oft klappt das ziemlich gut, doch manchmal hätte er es einfach bleiben lassen können. Beispiel Vita Chambers: Es ist klar, dass diese eine rein spielmechanische Bewandtnis haben (Respawnpunkt nach dem Ableben), daher wirkt es völlig deplatziert, diesem Element einen tieferen Sinn einverleiben zu wollen. Sicherheits-Bots und Vita-Chambers berücksichtigt Shirley also, aber das ikonische Aushängeschild von BioShock lässt er quasi außen vor: Das Duo „Little Sister und Big Daddy“. Auf Seite 353 lesen wir das erste Mal über den Bindungsprozess und der Big Daddy selber taucht erst kurz vor Schluss auf Seite 410 auf. Insgesamt werden der Thematik, die doch so essentiell für das gesamte Franchise ist und aus der man wirklich viel machen könnte, keine 20 Seiten gewidmet (von 441) – und das ist furchtbar schade.
Fazit
BioShock: Rapture ist ein Buch aus der Retorte, geschrieben auf Bestellung. Ich wünschte nur, Shirley würde sich ein bisschen mehr anstrengen, das nicht allzu offensichtlich heraushängen zu lassen. Der Autor versagt komplett darin, die Atmosphäre von Rapture aufleben zu lassen und die Stadt als den schillernden Höllenpfuhl darzustellen, der sie ist. Er ruht sich darauf aus, dass die Gamer schon wissen werden, wie’s sich da unten anfühlt, und das ist eine schlechte Einstellung. Der Roman ist wirklich nur für echte BioShock-Fans gedacht. Die werden der Handlung sicherlich mit großem Interesse folgen, da sie die Vorgeschichte endlich chronologisch aus einem Guss zu lesen bekommen. Wobei diesbezüglich ja immer noch die Frage im Raum steht, inwiefern das Buch zum Kanon gehört bzw. inwieweit es Levines Vision von BioShock entspricht. Denn der Roman enthält Elemente aus BioShock 2 (welches nicht von Levine stammt) und ignoriert gleichzeitig alles aus der BioShock Infinite-DLC Seebestattung (welche wiederum von Levine stammt). Auf die Frage, ob der Roman kanonisch sei, antwortete Levine 2011 via Tweet: „Da ich ihn noch nicht gelesen habe, muss ich wohl sagen: Nein.“ Schon mal ein schlechtes Zeichen. Als Levine das Versäumnis nachgeholt hat, ließ er drei Jahre später verlauten, dass seine Lieblingsseite diejenige gewesen sei, auf der „Copyright 2009“ geschrieben steht. Also ein Kompliment klingt anders. Aber ich hätte wohl genauso geurteilt.
© Panini Verlags GmbH
Im Handel erhältlich: