Sailor Moon (Staffel 1)

Fragt man heute erwachsene Anime-Fans, welche Serie ihre Einstiegsdroge war, bleibt eine überschaubare Anzahl an Möglichkeiten. Wer kurz vor der Jahrtausendwende bereits in den Kinderschuhen steckte, wird wahlweise Dragon Ball oder Pokémon nennen. Nur eine Serie ist noch wahrscheinlicher: Sailor Moon. Am 13. Oktober 1995 wurde die erste Folge, damals noch unter dem Titelzusatz “Das Mädchen mit den Zauberkräften” im ZDF gesendet. Bei einer einfachen Ausstrahlung sollte es aber nicht bleiben: Der Sender RTL Zwei nahm die Serie in sein Kinder-Programm auf, baute rundherum einen Anime-Block zusammen (später “Moon-Toon-Zone” genannt) und Egmont Manga (damals noch Egmont Ehapa bzw. Feest Comics) holte die Manga-Vorlage aus der Feder von Naoko Takeuchi nach Deutschland. Das Franchise expandierte und die Serie machte nicht nur das Format Anime in Deutschland salontauglich(er), sondern erfreut sich bis heute ungebrochener Leidenschaft weltweit. Das 25-jährige Jubiläum nehmen wir zum Anlass, um die erste Staffel zu besprechen, die im Juli 2020 erstmals auch auf Blu-ray bei Kazé Anime erschien.

   

Usagi (deutsche Version: Bunny) Tsukino ist 14 Jahre alt. Ihre freie Zeit verbringt die tollpatschige und verfressene Schülerin am liebsten mit ihrer Freundin Naru. Eines Tages trifft Usagi auf eine Katze mit einem Halbmond auf der Stirn Luna. Diese kann sprechen und offenbart ihr, dass sie sich in Sailor Moon verwandeln kann, eine Kriegerin in einem Matrosenkostüm, die für Liebe und Gerechtigkeit einsteht. Ihr Ziel ist es, die Mondprinzessin zu finden, da eine dunkle Macht, das Königreich des Dunklen, die Erde und den Mond bedroht. Nur die Mondprinzessin sei in der Lage, das Böse zu besiegen. Im Laufe der Zeit wächst nicht nur Usagi in die Rolle von Sailor Moon hinein, sondern findet auch weitere Gefährtinnen mit besonderen Kräften, die an ihrer Seite mit Liebe und Freundschaft im Kampf gegen das Böse zur Seite stehen.

Ungebremste Popularität, Wahrzeichen der 90er und erfolgreiche Symbiose mit RTL Zwei

Originaltitel Sailor Moon
Jahr 1992 – 1993
Episoden 46 in Staffel 1
Genre Magical Girl, Fantasy
Regie Junichi Sato, Kunihiko Ikuhara
Studio Toei Animation
Veröffentlichung: 20. Juli 2020

In den 90ern gab es kein Entkommen vor Sailor Moon: Die Serie bescherte ihrem deutschen Heimatsender RTL2 volle Aufmerksamkeit und sorgte mit hohen Einschaltquoten dafür, dass der nachmittägliche Anime-Block immer weiter aufgebaut wurde. Die vorherige Ausstrahlung im ZDF in den frühen Morgenstunden war für viele nur eine Randnotiz, denn ein Sendeplatz um 7 Uhr ist schlichtweg nicht dafür geschaffen, große Hits hervorzubringen. Zudem war die Produktion nur ein Teil eines ganzen Sendeblocks, wurde also auch in Fernsehzeitschriften oftmals nicht näher erwähnt. Man musste also Frühaufsteher sein oder Glück haben, um mit der Serie in Berührung zu kommen. Nach einer Staffel war bereits wieder Schluss. Bis RTL Zwei die Serie im Jahr 1997 ins Programm nahm und von vorne sendete. Mit einer Folge pro Werktag konnten Zuschauer*innen regelmäßig am Ball bleiben und der Entwicklung der Figuren wesentlich intensiver beiwohnen. Die Folge: Binnen kurzer Zeit erlangte Sailor Moon Kultstatus. Aus heutiger Perspektive gibt es nicht viele Sichtweisen darauf: Die meisten Fans wurden noch vor den 2000ern generiert und lieben die Serie weiterhin. Wer mit Sailor Moon nie etwas anfangen konnte, wird die Serie auch heute peinlich oder kindisch finden. In jedem Falle gilt aber: Man muss wohl dabei gewesen sein. Denn der Hype nahm gerade erst seinen Lauf. Comic-Hefte, eine Merchandise-Welle mit stellenweise furiosen Auswüchsen und schließlich sogar eine eine Image Band namens Super Moonies (aus heutiger Sicht ein trashiges Relikt der 90er) waren gefragte Begleiterscheinungen. Und schließlich erschienen auch die (damals noch ungespiegelten) Manga-Ausgaben bei Egmont Manga und lösten eine regelrechte Manga-Hysterie in Deutschland aus. Dank weiteren Franchise-Veröffentlichungen wie der Live-Action-Serie Pretty Guardian Sailor Moon (2003) oder Sailor Moon Crystal (2014 bis 2016) erlosch das Licht der Serie nie wirklich, sondern war immer präsent. Mal mehr, mal weniger beliebt.

Auf der Suche nach Erfolgsfaktoren: Was hat die Serie, was andere nicht haben?

Mit einem Blick aus dem Jahr 2020 zurück in die 90er ist es gar nicht einfach, zu analysieren, welche Qualitäten Sailor Moon eigentlich mitbringt, um einen solchen Boom auslösen zu können. In Japan war sie nicht die erste Magical Girl-Serie. Der erste Genre-Vertreter erschien nämlich bereits rund 30 Jahre zuvor: Sally the Witch. Doch zumindest in Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt keine derart gelagerte Serie. Und auch erst im Jahr 2000 sorgten die Sender mit Cutey Honey Flash (ZDF) und Wedding Peach (RTL Zwei) für Nachschub. Zu dem Zeitpunkt befand sich Sailor Moon längst in der Wachstumsphase. An den Animationen selbst wird es ebenfalls kaum gelegen haben: Zwar ist die Zielgruppe da weit weniger kritisch unterwegs, aber zu den Sternstunden der Animationskunst zählte die Produktion des Studios Toei Animation niemals. Doch die Verwandlungs- und Angriffssequenzen sind farbenfroh und dynamisch gestaltet sowie mitreißend in Szene gesetzt, machen aber nicht die gesamte Serie aus. Am wahrscheinlichsten ist das hohe Identifikationspotenzial, das die heranwachsenden Charaktere mitbringen. Obwohl die Figuren in der ersten Staffel 14 Jahre alt sind, verläuft ihr Reifeprozess überproportional schnell. Nach 200 Folgen sind Usagi und Co. erst 16 Jahre alt, abseits der Slapstick-Szenen aber junge und elegante Frauen, die eine Entwicklung hinter sich haben. Und zu dem Zeitpunkt auch für viele ein echter “Otaku Crush” oder “Waifu Material”. Eben keine kleinen Mädchen mehr, sondern Frauen, die sich von Außenseiterinnen zu starken Kämpferinnen entwickelt haben. Und das nur, weil sie an die richtigen Werte (namentlich: Liebe, Freundschaft, Loyalität und Zusammenhalt) glauben und in den 200 Folgen immer wieder glaubhaft und ohne moralischen Zeigefinger unter Beweis stellen.

Schematischer Aufbau mit Zeit für die Figuren

Die erste Staffel folgt einem weitgehend linearen Aufbau: Usagi muss sich in ihre Rolle einfinden (Folge 1 bis 7), findet Mistreiterinnen (Folge 8 bis 35) und besiegt schließlich das Königreich des Dunklen (Folge 44 bis Folge 46). Dazwischen findet sich viel Zeit für “das Monster des Tages” (ein in der Anime-Szene wenig begehrter Einsatz austauschbarer Episoden-Gegner), aber auch mal einzelne Folgen, die sich nur mit den Charakterbeziehungen befassen und abseits der Haupthandlung spielen, wie etwa Folge 20 (“Das Geisterhaus”). Die gegnerische Seite erhält ein Gesicht durch Königin Perilia (Original: Berryl), die den Staffel-Obermotz gibt und ihre Handlanger vorschickt, die vier Generäle. Unter diesen findet sich auch eine mutige Entscheidung, nämlich aus zwei Generälen ein homosexuelles Liebespaar zu bilden. Eine Eigenheit der Anime-Serie, welche damals auch das ZDF überforderte. Die Serie war ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht voraus, insofern wurde aus dem femininen Zoisite eine Frau. Dies sollte aber nicht das einzige Mal bleiben, dass Sailor Moon in Sachen Diversität zur Gallionsfigur der Diversität werden sollte. Nachdem sich die Handlung um Folge 20 herum im Nirgendwo verlor, wurde zwischen Folge 25 und 31 ein Mini-Handlungsbogen eingefügt, der sich mit der Beschaffung der Splitter des Silberkristalls befasst. Ebenfalls eine Originalidee der Serie, welche vor allem damit glänzt, dass sie die Nebenfiguren der Serie in diesen Episoden mit Leben füllt. Dazu zählen etwa Reis Großvater oder Spielhallenbesitzer Motoki und seine Verlobte Reika.

Warum Staffel 1 so beliebt ist

Am Ende der ersten Staffel haben die Zuschauer nicht nur fünf (fast) fertig ausgebildete Kriegerinnen ins Herz geschlossen (die Entwicklung von Minako findet überwiegend im Off statt bzw. spielt sich als Sailor V im gleichnamigen Manga ab), sondern auch einen tiefsitzenden Eindruck gewinnen können, wie die Welt von Sailor Moon funktioniert. Sich wiederholende Schauplätze (Schule, Spielhalle, Tempel), regelmäßig auftretende Nebenfiguren (Usagis Familie, Naru, Umino) und Feinde, die nicht nur auf ihre Mission gedrillt sind, sondern eigene Interessen verfolgen (Neflites Romanze mit Naru, die Liebe zwischen Zoisite und Kunzite), sorgen für ein rundes Bild. Diese Welt erscheint durchdacht und funktioniert auch von selbst. Diese Faktoren tragen einen Teil dazu bei, dass die 46 Folgen von Staffel 1 bis heute die liebste Staffel vieler Fans bilden. Hierin besitzt die Serie auch einen entscheidenden Vorteil gegenüber ihrer Manga-Vorlage: Es bleibt Raum für Entwicklung in der Serie. Im Manga zündet jedes Kapitel eine weitere Entwicklungsstufe, charaktertypische Eigenheiten bleiben auf der Strecke.

Ein Verschleiß an Animationskünstlern

Die Verwandlungsszenen der Sailor Kriegerinnen können sich auch heute noch sehen lassen. Die mit charaktertypischen Effekten aufgeladenen Sequenzen sind mitreißend gestaltet und bilden das insgeheime Highlight einer jeden Folge, wenngleich mehrere Verwandlungen auch mal dazu führen konnten, dass dann der Zeitpunkt gekommen war, eben zum Kühlschrank oder auf die Toilette zu rennen. Für Toei Animation bedeutete dieses Recycling der Szenen schließlich auch eingesparte Arbeitszeit, für die kein weiteres Animationsbudget aufgebracht werden musste. Vor allem an den oftmals statischen Hintergründen oder fehlenden Animationen bei größeren Menschenmassen zeigte sich durchaus, wo die finanziellen Mittel ihr Limit erreichten. Im Gegensatz zu anderen Anime-Serien hatte keine Einzelperson Hoheit über die Animationsregie. Im Gegenteil: Sailor Moon hatte im Laufe seiner 200 Folgen einen Verschleiß von satten 16 Animationskünstlern, die dafür sorgten, dass die Figuren oftmals über Folgen hinweg anders aussahen. Staffel 1 besitzt auch noch weit weniger Texturen und Schatten als die fünfte Staffel. Insgesamt durchläuft die Serie visuell eine Entwicklung, die sich zu Beginn noch nicht abzeichnet. Sailor Moon gehörte also niemals zu den besten, aber auch nicht zu den am schlechtesten animierten Serien. Und für das Shoujo-Segment, also Anime-Serien mit überwiegend weiblicher Zielgruppe, wo ohnehin geringere Budgets fließen, ist die Serie beinahe schon wieder überdurchschnittlich gelungen. Mit den oftmals verwendeten Aquarellfarben und Pastelltönen treffen die Hintergründe allerdings auch die verträumte Note von Naoko Takeuchis Vorlage.

Die deutsche Lokalisierung: Geliebt und gehasst

Für die deutsche Synchronisation zeichnet sich noch das ZDF verantwortlich, das ein Münchner Studio beauftragte. Dieses spendierte der Serie ein deutsches Intro und Outro (“Sag das Zauberwort”), einmal im zeitgemäßen Eurodance-Kostüm, einmal in Klavierbegleitung. Die Besetzung der Stimmen erfreut sich überwiegend positiver Resonanz: Sabine Bohlmann zählte zum damaligen Zeitpunkt (wie ihre Kollegin Stephanie Kellner, die Stimme von Naru) zu den Stars der Vorabendserie Marienhof. Ihre charismatische helle Stimme wird vor allem mit Lisa Simpson in Verbindung gebracht und trotzdem verlieh sie Usagi Tsukino soviel Eigenheit, dass sie bis heute als die beliebtere Sprecherin der Figur gilt (und auch in Sailor Moon Crystal erneut sprechen durfte). Auch die anderen Hauptrollen wurden mit namhaften Sprecherinnen besetzt: Julia Haacke (Rei Hino) war eine erfahrene Werbesprecherin, Moderatorin und Schauspielerin (Verbotene Liebe). Stefanie von Lerchenfeld (Ami Mizuno) sprach parallel die Valerie für Beverly Hills 90210 und machte sich im Anime-Bereich auch als San in der Studio Ghibli-Produktion Prinzessin Mononoke einen Namen. Das größte Portfolio besaß zum damaligen Zeitpunkt Claudia Lössl (Minako Aino), die unzählige Synchronrollen sprach, vor allem aber als Kelly Bundy in Eine schrecklich nette Familie berühmt wurde. Die 2009 verstorbene Veronika Neugebauer war vor allem im Hörspiel-Bereich (TKKG) sehr aktiv und ist auch als “Scream Queen” und Stimme von Neve Campbell (Scream) bekannt. Bis in die Nebenrollen fand eine außerordentlich gelungene Besetzung der Rollen statt, die in den späteren Staffeln unter RTL Zwei nicht immer gewährleistet werden konnte. Die deutsche Übersetzung hingegen lässt mehr Raum für Kritik: Das Verändern des Geschlechts von Zoisite vom Mann zur Frau würde heutzutage unter Ignoranz und Fahrlässigkeit fallen und auch mancher Übersetzungseinfall (“Flieg und sieg!”) trug seinen Teil dazu bei, dass manche Zuschauer*innen sich eher für ihre Lieblingsserie schämten. Obwohl die Synchronisation damals von vielen Fans als schlecht bezeichnet wurde, ist sie bis heute ein gelungenes Beispiel für eine Rollenbesetzung, die Feinheiten des Charakters berücksichtigt.

Fazit

Die erste Staffel von Sailor Moon bringt viel Nostalgie mit sich. Neben den offensichtlich vertretenen Werten Liebe und Gerechtigkeit sind es vor allem Freundschaft, Toleranz und Diversität, welche die Serie über die 90er hinaus getragen haben. Die erste Staffel macht aus erzählerischer Sicht fast alles richtig und besitzt einen Spannungsbogen, der auch immer wieder Raum für kleinere inhaltliche Ausflüge lässt. Mit einer beinahe perfekt ausgeklügelten Balance aus Situationskomik und Dramatik findet das Regie-Duo Junichi Sato (Kaleido Star) und Kunihiko Ikuhara (Revolutionary Girl Utena) das richtige Mittelmaß. Es ist ein spannendes Gedankenspiel, wie Staffel 1 wohl heute ankäme. Doch für das Jahr 1995 (bzw. 1992 in Japan) hat die Anime-Serie nicht nur den Nerv einer ganzen Generation, sondern vor allem den Zeitgeist getroffen.

© Kazé Anime


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Ayres

Ayres ist ein richtiger Horror- & Mystery-Junkie, liebt gute Point’n’Click-Adventures und ist Fighting Games nie abgeneigt. Besonders spannend findet er Psychologie, deshalb werden in seinem Wohnzimmer regelmäßig "Die Werwölfe von Düsterwald"-Abende veranstaltet. Sein teuerstes Hobby ist das Sammeln von Steelbooks. In seinem Besitz befinden sich mehr als 100 Blu-Ray Steelbooks aus aller Welt.

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