Bubblegum Crisis – Die Cyberpunk Saga
Recherchiert man nach Cyberpunk-Anime, stößt man in aller Regel auf die großen Klassiker: Ghost in the Shell und Akira oder auf neuere Produktionen wie Psycho-Pass. Viel dazwischen gibt es nicht, obwohl gerade die späten 80er und frühen 90er auf zwei, drei Hände Cyberpunk-Produktionen kommen. Zu den damals populären, heute mittlerweile komplett in Vergessenheit geratenen Titeln gehört Bubblegum Crisis, hierzulande sogar mit dem markigen Zusatztitel “Die Cyberpunk Saga” versehen. Eine Serie, die eine gar abenteuerliche Produktionsgeschichte hinter sich hat, aber einen wichtigen Beitrag zur Entstehung des Anime-Marktes in den USA darstellt, da sie einer der ersten Verkaufstitel war und direkt an große Filmfavoriten erinnerte. Wir sind dem Kult von einst nachgegangen.
Japan im Jahr 2032: Mega-Tokyo erholt sich vom letzten großen Kanto-Erdbeben und liegt unter der Kontrolle des Konzerns Genom. Plötzlich erschüttern Zwischenfälle die Metropole. Es sind amoklaufende Roboter, die die Straße unsicher machen. Sogenannte Boomer, mit denen die A.D.-Police alle Hände voll zu tun hat. Eine vierköpfige Söldnergruppe namens Knight Sabers, bestehend aus der Damenunterwäschegeschäftsführerin Silja Stingray, der Rocksängerin Priss Asagiri, der Hackerin Nene Romanova und der Aerobic-Trainerin Linna Yamazaki, sind die einzigen, die die Boomer stoppen können. Dafür nutzen sie ihre hochmodernen Kampfanzüge.
Produktionskrise statt Kaugummikrise
Originaltitel | Bubblegum Crisis |
Jahr | 1987–1991 |
Episoden | 8 (in 1 Staffel) |
Genre | Science-Fiction |
Regie | Hiroaki Gohda, Katsuhito Akiyama, Masami Obari |
Studio | Artmic, AIC |
Veröffentlichung: 1995 |
Bubblegum Crisis gehört zu den Serien mit den aufregendsten Produktionsgeschichten. Ursprünglich erschien die Serie 1987 als hoffnungsvolle Cyberpunk-Offensive: Als Original Video Animation (OVA) produziert, erschien sie exklusiv für den japanischen VHS-Markt und wurde mit einem üppigeren Budget ausgestattet als herkömmliche, im Fernsehen ausgestrahlte Serien. Es handelt sich um eine Koproduktion der beiden damals noch jungen Studios AIC (Armitage III) und Artmic (Riding Bean). Anders als heute wurde blind losproduziert, ohne ein weitreichendes Konzept zu besitzen. 13 Folgen sollten es werden, nur soviel stand fest. So unterscheiden sich die Folgen dank der geringen Planung in ihrer Laufzeit, die irgendwo zwischen 30 und 50 Minuten liegt. Erst nach der Veröffentlichung einer Folge befasste man sich mit der nächsten und so rückte schließlich Fan-Liebling Priss in den Kern der Geschichte. Ihre Popularität war auch darin begründet, dass die Serie einen starken Musikfokus mitbringt, was unter anderem der Synchronsprecherin von Priss zu verdanken ist. Denn Kinuko Omori war eigentlich Rocksängerin, was Priss gleich mehrere Gesangsauftritte einbrachte. Omori entschloss sich 1989, als die Serie bis dahin fünf Episoden (sprich: sieben VHS-Kassetten) hervorgebracht hatte, ihren beruflichen Fokus auf ihre Gesangskarriere zu verlagern. Ihr neues Label zeigte sich zunächst nicht einverstanden mit einer parallelen Synchron-Karriere. Das hatte zur Folge, dass der Serientod von Priss und eine neue Protagonistin eingeplant wurden. Schließlich ergab sich für Omori dann doch die Möglichkeit, ihr Engagement fortzuführen. Obwohl Priss nun weiterleben durfte, war Folge 7 bereits in Teilen fertig gestellt und brachte ihre Nachfolgerin Vision Chang ins Spiel, eine neue Sängerin, für die mit Maiko Hashimoto eine neue Sprecherin mit Gesangstalent gefunden wurde. Die Episode musste umgeschnitten, teilweise sogar neu produziert werden und Vision wurde damit zu einer Eintagsfliege von Nebenfigur. Das hatte zur Folge, dass es zu Konflikten zwischen den beiden ausführenden Studios kam. Mit einem großen Knall: Die Arbeit an Bubblegum Crisis wurde nach acht Folgen gestoppt. Ein kleines Produktionsdesaster, das für Fans ein großes wurde. Zumindest vorerst.
Liebesbrief an Hollywood-Cyberpunk
Laut Produzent Toshimichi Suzuki lag der Ursprungsgedanke der Serie in der Angst vor einer Zukunft, in der sich Technologie schnell entwickelt und die Menschen achtlos werden. Eine düstere Zukunftsvision, die viele japanische Produktionen prägte. Besonders stark wurde die Serie von Blade Runner beeinflusst, dessen Setting für Mega-Tokyo sozusagen direkt entliehen sein könnte. Auch Priss, die eigentlich Priscilla heißt, wurde von Pris aus Blade Runner abgeleitet, ebenso der Name der Figur Leon. Ansonsten ist das Grundszenario ebenfalls ähnlich: Eine dystopische Stadt, in der Mensch und Maschine miteinander leben. Die späteren Folgen erinnern atmosphärisch durchaus an Robocop, die erste Folge weckt insbesondere Assoziationen zu Terminator. Über alle Folgen hinweg gilt aber: Die Serie atmet mit jeder Pore Cyberpunk. Kybernetik nimmt ein übergeordnetes Thema ein, ein Unternehmen regiert die (dunkle) Welt, Japan ist bedroht von Erdbeben und künstliche Intelligenzen sind auf dem Vormarsch. Kein erzählerischer Baustein wird ausgelassen.
Plot-, aber nicht handlungsgetrieben
Bubblegum Crisis ist eine plotgetriebene Serie. Jede Folge lernt aus den Fehlern der vorherigen und baut die Stärken aus. Die ersten drei Folgen gelten deshalb auch als die schwächsten, während vor allem die zweite Hälfte bei den Fans hoch im Kurs steht. Dadurch, dass die Folgen jeweils unabhängig voneinander funktionieren, kann man jede Handlung und jede Idee für sich betrachten. Darunter leiden allerdings die Figuren, die zwar in ihren Dynamiken geformt werden, nicht aber als Persönlichkeiten. Nene funktioniert als die Süße, Sylia bildet den Kontrast als reife Anführerin. Priss ist eine Einzelgängerin und Linna das Herz der Gruppe. Mit diesen Grundzügen leben die Charaktere, die sich immerhin aber auch wie Erwachsene verhalten. Bemerkenswert sind aber die Nebencharaktere. Einige schräge Businessmänner, ein verrückter Rennfahrer und dessen traumatisierte Freundin (Folge 4) und entflohene Sex-Androiden (Folge 5 und 6) heizen die Stimmung auf. Über allem steht der Plot, während die Handlung der einzelnen Episoden beinahe schon willkürlich sind. Die Serie ist unheimlich schnell erzählt (und damit sehr kurzweilig), stellenweise auch sehr konsequent und brutal.
Altern in Würde
Neben der düsteren Geschichte und der hohen Qualität der Folgen verzaubert vor allem der Soundtrack der Serie. Wie nur wenige Produktionen ihrer Zeit konnte Bubblegum Crisis einen kleinen Hype auslösen und es erschienen die beiden Specials Hurricane Live! 2032 und Hurricane Live! 2033, bei denen es sich um eine Musikvideo-Collection handelt. Insbesondere der Titeltrack “Konya wa Hurricane” fällt besonders launig aus und repräsentiert das Flair der Serie bis heute. Aufgrund des höheren Budgets bot die Serie für ihre Zeit hochwertige Animationen, die auch innerhalb von Action-Sequenzen gut aussehen. Spannend ist zu beobachten, dass der Animationsstil ab Folge 4 anders verläuft. Das hängt damit zusammen, dass in Japan ab den 90ern nach zunehmend anderen Produktionsstandards gearbeitet wurde. Die Entwicklung bewegte sich weg von detailreichen Bildern (viele Keyframes, wenige Frames) hin zu fließender Animation (mehr Frames mit weniger Details). Das tolle Artwork der Figuren kann sich bis heute sehen lassen. Die durchdachten Charakterdesigns von Ken’ichi Sonoda (Gunsmith Cats) haben über all die Jahre nichts von ihrem Charme eingebüßt.
Ein Kaugummi will kleben bleiben
Nachdem die Serie 1991 eingestampft wurde, führte Studio Artmic die Handlung im Alleingang fort. Der Name war geschützt und somit wurde als Bubblegum Crash drei weitere Folgen für den japanischen Videomarkt produziert. Diese erfreuten sich weniger Popularität als die Originalserie und so besann sich das Studio wieder auf die Herstellung anderer Titel, ehe es 1997 bankrott ging. Die Rechte an allen Titeln gingen zum Studio AIC zurück und somit war Bubblegum Crisis wieder als Marke frei. Direkt im Folgejahr wurde ein Reboot ausgestrahlt: Bubblegum Crisis – Tokyo 2040. Eine 24-teilige Serie, dieses Mal fürs Fernsehen produziert. Die Charaktere, grundlegende Elemente der Handlung und Settings wurden übernommen, das Charakterdesign der einzelnen Figuren wurde überarbeitet. Die Serie erfreut sich aufgrund ihrer straffen Erzählweise einer weitestgehenden Beliebtheit. Nur der Geist, den sie atmete, war ein anderer. Denn die 90er hatten die 80er verdrängt und anstatt melancholischer Rocknummern fanden Techno-Beats und moderne futuristische Elemente ihren Weg in die Handlung, alles wurde bunter. Beide Serien unterscheiden sich von Look & Feel stark voneinander.
Der Vollständigkeit halber seien noch das kurzlebige Spin-off AD Police genannt sowie die Miniserie Parasite Dolls, die zwar in derselben Welt spielt, aber keine direkten Bezüge aufweist. Damit war zumindest das animierte Schicksal des Franchises besiegelt. In den USA wurde noch ein auf der Originalserie basierendes Pen-&-Paper-Rollenspiel veröffentlicht sowie ein Comic zur Serie aus der Feder von Adam Warren (The Dirty Pair).
Schwer aufzutreiben
In Deutschland erschien die Serie 1995 auf VHS und schaffte 1999 sogar für einen kurzen Zeitraum den Sprung ins Fernsehen, als der TV-Sender VOX die Serie in seinen Anime-Nächten ausstrahlte. 2001 lieferte OVA Films noch zwei DVD-Scheiben nach. Eine deutsche Synchronisation bekam das Werk nie, was heutzutage unvorstellbar erscheint. Heute ist sie nur noch schwer aufzutreiben und wer den Klassiker in einer zeitgemäßen Qualität erleben möchte, muss tief in den Geldbeutel greifen, um noch eines der limitierten Blu-ray-Exemplare zu ergattern, die 2014 in den USA erschienen.
Fazit
Auch wenn die Serie unter ihrer Einstellung litt, erwies sich Bubblegum Crisis als einer der bedeutendsten Anime-Wegweiser im Westen und im Bereich des Cyberpunk sowieso. Mit Nostalgiebrille schaut sich diese Produktion deutlich besser als nach heutigen Maßstäben, soviel sollte klar sein. Die Serie ist ein Kind ihrer Zeit, umarmt die 80er mit düsterer Zukunftsvision, schmissigem Rock und Aerobic-Einlagen. Auch wenn sie unvollendet wirkt (und bleibt), stellt sie faszinierenden Zeitkolorit dar und vermittelt auf wunderbare Weise ein pessimistisches Weltbild. Gleichzeitig formte sie sehr früh das Bild starker, kämpfender Frauenfiguren mit. Auch heute ist sie noch immer einen Blick wert, allerdings empfiehlt sich hier die restaurierte US-Fassung.
© OVA Films
US-Fassung: