Big Fish & Begonia – Zwei Welten, Ein Schicksal

Große Wellen erheben sich nicht nur in dem Animationsfilm Big Fish & Begonia – Zwei Welten, Ein Schicksal aus dem Jahr 2016, sondern auch hinsichtlich der internationalen Rezeption des Debütwerks des Regieduos Liang Xuan und Zhang Chun, das mehrfach als ein Meilenstein für die chinesische Animationsindustrie gepriesen wurde. Als Besucher zahlreicher Filmfestivals, inklusive des Annecy International Film Festivals 2017, wo Big Fish & Begonia für den Feature Film Award nominiert wurde, erreichte der Film durch Universum Film schließlich 2019 auch deutschsprachige Gefilde. Zunächst in ausgewählten Kinos im Februar und seit dem 24. Mai in den Heimkinos.

In einer fantastischen Welt unterhalb der Menschenwelt leben die “Anderen”. Sie verwalten die Naturgesetze und wachen über die zurückkehrenden Seelen der Menschen nach deren Tod. Das Mädchen Chun soll gemäß der Volkstradition zur Volljährigkeit die Menschenwelt für sieben Tage in der Gestalt eines roten Delphins erkunden. Doch kurz vor ihrer Rückkehr verfängt sie sich in einem Fischernetz, aus welchem sie von einem Menschenjungen befreit wird. Es gelingt ihm zwar sie zu retten, doch ertrinkt er selbst dabei. Chun ist überkommen von Schuldgefühlen, da lädt der Seelenhüter sie zur Himmelspforte ein. Die Seele des Jungen kann wieder ins Leben gerufen werden. Doch für den Handel muss Chun die Hälfte ihrer Lebenszeit aufgeben. Chun zögert nicht und ihr wird die Seele in der Form eines Delphins anvertraut. Sie muss ihn aber erst großziehen ehe er zurück in die Menschenwelt kann. Ihr Kindheitsfreund Qiu unterstützt sie dabei. Die Seele erhält von ihr den Namen Kun, benannt nach einem legendären großen Fisch. Doch beiden ahnen nicht, welche Folgen Kuns Anwenheit für ihre Welt hat, deren Natur langsam verrückt spielt …

Audiovisuell opulente träumerische Welt

Originaltitel Dàyú hǎitáng
Jahr 2016
Land China
Genre Fantasy, Drama, Romanze
Laufzeit 105 Minuten
Cast Chun: Guanlin Ji / Marcia von Rebay
Qiu: Shangqing Su / Maximilian Belle
Kun: Timmy Xu / Tim Schwarzmaier
Seelenhüter: Chin Shih-chieh / Kai Taschner
Rattendame: Yang Ting / Angelika Bender

Big Fish & Begonias großes Ass im Ärmel: Der Film besticht durchgehend mit seiner opulenten Optik. Das international verwendete Filmposter bzw. Cover erscheint da ein wenig irreführend, da es mit seinem übermalten CG-3D-Look den Anschein eines computeranimierten Spektakel macht. Der Film besitzt zwar viele Cuts und Kamerafahrten, die die Nutzung einer 3D-Technologie verraten, doch werden sie zusammen mit den hand-, digital-gezeichneten Mix zu einem harmonischen Endprodukt verschmolzen. Die Animationen sind flüssig und Momente mit spielerisch eingewobenen Gimmicks sind nicht selten. Vor allem setzt Big Fish & Begonia den Schwerpunkt aber auf die Atmosphäre. Sei es eine Floßfahrt auf einem Fluß, in dem sich ein Sternenhimmel ausbreitet oder die Fischschwärme die sich um Kun scharen. Oder etwa Chuns Bootsfahrt zur Himmelspforte durch das Wolkenmeer, opulent blühende Bäume oder die Naturgewalt, die sich zwischenzeitlich vom Himmel herab gießt. Doch auch jenseits dieser träumerischen Landschaften ist der Film ein Hingucker. Die kleineren intimeren Momenten wie der Tanz Chuns mit Kun versprühen eine kaum mindere Magie als die majestätischen Naturgewalten. Für seine stimmungsvollen Momente nimmt sich der Film angemessen Zeit zu wirken. Der episch klingende Soundtrack von Kiyoshi Yoshida (Das Mädchen, das durch die Zeit sprang) trägt einen großen Teil dazu bei. Nicht zuletzt, indem praktisch jeder Szene ein eigens komponiertes Stück gewidmet ist. Die Wirkung ist so intensiv, dass manch ein Patzer in der Kontinuität gar erst bei genauerem Hinschauen auffällt: In einer Szene etwa bekommt Chun als einziges Kleidungsstück ein Oberteil zum Ankleiden ausgehändigt, hat aber in der nächsten Szene Rock und Schuhe ebenfalls an.

Zum Fühlen, weniger Mitdenken

Für sich weiß fast jede Szene zu überzeugen. In der übersetzten Vertonung gar noch mehr: Die Emotionalität der deutschen Synchronisation ist den meist eher steif geratenen chinesischen Stimmen eine gute Nasenlänge voraus. Doch entlockt Big Fish & Begonia dem Zuschauer seine Emotionen weniger durch tatsächliches Mitfühlen mit den Figuren hervor, denn über gekonnt eingesetzte Filmtechnik. Die audiovisuelle Harmonie erreicht viele Höhen, doch das Screenplay hinkt als Ganzes betrachtet hinterher. Dabei erkundet der Film nicht wenige Kleinigkeiten aus der Welt der Anderen. Szenen wie die Turbanfrisur, welche Vögel aus den meterlangen Haaren von Chuns Großvater zurren oder Qius Einsetzen seiner Magie für seinen Kaki-Snack wirken wie greifbar. Doch umso mehr fällt auf, dass er sich an den wichtigen Stellen scheut, Erklärungen zu Hintergründen zu liefern. Warum verursacht Kuns Anwesenheit solch dramatische Folgen? Warum kann der Seelenhüter dennoch laufend solche Handel durchführen (sein Krug mit Lebenszeitbeuteln ist gut gefüllt)? Warum wurde die Rattendame im Untergrund versiegelt? Die Magiemechanik wirkt erst noch, als funktioniere sie nach gleichmäßigen Regeln, doch wird sie zunehmend willkürlicher. Chuns Familie hütet Pflanzen, also ist ihre Magie durch das Wachsenlassen von Pflanzen geprägt und sie verwandeln sich in Bäume nach dem Tod. Qiu wird zunächst mit gleichen Fähigkeiten vorgestellt (passend zum Herbstlaub das er als visuelles Gegenstück zu Chuns Frühlingblüten verkörpert), doch verwendet seine Großmutter Wasser- und Wind-Magie, die er zwischenzeitlich auch vornehmlich verwendet. Schließlich kommt eine magische Nuss mit Yin-Yang Magiekreisen zum Einsatz, ohne dass so ganz klar wird, wozu diese genau nötig ist. In Sachen Charakterisierung tut sich der Film eher schwer. Während der Seelenhüter und die Rattendame in ihrer Exzentrik viel individuellen Charakter versprühen, stehen sie doch meist im Abseits. Ihre Hintergrundgeschichten werden zwar angedeutet, jedoch alles andere als ausgearbeitet. Die jugendlichen Hauptfiguren wirken daneben ziemlich eindimensional: Chun ist Sklave ihrer unmittelbaren Gefühle. Aus ihren Handlungen spricht vor allem feige Kurzsichtigkeit und ihr Klammern an Kun wirkt dabei eher wie eine Obsession. Doch gleichzeitig legt sie mehrfach eine heroische Selbstlosigkeit an den Tag, die nicht zu ihrem passiven Charakter passt. Qiu präsentiert sich daneben zwar deutlich facettenreicher, doch ertrinkt alles an ihm in seiner devoten Liebe. Gerade dieser fehlt es aber sehr an Tiefe: Warum ist gerade Chun seine Erwählte? Was an Chun rechtfertigt seine derart selbstlose Loyalität, wo sie ihn den Bärenanteil der Laufzeit nicht einmal besonders gut zu behandeln weiß?

Ein faszinierender, aber etwas zielloser Traum

Big Fish & Begonia ist in seiner gesamten Atmosphäre wie als Traum angesetzt. Träume sind fragmentarische und passive Angelegenheiten. Daher sind diese beiden sich durch Film ziehenden Eigenschaften fast schon passend zu all den nicht dargestellten Teilen dieser interessanten Welt, die überquillt mit Motiv-Anleihen der chinesischen Klassik. Doch es tröstet nicht darüber hinweg, dass es dem Film an einem stringentem Leitthema mangelt. Dadurch wirkt er wie ein Pot voller Ideen, die nicht weiter verfolgt wurden. Die Erzählung am Anfang legt natürlichen Kreisläufe nahe, doch wird dazu zu wenig Grundsätzliches zur Welt der Anderen etabliert. Die Grausamkeiten der Fischerei legen nahe, dass Menschen die Achtung für die Natur verloren haben. Doch die Menschenwelt spielt ab Chuns Rückkehr praktisch keine Rolle mehr. Auch Kulturunterschiede zwischen Menschen und Anderen werden nicht thematisiert. Ein Band zwischen Weltengrenzen ist bis auf eher abgedroschen wirkende Phrasen zum Ende gar kein Thema. Die Dialoge mit dem Seelenhüter legen nahe, dass es um jugendliche Kurzsichtigkeit versus Erfahrung durch die Jahre geht, während Chuns Großvater das Überwinden von Widerständen anreist. Doch weder Chun noch Qiu lernen eine richtige Lektion, bei der sie über sich herauswachsen. Gerade Chun kommt extrem glimpflich davon. Die Zitate des Philosophen Zhuangzi am Anfang und Ende verleihen dem Film auch mehr vermeintliche Tiefe als vorhanden. Abgesehen vom sehr wörtlich adaptierten Kun-Fisch haben die vollkommen aus dem Kontext gerissenen Zeilen praktisch keine Relevanz zur Filmhandlung. Aus Sicht der Erzählerin am Ende des Films, welche ein Fazit zieht, scheint die Aussage des Films zu sein, dem Leben mit mehr Mut zu bestreiten – doch wirkt sehr am Film vorbei. Beinahe, als ob ein Best-Of verschiedener Geschichten miteinander vorgestellt werden sollten, ohne sich auf eine festzulegen. Wahrscheinlich ist das der Produktionshistorie des Films geschuldet: Buchstäblich einem Traum entsprungen, enstand 2004 erst ein siebenminütiger Flash-animierter Webfilm für einen Wettbewerb, aus dem zwölf Jahre später einer der erfolgreichsten chinesischen Animationsfilme wurde. Das Screenplay durchlief in der Zeit sicherlich einige Iterationen. Das ist alleine schon dadurch erkenntlich, dass der Inhalt vom Piloten inhaltlich kaum etwas mit dem 2016er-Film zu tun hat.

Und da wären noch ein paar Déjà Vus

Die Handschrift von Studio Mir, das an der Produktion von Big Fish & Begonia mit beteiligt war, lässt sich vor allem zu Beginn des Films doch recht deutlich erkennen: Die Alltagsszenen tragen eine sehr ähnliche Farbpalette zu Die Legende von Korra und auch das Charakterdesign kommt bei einigen Nebenfiguren trotz ihres klassisch-chinesischem Anstrichs irgendwie bekannt vor. Mit Chuns Rückkehr scheint sich Big Fish & Begonia allerdings in vielen Szenen in eine Hommage auf Chihiros Reise ins Zauberland zu verwandeln: Um ein Gefühl von Raum zu etablieren, läuft Chun auf ihrem Weg zum Himmelspalast erst durch ein großes Gebäudekomplex, an benachbarten Wohnsiedlungen vorbei, überquert Felder und einem Berg. Hayao Miyasakis Vorliebe für kleine possierliche Tierchen, die stets durch seine Filme wandern, wirkt hier ebenfalls repliziert mit den geschäftigen Katzen und Ratten aus, während die Rattendame Yubaba an Garstigkeit wohl nicht in zu viel nachsteht. Doch der Fokus auf diese Anleihen tritt wohl vor allem dadurch auf, dass es sich dabei vermutlich um die einzigen Referenzen handelt, die einem westlichem Publikum direkt zugänglich sind. Viele der Nebenfiguren spielen kaum mehr eine Rolle als Statisten, doch besitzen sie dennoch ein detailliertes Design, das aus einem der vielen bebilderten chinesischen Kinderbüchern stammen könnte. Der Film ist voller Referenzen zu den Mythen chinesischer Klassik.

Fazit

Auf deutschen Kinoplakaten wird Big Fish & Begonia als Mischung zwischen Arielle, die Meerjungfrau und Chihiros Reise ins Zauberland beworben. Von ersterem sehe ich persönlich nicht besonders viel. Zum Selbstaufopferungspathos fällt mir da spontan vielmehr beispielsweise die Legende vom Jäger Hallibu ein. Der Vergleich zu letztererem ist zwar schon nahelegender, doch erzeugt er unweigerlich erhöhte Erwartungen. In Anbetracht der Entstehungshistorie des Films wären Referenzen zu Makoto Shinkai noch am ehesten naheliegend. Shinkai begann ebenfalls klein in der Indie-Szene, ehe 14 Jahre später der Blockbuster Your Name die Animewelt eroberte.  In Sachen Charakterisierung wird mir wohl am meisten in Erinnerung bleiben, wie es der Film versäumt, zwei vielversprechende Antagonisten-in-Spe auszunutzen. Vor allem die Hintergrundgeschichte des Seelenhüters hätte mich ja wirklich sehr interessiert. Als Debütwerk fällt Big Fish & Begonia dennoch sehr imposant aus und lässt mich interessiert auf zukünftige Werke des Kreativudos entgegen sehen. Zuletzt noch ein Hinweis: Zwischen den beiden Creditrolls hat sich noch eine nicht unwesentliche Epilogszene versteckt.

© Universum Film GmbH

Luna

Luna residiert auf dem Mond mit ihren beiden Kaninchen. Als solche hat sie eine Faible für flauschige Langohren und ist auch nicht um die ein ums andere Mal etwas entrückte Sicht auf die Weltordnung verlegen. Im Bestreben, sich verständigt zu bekommen, vertreibt sie gerne die Zeit mit dem Lernen und Erproben verschiedener Sprachen und derer Ausdrucksformen.

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Ayres
Redakteur
9. Juni 2019 16:55

Visuell ist der Film über jedem Zweifel erhaben. Mir gefällt vor allem die die erste Hälfte ziemlich gut. Man hätte den Film auch richtig gut im Programm des Fantasy Filmfests zeigen können. In der zweiten Hälfte ging dann meine Geduld flöten. Woran das liegt, weiß ich selbst nicht mehr. Es ist auch erstaunlich wenig hängen geblieben. Vielleicht gebe ich dem Film irgendwann eine zweite Chance, wenn er mal bei einem Streamingdienst auftaucht. Aber im ersten Anlauf ist das alles eher etwas für das Auge gewesen.