Belle
Alle drei Jahre wieder: Wer das Schaffen des Regisseurs Mamoru Hosoda verfolgt, hat schon längst erkannt, dass er alle drei Jahre einen neuen Film auf die Leinwand bringt, begonnen mit Das Mädchen, das durch die Zeit sprang im Jahr 2006. So erblickte 2021 mit Belle sein neuester filmischer Streich das Licht der Welt, der sich an Disneys Zeichentrickfilm des französischen Märchens Die Schöne und das Biest orientiert. Diesmal rückt die Handlung deshalb eine junge Schülerin in den Mittelpunkt, die als Star in einer virtuellen Welt gefeiert wird und dabei auf ein Biest trifft, das mit seiner schroffen Art ihr Interesse weckt. Das Anime-Drama mit Science-Fiction-Elementen wurde von Studio Chizu produziert, wobei Hosoda wie bei seinen jüngsten Vorgängerfilmen auch das Drehbuch schrieb. In Deutschland feierte der Film seine Kino-Premiere im Juni 2022, nur wenige Monate später können sich Fans nun dank Publisher KSM Anime die physische Veröffentlichung ins Regal stellen. Während die Ultimate Edition bereits am 4. und die Steelbook-Version am 25. August 2022 erschienen, wurde am 8. September desselben Jahres die reguläre Disc-Fassung im Handel veröffentlicht.
Die 17-jährige Oberschülerin Suzu fühlt sich seit dem frühen Tod ihrer Mutter verloren. In der Schule ist sie quasi unsichtbar, noch dazu sehr schüchtern und das Singen traut sie sich sowieso nicht zu, obwohl sie es früher so gerne tat. Doch ihr Leben nimmt eine drastische Wendung, als sie sich in der Welt von “U” anmeldet, einer riesigen Social-Plattform mit über 5 Milliarden Usern. Mit ihrem atemberaubend schönen Avatar und einer fantastischen Stimme erlangt ihr Avatar Bell als Virtual Singer riesige Bekanntheit. Einige Monate nach ihrem Debüt begegnet sie aber einem Störenfried in U, dem “hässlichen” Biest, der sich prügelt und von Wunden übersät ist. Irgendwie erweckt das geheimnisvolle Monster aber ihre Aufmerksamkeit, sodass sie versucht, mit ihrer Schulfreundin Hiro herauszufinden, wer hinter diesem Avatar stecken könnte …
Unsichtbar in der Realität, ein Star in U
Originaltitel | Ryou to Sobakasu no Hime |
Jahr | 2021 |
Genre | Drama, Science-Fiction |
Regie | Mamoru Hosoda |
Studio | Studio Chizu |
Laufzeit | 121 Minuten |
Veröffentlichung: 25. August 2022 |
Protagonistin Suzu entspricht im Alltag einem verschüchterten Mädchen. Dazu kommt die Tatsache, dass sie sich gegenüber ihrem Vater abweisend verhält und sehr in sich gekehrt ist. Der frühe Tod ihrer Mutter hinterließ nämlich tiefe Narben: So tief, dass sie gar ein Trauma davon getragen hat und sich nur beim Anblick eines Flusses übergeben muss. Denn ihre Mutter starb bei der Rettung eines kleinen Mädchens durch einen reißenden Fluss. Ein Umstand, den Suzu ihr nie verzeihen konnte und der bis heute an ihr nagt. Wie konnte ihre Mutter sie alleine lassen, um ein fremdes Kind zu retten? Was zynisch und egoistisch wirken mag, ist am Ende wohl das realistische Gefühl einer Tochter, die diesen Verlust nie verarbeitet hat. Erst in U baut sie nach und nach Selbstvertrauen auf und kann singen, als hätte sie nie etwas anderes getan. Wer jetzt allerdings denkt, man würde Suzus Aufstieg in U aktiv miterleben können, der wird enttäuscht. Ihre Anmeldung in der Welt und der bahnbrechende Erfolg werden innerhalb weniger Minuten gezeigt, was aber den Fokus gekonnt auf ihre Erfahrungen dort und die anschließende Begegnung mit dem Biest richtet. Auch wer auf Kritik an der virtuellen Welt von U als Realitätsflucht hofft, ist hier an der falschen Stelle, denn die Intention des Filmes ist stattdessen eine positive Sichtweise auf das Internet und die Möglichkeiten einer Welt wie U.
Zu viele Handlungsstränge?
Die Geschichte von Belle dreht sich in erster Linie um die persönliche Entwicklung von Suzu und diesen Fokus muss man sich auch vor Augen halten, um den Film genießen zu können. Genau genommen besteht die Handlung nämlich aus verschiedenen Handlungssträngen, die teilweise nicht wirklich etwas miteinander zutun haben und letzten Endes sogar offen bleiben. Da wäre Suzus entfremdetes Verhältnis zu ihrem Vater, ihre Verliebtheit in ihren Kindheitsfreund und natürlich die Beziehung zum Biest. Auch spielen einige Klassenkameraden von Suzu eine (untergeordnete) Rolle, was Belle zeitweise wie einen Ensemble-Film wirken lässt. Dabei mag es zwar süß sein, wenn Suzu zwei Mitschülern dabei hilft, ein Paar zu werden, aber wirklich etwas zur Handlung trägt das nicht bei. Immerhin:
Inspiriert von Disneys Die Schöne und das Biest, aber keine Liebesgeschichte
Regisseur und Drehbuchautor Mamoru Hosoda bezeichnet Belle selbst als seine ganz eigene Interpretation der Disney-Verfilmung (und explizit dieser, obwohl auch diese lediglich eine Umsetzung des gleichnamigen französischen Märchens ist), die er schon seit mehr als zwanzig Jahren umsetzen wollte. Diese Inspiration bemerkt man an vielen Stellen auch deutlich, gerade beim gemeinsamen Tanz von Bell und dem Biest in dessen Schloss muss man schon die Disney-Fassung nie gesehen haben, um die Parallele nicht zu sehen. Der vermutlich unerwartetste Aspekt an dem Film ist aber der Umstand, dass dieser keine klassische Liebesgeschichte erzählt, sondern im Gegenteil eine sehr drastische Wendung nimmt, sobald die Identität des Biestes enthüllt wird. Allerdings wird die Handlung ab diesem Augenblick auch arg melodramatisch und unrealistisch.
Ein visuelles und akustisches Meisterwerk
Visuell kann Belle gut und gerne als mutig bezeichnet werden, denn während die reale Welt in klassischen 2D-Zeichnungen dargestellt wird, präsentiert sich die Welt von U durch CG. Letzteres genießt in der Anime-Fangemeinde alles andere als einen guten Ruf, doch das Ergebnis kann sich absolut sehen lassen. Die verschiedenen geometrischen Formen und Figuren kommen wunderbar zur Geltung und die Optik unterstreicht den Unterschied zwischen U und der echten Welt und transportiert zudem die fantastische Künstlichkeit von Virtual Reality. Auch Bells Auftritte sind schlichtweg beeindruckend und ein echtes Spektakel, was ebenso auf die Musik zutrifft. Diese spielt nämlich erwartungsgemäß eine große Rolle, sodass ein bunter Soundrack entstanden ist. In der deutschen Fassung hören wir auch tatsächlich deutsche Lieder, was dem Anime-Film den Charme einer Disney-Produktion verleiht. Für den Titelsong “U” hören wir dabei Suzus deutsche Sprecherin Lara Trautmann, besser unter ihrem Künstlernamen “Lara Loft” bekannt, die sich mit dem Gesang wirklich selbst übertrifft. Denn die deutschen Songs sind auf einem ähnlich hohen Niveau wie die japanischen Original-Songs, was durchaus eine Leistung darstellt. Aber grundsätzlich wirkt die deutsche Fassung sehr hochwertig und liebevoll, was sich auch an der Veröffentlichung wiederspiegelt, die mit einer wunderschönen Ultimate Edition für Sammler (inklusive sowohl dem japanischen als auch deutschen Soundtrack auf CD), einem Steelbook und einer normalen Handelsversion zahlreiche Interessen abdeckt.
Fazit
Belle präsentiert sich als wunderschöne, beeindruckend inszenierte Interpretation einer altbekannten Geschichte, die besonders mit der genialen Wendung um die Identität des Biestes punkten kann, die ein sehr ernstes Thema in den Fokus rückt. Nur schade, dass die Handlung nach dieser Enthüllung sehr unrealistisch und etwas übertrieben dargestellt wird. Dafür ist es sehr spannend, dass die Beziehung zwischen Bell und dem Biest hier schlichtweg einmal eine ganz andere Form annimmt als in anderen von Die Schöne und das Biest inspirierten Geschichten, schließlich muss diese nicht unbedingt eine romantische Liebe darstellen. Zudem hätten dem Film weniger Handlungsstränge gut getan, da das Herzstück sowieso Suzus Entwicklung darstellt und diese kleinen Nebenstränge zum Großteil sowieso offen bleiben. Dennoch ist Belle ein wirklich gelungener Film, der mit dem großartigen Soundtrack nachhaltig Eindruck hinterlässt und am Ende ohne Frage zum Nachdenken anregt (kleiner Tipp: Taschentücher bereithalten!).
© KSM Anime
Veröffentlichung: 25. August 2022