Steampunk – Was ist das eigentlich?
Goggles, Elizabeth II, Zeppeline, Piraten der Lüfte, Oktopoden, Korsagen, Zahnräder, Dampf, magischer Äther… Die Liste der Dinge, die Menschen zum Thema Steampunk einfallen, ist lang und kann beliebig ergänzt werden. Wer denkt, Steampunk sei nur eine optische Aufhübschung verbrauchter Themen in der Literatur und der Modewelt, der kennt noch nicht alle Möglichkeiten, die diese Bewegung bietet. Dieser Artikel möchte versuchen, einen kleinen Einblick darüber zu bieten, wie vielfältig das Genre Steampunk sein kann.
Viele glauben, dass der Steampunk bereits zur Zeit von Jules Vernes und H.G. Wells erfunden wurde. Geschichten wie Die Zeitmaschine oder 20.000 Meilen unter dem Meer lassen zwar die ein oder andere Vermutung in dieser Richtung zu. Allerdings waren die beiden Herrschaften eher Science-Fiction-Autoren. Denn sie haben sich vorgestellt, wie eine Zukunft aussehen könnte. Steampunker haben das nicht nötig. Denn sie wissen bereits, wie sich die Geschichte entwickelt hat und nehmen sich eher der Frage an, wie sich die Historie alternativ hätte entwickeln können. Wie sähe unsere Welt aus, wenn sich die Gesellschaft des viktorianischen Zeitalters mithilfe von Dampfkraft und Zahnradmechanik weiterentwickelt hätte?
Die erste Nennung und wie die Idee in der Versenkung verschwand
1985 schrieb der Autor K.W. Jeter für seinen Roman Morlock Night (zu Deutsch Die Nacht der Morlocks – Die Zeitmaschine kehrt zurück) an das Science-Fiction-Magazin “Locus” und verwendet für diesen als erster Mensch den Begriff Steampunk. Das Genre Cyberpunk befindet sich auf seinem Höhepunkt und phantastische Romane quellen vor übermächtigen Firmen, welche Menschen unterdrücken, über. Jeter versuchte, Steampunk als neues Genre zu etablieren, da er von der Gleichheit des amerikanischen Phantastikmarktes genervt war. Leider ohne Erfolg. Denn es dauerte viele Jahre, bis der Ausdruck von anderen aufgenommen wurde. Allein im Rollenspiel wurde der Begriff lebendig gehalten. Steampunk erlangte über das Burning Man Festival, welches jährlich in der Wüste Nevadas stattfindet, größere Beliebtheit. Auch Romane wie Die Differenzmaschine von William Gibson oder eine Ausgabe des US-Magazins “Wired”, welches 2007 dem Thema Steampunk eine ganze Ausgabe widmete, trugen zum sich langsam entwickelnden Erfolg von Steampunk bei.
Die Grundlagen
Das Bild, das wir vom 19. Jahrhundert haben, ist nicht gerade rosig: Eine prüde Gesellschaft mit hochgeschlossenen Kleidern, die streng auf gute Manieren und Moral achtet. Komplett falsch ist diese Sicht nicht, aber auch einseitig. Die viktorianische Ära war eine Zeit des Aufbruchs. Neue Erfindungen revolutionierten den Alltag, der Adel verlor durch das aufstrebende, reiche Bürgertum an Macht, was zu einem Aufbruch der Stände führte. Aufgrund der erweiterten Möglichkeiten wurden Vergnügungsreisen in fremde Länder machbar – erstmalig fand das Konzept Freizeit im Alltag Platz. Doch das Leben der Menschen richtete sich nach den Maschinen. Fabriken verdrängten grüne Landschaften, die Schornsteine verpesteten die Luft und nur wenige wurden durch die Erfindungen reich. Bei diesen Ungerechtigkeiten setzt Steampunk an.
Was Steampunk daraus macht: The Victorian Era upcycled
Steampunker erlauben sich, sich der Gegebenheiten des 19. Jahrhunderts anzunehmen und sie zu verbessern. Dazu gehört eine Philosophie, die sich an vielen Alternativen zur Realität dieser und auch der heutigen Zeit versucht. Besonders Nachhaltigkeit wird geschätzt. Ausbeutung soll vermieden werden und was zwar kaputt, aber noch gut ist, wird in anderen Gegenständen verarbeitet. Auch die Selbstständigkeit jedes Menschen wird umgesetzt. So werden die Klassen aufgebrochen und es herrscht Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft. Diese bezieht sich auch auf die Gleichstellung von Mann und Frau. Vielleicht ist deshalb Steampunk bei Autoren so beliebt. Man kann historisch mehr oder weniger korrekt schreiben und trotzdem Frauenfiguren als Protagonisten nutzen, die so damals gar nicht möglich gewesen wären. Auch finden sich in den Romanen oft Erfindungen der heutigen Zeit, die an das damalige Design angepasst wurden. Weil es eine alternative Historie ist, können die Menschen auch schon mit Computern und Motorrädern umgehen. Nur, dass diese mehr Zahnräder enthalten und umweltbewusst mit Dampfkraft arbeiten.
Die Do-it-yourself-Mentalität
Wie bereits angedeutet, lieben es Steampunker, handwerklich tätig zu werden. Das kann schon im Kleinen stattfinden. Etwa wenn man die Korsage oder das Jackett mit glänzenden Metallelementen verziert (das nächste Level ist dann, wenn sich die Deko auch noch bewegt). Geschickte Maker, wie man sie häufig nennt, gehen aber weiter und bauen sich ganze Maschinen im Design des Steampunk. Oft liegt dem Ganzen das Bedürfnis zu Grunde, die Technik der heutigen Zeit zu verstehen. Egal, welche Marke man letztendlich wählt, heutzutage sieht zum Beispiel jedes Smartphone fast gleich aus. Der Wunsch, sich ein wenig Individualität zurückzugewinnen, veranlasst die Bastler dazu, solche Geräte auseinander zu nehmen und nach eigener Designvorstellung wiederaufzubauen. Ganz nach dem Motto “Love the machine – hate the factory” wird die Liebe zur Technik in kreative Ideen geleitet, aus denen formschöne und funktionale Geräte entstehen.
Unendliche Vielfalt
Luftschiffe mit dampfbetriebenem Motor, Weltraumausflüge mit Feinmechanik aus Kupferdraht, Verschlüsselungsmaschinen, die per Zahnraddruck Löcher in Papier stampfen, rauchende Ätherwummen im Wilden Westen, geheime Experimente mit Maschinen, die Monster schaffen… ob Fantasy, Science-Fiction, Horror oder auch solch im ersten Moment skurril wirkende Dinge wie River Dance – alles kann Steampunk sein. Menschen, die in die Lebenswelt der alternativen Geschichte eingetaucht sind, akzeptieren so gut wie alles in ihren Reihen. Es scheint, als würde vor allem der Wunsch zur Entwicklung zum Ausprobieren neuer Ideen schon reichen, um den Nerv der Steampunk-Mentalität zu treffen. Steampunker träumen nicht nur von einer offenen Gesellschaft. Sie leben sie und für viele Menschen, welche in Kontakt mit der Szene kommen, wird gerade diese Einstellung den Reiz ausmachen.
Nahe Verwandte und Kuckuckseier
Dieselpunk, Teslapunk, Clockworkpunk, Biopunk, Kaiserpunk. Die geistige Mutter Cyberpunk hat viele Kinder geboren, die punkig sind. Doch egal, ob die Produkte auf Uhrwerken, den Ideen Teslas, der Manipulation der Biologie verschiedener Lebewesen oder anderen historischen Zeiten als der viktorianischen Ära beruhen. Sie haben gemeinsam, dass sie aufbegehren wollen gegen die begrenzten Möglichkeiten der Zeit oder der Umstände. Oft werden auch Bücher, Filme oder andere Produkte als Steampunk bezeichnet, obwohl sie sich höchstens einzelner Elemente bedienen. Wie schon bei Rock the Clockwork World geschrieben: Nicht alles, was ein paar Zahnräder oder ein wenig Dampf verpasst bekommt, ist automatisch Steampunk. Es ist vor allem eine Lebensphilosophie gepaart mit ästhetischem Anspruch. Und letzten Endes alles, was Spaß macht.
Was geht eigentlich bei uns?
Auch im deutschsprachigen Raum erfreut sich Steampunk immer größerer Beliebtheit. Bands wie Tales of Nebelheym, Gruppierungen wie “Das Amt für Ätherangelegenheiten” oder “S-Team Art” oder Kleinverlage wie der Art Skript Phantastik Verlag und Verlag ohneohren nehmen sich mit viel Liebe und Herzblut des Themas an und bringen ihre eigenen Ideen ein. Vor allem in der Literatur findet das Genre immer größeren Raum. Anthologien wie Die dunkelbunten Farben des Steampunk (Art Skript Phantastik Verlag, 2015) und Der Dampfkochtopf (Verlag ohneohren, 2016) bieten eine Möglichkeit der Entdeckungsreise in die Welt der Möglichkeiten. Auch Projekte wie die Comic-Reihe Steam Noir (Cross Cult) von Felix Mertikat machen Steampunk einer weiteren Gruppierung von Menschen zugänglich.
Fazit und wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte
Steampunk ist vieles – vor allem aber nicht langweilig. Dem Genre oder besser gesagt der Bewegung ist Stillstand ein Fremdwort und immer wieder kommen Menschen mit Ideen und fragen: “Könnte man nicht…?” Die Antwort darauf ist immer: “Klingt gut, mach doch mal, vielleicht kann ich etwas dazu beisteuern!” Es ist ein Geben und Nehmen. Selten gibt sich eine Inspiration der nächsten so oft die Hand wie im Steampunk. Dieser Artikel kratzt nur an der Oberfläche der Möglichkeiten. Wer sich in das Thema vertiefen möchte, dem seien folgende Werke empfohlen: In Steampunk kurz & geek hat sich Alex Jahnke zusammen mit Marcus Rauchfuß als erster im deutschsprachigen Raum mit einer Definition versucht. Ebenfalls von Alex Jahnke, aber in Zusammenarbeit mit Clara Lina Wirz bietet Das große Steampanoptikum eine ausführlich illustrierte Einführung in die Welt des deutschen Steampunks – ergänzt mit vielen Gastbeiträgen, Interviews und Kurzgeschichten. Wer vor allem Interesse an den handwerklichen Projekten zeigt, sollte einmal einen Blick in Steampunk Mechanics – Made in Germany werfen. Dort werden zwölf Maker der deutschen Steampunk-Szene und ihre Arbeiten vorgestellt. Bereits eine kurze Recherche online zeigt, dass es noch viele weitere Bücher gibt, die sich mit Steampunk und den Menschen, die den Begriff prägen, beschäftigt. Das Thema ist also aktuell wie nie und die Erforschung der Möglichkeiten noch lange nicht am Ende.
Titelbild © magicsart