Drei Haselnüsse für Aschenbrödel – mit Live-Orchester

Der Klassiker des deutschen Weihnachtsfernsehens hat es auf die große Bühne geschafft. Wo sonst Berlin-Touristen staunen, wenn Tänzerinnen mit Federn auf dem Kopf ihre unendlich langen Beine synchron in die Luft strecken, gibt es in der Nach-Weihnachtszeit 2017 tschechische Märchenromantik aus den fernen Siebzigern, mit Melodien, die wohl jeder mitsummen kann, aus der Feder des Komponisten Karel Svoboda (Die Biene Maja, Nils Holgerson, Wickie), gespielt vom Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Helmut Imig. Die Rede ist von Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, welches am 28. Dezember 2017 aufgeführt wurde. Ein Erlebnisbericht.

Der Friedrichstadt ist an diesem Dezembernachmittag Bonbon-bunt angestrahlt und bewirbt seine laufende Show The One. Aber die Scharen gut situierter Berliner, die hineinströmen, wollen etwas anderes sehen. Einen alten tschechischen Märchenfilm, der sich in den letzten viereinhalb Jahrzehnten zu einem deutschen Weihnachtsklassiker entwickelt hat. Und der dem Publikum offenbar so am Herzen liegt, dass es ihn nicht nur immer wieder im Fernsehen sehen möchte, sondern auch bereit ist, zwischen 40 und 80 Euro für ein Event auf großer Bühne und mit Live-Musik auszugeben. Auch drinnen viel buntes Licht, glitzernde Weihnachtsdeko, Werbung für die Haus-Show, Autowerbung, aber kein Aufwand, das heutige Gastspiel besonders ins Licht zu rücken. Kein Programmheft, kein Merchandise, oder habe ich den Stand im Gewühle der fast ausverkauften Show nicht bemerkt?

Überraschung: wenige Kinder

Einige Kinder im Publikum der Nachmittagsvorstellung, aber nicht viele. Offenbar fand die Mehrheit der Besucher, dass sie kein Alibi-Kind brauchen, um einen Film zu sehen, mit dem sie selbst aufgewachsen sind. Keine verkleideten Prinzessinnen. In einer Hochsteckfrisur funkelt ein Schneekristall aus Strass, der möglicherweise aus dem Drei Haselnüsse für Aschenbrödel-Merchandise-Angebot der Spiegelburg stammt, aber das ist ein Einzelfall. Die Mehrheit des Publikums sind Berliner beinahe jungen bis mittleren Alters, die sich für einen besonderen Anlass dezent schick gemacht haben. In den Kulissen der laufenden Show fällt die (gar nicht kleine) Leinwand im 4:3-Fernsehformat recht bescheiden aus. Üppig besetzt ist hingegen das Orchester, das nicht wie sonst bei den Shows des Friedrichstadtpalasts neben der linken Bühnenseite sitzt, sondern auf der Bühne, unter der Leinwand. Schließlich ist es der Star des Nachmittags.
Der Film verdankt seine Popularität neben der Märchen-Romantik im Schnee nicht zuletzt der eingängigen Musik. Für den Komponisten Karel Svoboda war seine Arbeit für Drei Haselnüsse für Aschenbrödel der Auslöser für Aufträge aus dem Westen. In den Folgejahren komponierte er für das westdeutsche Fernsehen die Musik für Zeichentrickserien wie Nils Holgersson, Wickie, Pinocchio und vor allem Die Biene Maja mit dem Karel Gott-Ohrwurm, den eine ganze Generation noch im Schlaf mitsingen kann. Ironischerweise enthielt die Musik für Drei Haselnüsse für Aschenbrödel in der tschechischen Version des Films auch einen Gesangspart für Karel Gott, der in die deutsche Fassung nicht übernommen wurde.

Gotts Beitrag zu “Drei Haselnüsse …” stieß allerdings beim Redakteur des WDR-Kinderfernsehens – Gert K. Müntefering – auf keine Gegenliebe. Es war ihm einfach zu viel des Guten. In einem Artikel, der Ende 2011 in den Potsdamer Neuesten Nachrichten erschien, schreibt er zu dem Moment, als er Karel Gotts Gesang hörte: “Es war so, als würde über eine schöne Torte gleichzeitig Buttercreme und Sahne gegossen – gekrönt mit einem Baiser. … der Film veränderte sich und wurde aus einem Kunst- zu einem Zuckerwerk.” Und so setzte Müntefering durch, dass die Stimme Karel Gotts herausgemischt wurde. (dreihaselnuessefueraschenbroedel.de)

Es hätte ein weiterer deutscher Hit für Karel Gott werden können, stattdessen kennt und liebt das deutsche Publikum nun die Karel Gott-freie Version, die sich auf Instrumentalstücke und einige textlose Gesangspartien für eine Frauenstimme beschränkt. Das ist die Version, die es auch im Friedrichstadtpalast zu hören gibt. Bisher kannte ich die Kombination Film plus Live-Orchester nur von Stummfilmen. Daher ist das Erlebnis Tonfilm plus Live-Musik etwas gewöhnungsbedürftig. Einerseits wundert man sich, wie lange Passagen des Films völlig ohne Musik auskommen.

Die Wucht des Orchesters

Wenn die Musik aber mit der Wucht eines ganzen Orchesters einsetzt, dann übertönt sie die Dialoge. Dafür hat der Film Untertitel, die man in den musikalisch begleiteten Momenten wirklich gut gebrauchen kann. Aber auch abgesehen von der Lautstärke hat die Live-Musik eine überdimensional große Wirkung. Das funktioniert gut in Momenten, wo sie in die Situation eingebunden ist, wenn etwa die Musik zum Ball erklingt, oder das Königspaar zu den Klängen eines königlichen Marsches im Schlitten einher gefahren kommt, da kann die Musik gar nicht groß und eindrucksvoll genug sein. Soll sie nur ein bisschen emotionale Unterstützung leisten, etwa in einem Moment wie “Auftritt Stiefmutter, schlecht gelaunt”, ergibt der Einsatz des Orchesters eine ungewollte Verzerrung. Hui, die Alte ist ja wirklich ÜBEL drauf! Das ist mal lustig, mal stört es, weil die Musik sich auf Kosten der Bilder und Dialoge so sehr nach vorn drängelt. Das sind nur Details in einem insgesamt gelungenen Nachmittag. Das Publikum ist glücklich und applaudiert lang und heftig, das Orchester spielt noch zwei Zugaben, den königlichen Marsch und die Titelmelodie. Und dann gehen alle zufrieden nach Hause, mit dem Gefühl, sich zu Weihnachten etwas ganz besonders Schönes gegönnt zu haben.
Die Show tingelt übrigens durch ganz Deutschland, wer sie bisher verpasst hat, kann sie im März in Frankfurt sehen.

wasabi

wasabi wohnt in einer Tube im Kühlschrank und kommt selten heraus.

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Alva Sangai
Redakteur
3. Januar 2018 22:36

Schöner Bericht. Gerade, wenn man selbst nicht dabei sein konnte. Der Soundtrack des Films zaubert eine gute Stimmung her. <3

MadameMelli
Redakteur
4. Januar 2018 8:52

Da fühle ich mich direkt in mein Live-Konzert Erlebnis 2016 zu diesem Film zurück versetzt. Der Film ist jedes Jahr aufs neue Pflicht und die Titelmelodie zum Glück einer der wenigen Ohrwürmer für mich in der kalten Jahreszeit.

Ayres
Redakteur
5. Januar 2018 14:59

Wundert mich gar nicht so sehr, dass wenige Kinder anwesend waren. Ich glaube, die wachsen heute einfach mit anderen Kinder- & Weihnachtsfilmen auf.